Die öffentliche Hand als Bauherr "Die Kosten lassen sich genau berechnen"
Ob Flughafen, Bahnhof oder Philharmonie - selten können öffentliche Bauprojekte Kostengrenzen und Zeitvorgaben einhalten. Dabei habe jedes Projekt seinen Preis, erklärt Josef Zimmermann, Ordinarius für Bauprozessmanagement, im Interview mit tagesschau.de. Den gelte es aber, richtig zu ermitteln.
tagesschau.de: Der Berliner Flughafen eröffnet später und wird teurer. Das ist kein Einzelfall bei öffentlichen Projekten. Übernimmt sich die Politik mit ihrer Rolle als Bauherr?
Josef Zimmermann: Auch wenn die Initiative von der Politik ausgeht - tätig wird die öffentliche Verwaltung. Ausgeschrieben war der Berliner Flughafen ja ursprünglich als PPP-Projekt, als öffentlich-private Partnerschaft. Schon damals hatten die privaten Investoren Probleme, die Kosten im Verhältnis zu den erzielbaren Einnahmen in den Griff zu bekommen. Daraufhin hat die öffentliche Hand die Dinge an sich genommen. Ihr aber stehen die erforderlichen Ressourcen oder Kompetenzen, wie man baut und plant, nicht in hinreichendem Maße zu Verfügung. Das ist auch nicht ihre eigentliche Aufgabe. Dafür wurde dann eine eigene Projektgesellschaft mit Geschäftsführung und Aufsichtsrat gegründet.
Aber: So ein Bau ist eine hochkomplexe Angelegenheit mit mindestens 200 Vertragsbeziehungen. Dafür ist jeweils sehr spezielles technisches, organisatorisches und kaufmännisches Know-how erforderlich. Jetzt ist die Frage, ob die entsprechende Fachkenntnis in diesem konkreten Fall in der Projektgesellschaft ausreichend vorgelegen hat. Meiner Ansicht nach sollte in einem solchen Fall sogar auch ein Aufsichtsrat über eine bestimmte fachliche Kompetenz für den Geschäftszweck der Gesellschaft verfügen, um überhaupt seiner Aufgabe als Kontrollgremium gerecht werden zu können.
Josef Zimmermann studierte Bauingenieurwesen an der RWTH Aachen. Von 1985 bis 2004 war er in der Bau- und Immobilienwirtschaft tätig, ab 1993 als Vorstand oder Geschäftsführer. Seit 2004 ist er Ordinarius des Lehrstuhls für Bauprozessmanagement und Immobilienentwicklung an der TU München.
Der erste Fehler: zu kleine Budgets
tagesschau.de: Warum wird es denn am Ende immer teurer als gedacht?
Zimmermann: Das Problem der Kostenüberschreitung hat seinen Ursprung lange vor Baubeginn. Die wichtigste Frage ist nämlich, ob die Budgets richtig ermittelt werden. Was nur geht, wenn die Planung realistisch ist. Sie muss den Anforderungen der Nutzer und den finanziellen Möglichkeiten der Investoren entsprechen. Den Berlinern waren die Angebote großer deutscher Baufirmen als Generalunternehmer zu teuer. In der Folge hat man die einzelnen Arbeiten wie Rohbau, Ausbau und Technische Gebäudeausstattung mit dem wichtigen Gewerk Brandschutz selbst ausgeschrieben und beauftragt. Wenn man die Kostensteigerung jetzt und die ursprünglich von den Baufirmen veranschlagte Summe vergleicht, dann liegen die Beträge nicht so weit auseinander.
Dazu darf man auch nicht nur einfach die direkten Kosten der einzelnen Gewerke betrachten, sondern muss auch die von den Generalunternehmern angebotenen Leistungen der Organisation, der Projektsteuerung und der einheitlichen Gewährleistung in den Vergleich mit einbeziehen. Die "gefühlte" Kostensteigerung ist also womöglich gar keine echte Kostensteigerung, sondern nur ein zu klein veranschlagtes Budget.
Bauherr muss "Bausoll" vorgeben
tagesschau.de: Welche Rolle spielt der Planungszeitraum?
