Interview zur deutschen Autoindustrie Auferstanden nach der Krise
In keinem Land steht die Autobranche besser da als in Deutschland - das ergab eine Umfrage unter europäischen Auto-Managern. Dabei wurde deutschen Herstellern vielfach vorgeworfen, wichtige Entwicklungen versäumt zu haben. Wie das zusammenpasst, erklärt Auto-Experte Stefan Bratzel im tagesschau.de-Interview.
tagesschau.de: Es ist gar nicht lange her, da wurde der Autoabsatz in Deutschland mit der Abwrackprämie gestützt und Autobauer wurden gerettet. Eine neue Ernst&Young-Studie stellt dem Autoland Deutschland dagegen ein glänzendes Zeugnis aus: Es ist der Standort Nummer eins bei Innovationskraft, Produktivität und Produktqualität. Wie kommt das?
Stefan Bratzel: Ein Grund sind die schneller als gedacht anziehenden Absatzmärkte in China und in den USA. Kaum einer hätte damit gerechnet, dass China trotz Krise der Weltwirtschaft diese Dynamik behalten würde. Und in den USA funktioniert der Markt trotz der eher schlechten Lage auf dem Arbeitsmarkt noch recht gut. Zudem haben sich die deutschen Hersteller gut aufgestellt: Im Zuge der Krise haben sie sehr stark Kosten eingespart. In dieser Branche hängt viel an den Fixkosten. Gerade die deutschen Hersteller sind seither relativ schlank aufgestellt - vielleicht mit Ausnahme von VW.
Stefan Bratzel (Jahrgang 1967) ist Professor für Automobilwirtschaft an der Fachhochschule der Wirtschaft (FHDW) in Bergisch Gladbach und Leiter des dortigen Center of Automotive.
Deutscher Markt verliert Bedeutung
tagesschau.de: Ist der deutsche Markt im Umkehrschluss gar nicht mehr so wichtig?
Bratzel: Die Nachfrage in Ländern wie China, Brasilien, Indien und auch Russland hat enorm angezogen - da spielt der deutsche Markt eine vergleichsweise geringe Rolle. Volkswagen zum Beispiel verkauft 26 Prozent der Autos nach China. Ende der 1990er-Jahre lag dieser Anteil im Promillebereich.
Platz | Innovationskraft | Produktqualität | Produktionskosten | Produktivität |
---|---|---|---|---|
1. | Deutschland | Deutschland | China | Deutschland |
2. | Japan | Frankreich | Indien | Japan |
3. | China | Japan | Deutschland | China |
4. | Frankreich | USA | Frankreich | Frankreich |
5. | USA | Großbritannien | Japan | USA |
6. | Großbritannien | Schweden | Großbritannien | Südkorea |
7. | Indien | Spanien | Slowakei | Indien |
8. | Südkorea | Südkorea | Polen | Großbritannien |
9. | Schweden | Italien | USA | Schweden |
10. | Italien | China | Tschechien | Spanien |
Quelle: Ernst & Young ("European Automotive Survey 2011")
Kunden aus der Oberschicht
tagesschau.de: Was ist denn das Erfolgsrezept der deutschen Autobauer?
Bratzel: Die Premiumhersteller BMW und Daimler verdienen nach wie vor ihr Geld mit der wachsenden Oberschicht in Ländern wie China und Indien. Zwar sind die Stückzahlen eher gering im Vergleich mit den Verkäufen der Volumenhersteller, aber die Margen sind enorm. BMW erzielt - abgesehen von Porsche - die weltweit höchste Rendite.
Volkswagen spielt dagegen in einer anderen Liga. Die Wolfsburger sind auf dem Sprung, größter globaler Hersteller zu werden. VW bildet die ganze Bandbreite ab - vom Sportwagen mit der Integration von Porsche in den Konzern bis zum Kleinstwagen - demnächst mit dem VW Up. Im Kleinwagensegment findet global gesehen das größte Wachstum statt.
tagesschau.de: Alle Segmente bedienen - will VW da nicht zu viel?
Bratzel: Tatsächlich ist Volkswagen ein großer Tanker mit einer hohen eigenen Wertschöpfung: Anders als andere Hersteller, die größere Teile der Produktion an Zulieferer ausgelagert haben, wird bei VW viel selber gemacht. Da muss der Konzern sicherlich aufpassen, nicht zu unflexibel zu werden.
Im Rückblick unnötige Rettung?
tagesschau.de: Hätten wir Rettungsmaßnahmen wie die Abwrackprämie gar nicht gebraucht?
Bratzel: Die Kurzarbeiterregelung hat der Branche sehr geholfen, in der Krise einen Großteil der Stammbelegschaften an Bord zu halten. Das war enorm wichtig, denn nur so konnten die Hersteller die Produktion relativ schnell wieder hochfahren, als die Nachfrage im Jahr 2010 wieder anzog. Zur Abwrackprämie habe ich ein zwiespältiges Verhältnis. Denn da wurden fünf Milliarden Euro ausgegeben, die man meines Erachtens besser in die Förderung energiesparender Fahrzeuge gesteckt hätte.
Deutsche Hersteller sind lernfähig
tagesschau.de: In den Krisenzeiten gab es jede Menge Kritik an den deutschen Herstellern: Sie hätten wichtige Entwicklungen verschlafen, würden die falschen Autos bauen. Lagen die Kritiker falsch?
Bratzel: Es gibt tatsächlich Defizite bei der Entwicklung alternativer Antriebstechnik, insbesondere Hybrid und Elektromobilität. Vielleicht kam auch die Weiterentwicklung spritsparender Motoren sehr spät. Aber gerade bei der Innovationsfähigkeit sind die deutschen Hersteller stark. Es hat sich gezeigt, dass sie schnell lernen und Rückstände wieder aufholen können. Sie haben die konventionellen Motoren stark optimiert: Die neuen Modelle warten mit Effizienzgewinnen von teilweise 30 Prozent im Vergleich zum Vorgängermodell auf. Und noch spielt das Thema Elektromobilität auf dem Automarkt selbst keine Rolle - der Absatz läuft über konventionelle benzin- und dieselbetriebene Fahrzeuge. Dort spielt die Musik und dort wird das Geld verdient.
tagesschau.de: Werden die deutschen Autobauer tatsächlich den Rückstand bei der Elektromobilität aufholen können, wie die Ernst&Young-Studie prognostiziert?
Bratzel: Die Franzosen und die Japaner sind derzeit schneller und besser. Im Moment wird hierzulande aber enorm viel Geld und Ingenieurskapazität in die Entwicklung gesteckt bei Daimler, BMW und VW. Wenn in einigen Jahren Elektroautos nachgefragt werden, dann werden die Deutschen bis dahin etwas anzubieten haben.
Risiken am Horizont
tagesschau.de: Wird der Höhenflug der deutschen Autobauer auf absehbare Zeit anhalten?
Bratzel: Die Rahmenbedingungen sind unsicherer geworden. Global agierende Unternehmen wie die Autohersteller sind aber auf ein stabiles Umfeld angewiesen. Denn Autoentwicklung dauert mehrere Jahre. Wenn sich das Marktumfeld gravierend ändert, kann ein Hersteller schnell in Schwierigkeiten geraten. Sollten die Finanzmärkte in Europa zusammenbrechen, die Mittel knapp werden, sich die Banken kein Geld leihen und keine Kredite vergeben, würde das die Autoindustrie hart treffen. Wenn die Weltkonjunktur schwächelt, würde sich das ebenfalls sehr schnell auf die stark exportorientierten Autohersteller auswirken.
Das Interview führte Claudia Witte, tagesschau.de