Interview zum Thema Atomkraft "Atomausstieg interessiert den Wähler kaum"
Wird der Atomausstieg doch noch zum Wahlkampfthema? Wohl nicht, meint der Politikwissenschaftler Neugebauer im Gespräch mit tagesschau.de: "Das Thema nützt nur den Grünen." Für die meisten Bürger seien aber andere Themen wie Wirtschaftskrise und Arbeitsplätze viel wichtiger.
tagesschau.de: Herr Neugebauer, wird der Atomausstieg noch zum Wahlkampfthema?
Gero Neugebauer: Die Parteien haben in dieser Frage ja kontroverse Positionen, die von Nichtvollzug bei der FDP reichen bis zum beschleunigten Vollzug, den die Grünen fordern. Das Thema polarisiert also, insofern ist es theoretisch sicherlich gut für den Wahlkampf geeignet.
tagesschau.de: Aber?
Neugebauer: Es nützt nur den Grünen. Zwar ist es eines der wenigen Themenfelder, in denen sich die Union deutlich von der SPD abgrenzen kann - allerdings ist fraglich, ob sich mit diesem Thema genügend Unionswähler mobilisieren lassen. Das Thema könnte der Union höchstens dann Stimmen bescheren, wenn sich ein Zusammenhang zwischen dem Festhalten an der Atomenergie und der Stärkung der Wirtschaftskraft herstellen ließe.
Das geschieht aber nicht. Im Gegenteil - der Wähler hört ja ständig Propaganda für erneuerbare Energien. Selbst die Union sagt, Deutschland müsse Weltmarktführer werden bei der Entwicklung der Anlagen für erneuerbare Energien. Es wäre also kontraproduktiv, wenn sie jetzt auf einmal die Beibehaltung der Atomenergie im Wahlkampf thematisieren würde.
Gero Neugebauer studierte Politik- und Sozialwissenschaften. Bis 2006 unterrichtete er hauptamtlich am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin. Er war dort danach als Lehrbeauftragter tätig und arbeitet als politischer Publizist. Schwerpunkte seiner Forschung sind das deutsche Parteiensystem sowie Wahlen und Wahlverhalten.
tagesschau.de: Und die SPD?
Neugebauer: Ihr nützt das Thema auch wenig, weil Umweltminister Gabriel gleichzeitig Anhänger von Kohlekraftwerken ist. Es gibt in der Partei keine einheitliche Meinung, was den Atomausstieg angeht. Der kleinste gemeinsame Nenner lautet, das zu vollziehen, was unter Rot-Grün beschlossen wurde: Bis 2021 wollen wir komplett aus der Atomenergie aussteigen.
tagesschau.de: Das heißt, das Thema interessiert die Leute schlichtweg nicht genug?
Neugebauer: Genau. Der Wähler, hat, sofern er nicht grün ist, eine feste Meinung, was die Krise für ihn darstellt: Er hat eher Angst vorm Verlust des Arbeitsplatzes und dem Verlust seiner sozialen Position. Die Frage des Atomausstiegs interessiert ihn kaum.
tagesschau.de: Wird das Interesse an dem Thema weiter schwinden?
Neugebauer: Das schwankt, da gibt es immer wieder Wellenbewegungen. Nach Störfällen zum Beispiel ist das Interesse natürlich wieder höher. Wenn man sich jedoch ansieht, welche Themen die Deutschen langfristig interessieren, dann ist das die Arbeitsmarktentwicklung, die wirtschaftliche Entwicklung, die Bildungspolitik, die Zukunft der Kinder und die Friedenspolitik. Da taucht der Ausstieg aus der Atomenergie nicht auf.
tagesschau.de: Interessiert Atompolitik eher die "Generation Tschernobyl", also diejenigen, die in den 80-er Jahren auf die Straße gegangen sind und gegen Atomkraft demonstriert haben?
Neugebauer: Nein, nach meinen Erfahrungen sind durchaus auch junge Leute zu interessieren und begeistern. Aber auch für die gilt: Das Thema ist mal mehr, mal weniger wichtig. Im aktuellen Wahlkampf ist es aber ohnehin so, dass die kleinen Parteien die Themen besetzen, die polarisieren. Der Wahlkampf der großen Parteien ist ja, vorsichtig gesagt, inhaltsleer.
Das Interview führte Nicole Diekmann, tagesschau.de.