Stuttgart 21 hat zum Beispiel eine sehr lange Planungszeit, in der womöglich die Preise nicht immer auf den neuesten Stand gebracht wurden. Manchmal vielleicht auch, weil man gar nicht mehr mit einer Umsetzung rechnete. Dabei bauen wir seit tausenden von Jahren. Es ist nicht so, dass wir das grundsätzlich nicht könnten. Die Kosten lassen sich genau berechnen, wenn klar ist, was gebaut werden soll. Dieses "Bausoll" muss der Bauherr definitiv vorgeben.
tagesschau.de: Und warum dauert es immer länger als gedacht?
Zimmermann: Wir wissen ein Jahr vorher, ob wir in einem Jahr fertig sind oder nicht. Immerhin kann man zu jedem Zeitpunkt auf der Baustelle sehen, was bereits fertig gestellt ist und welche Bauleistung noch zu erbringen ist. Dafür gibt es Ablaufpläne. Möglicherweise sind die Ablaufpläne des Berliner Flughafens nicht hinreichend genau oder womöglich nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechend nachgehalten worden. Daraus kann man eigentlich nur folgern: Entweder sind die Projektsteuerer fachlich nicht in der Lage, zu erwartende Terminüberschreitungen zu erkennen, oder sie wollten sie nicht erkennen.
Kein Freund von PPP
tagesschau.de: Würde eine Kooperation von öffentlicher Hand und privaten Geldgebern im Sinne von PPP besser funktionieren?
Zimmermann: Ich bin kein großer Freund solcher Partnerschaften, weil sie am Ende weder für die öffentliche Hand noch für den privaten Investor wirklich von Nutzen sind. Die öffentliche Hand verliert Einflussmöglichkeiten auf die Gestaltung und muss dafür dann mehr bezahlen. So jedenfalls lautet das Ergebnis meiner Untersuchungen, was insbesondere auch im entsprechenden Bericht der Landesrechnungshöfe nachzulesen ist. Natürlich erscheint die Idee charmant, die Kosten zunächst nicht im Haushalt ausweisen zu müssen. Aber das geht auf Kosten der Transparenz für den Steuerzahler.
Außerdem muss ein privater Investor immer höhere Zinskosten kalkulieren als die Bundesrepublik Deutschland, die mit einem AAA gerated ist. Und: Der private Investor bindet sich über sehr lange Zeit an ein Projekt. Das kann für ihn erhebliches Risiko bedeuten. Das Unternehmen muss schließlich Kosten und Leistungen über 25 Jahre und mehr kalkulieren.
tagesschau.de: Wie schneidet Deutschland im internationalen Vergleich ab? Gerade hierzulande scheinen sich ja die Probleme zu häufen: BER, Elbphilharmonie, Stuttgart 21, Jade-Weser-Port, Nürburgring …
Zimmermann: Das ist woanders nicht anders. Wir nehmen das nur nicht so wahr. Die Oper in Sydney ist auch sehr viel teurer geworden als gedacht. Ein Fachmann wusste von Anfang an, dass die Elbphilharmonie für den veranschlagten Preis nicht zu bauen ist. Man kann sich nur darüber wundern, dass immer wieder so getan wird, als ob das ginge. Trotzdem war es nicht falsch, die Oper in Sydney oder auch die Elbphilharmonie zu bauen. Solche Projekte sind von immenser volkswirtschaftlicher und kultureller Bedeutung. Das gilt auch für den Flughafen Berlin-Brandenburg.
Jedes Projekt hat seinen Preis
tagesschau.de: Wie lassen sich Baukosten und Baudauer im Rahmen halten?
Zimmermann: Im Prinzip hat jedes Projekt seinen Preis, egal, wie es finanziert wird. Man muss vor allem konkret wissen, was und wie viel man überhaupt bauen will. Und diese Vorgaben muss man dem Architekten und allen Fachplanern machen können. Kostensteigerungen hängen meistens damit zusammen, dass in der Projektsteuerung, die genau dafür verantwortlich ist, derartige Kapazitäten und Kompetenzen nicht in ausreichendem Maße vorhanden sind.
tagesschau.de: Wann, glauben Sie, werden Sie das erste Mal auf dem Willy-Brandt-Flughafen landen können?
Zimmermann: Ich glaube nicht, dass der März-Termin zu halten ist. Diese Vermutung beruht allerdings nicht auf eigener Anschauung. Aber die Berichterstattung über die Äußerungen des neuen Technikchefs Horst Amann legt diesen Schluss nahe. Der verschafft sich erst mal Luft - wozu ich ihm auch raten würde. Denn die Probleme liegen vermutlich nicht nur im Brandschutz.
Das Interview führte Ute Welty, tagesschau.de