20-Pfund-Noten

Deal or No Deal? Britisches Pfund im Brexit- und Corona-Sog

Stand: 30.06.2020 13:42 Uhr

Heute endet wieder mal eine Brexit-Frist: Der Euro befindet sich auf einem Höhenflug gegenüber dem britischen Pfund. Die Akteure auf den Devisenmärkten trauen der EU also mehr zu als der britischen Wirtschaft. Aber ist das auch positiv für die Eurozone?

Noch bis zum Ende des heutigen Tages kann die britische Regierung eine Verlängerung der Übergangsphase über das Jahresende 2020 hinaus beantragen. Allerdings hat sie diese Option bislang ausgeschlossen. Immerhin nehmen Großbritannien und die EU ihre festgefahrenen Verhandlungen über ein Handelsabkommen nach dem Brexit wieder auf.

Brüssel bietet London ein umfassendes Handelsabkommen mit Zugang zum EU-Markt ohne Zölle und Mengenbegrenzung, fordert aber dafür gleich hohe Sozial-, Umwelt- und Verbraucherstandards. Großbritannien will keine Vorgaben der EU akzeptieren.

"Wie ein schlechter Film"

Viele deutsche Unternehmen sind pessimistisch, was die Chance auf einen Deal betrifft. Mit einem Scheitern der Verhandlungen rechnen 30 Prozent der Firmen, die mit Großbritannien Geschäfte machen, wie eine aktuelle Umfrage des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) zeigt. Sollte bis zum Jahresende kein Abkommen gelingen, droht ein harter wirtschaftlicher Bruch. In diesem Fall planen laut BDI 30 Prozent der 248 befragten Firmen mit Verbindungen zum Vereinigten Königreich Stellenkürzungen.

Wie wird es also weitergehen? Karen Ward, Marktstrategin bei der US-Bank JPMorgan prognostiziert, dass beide Seiten bis zum Herbstbeginn weiterhin laut mit den Säbeln rasseln werden, um möglichst viele Zugeständnisse zu erreichen. "Es wird so aussehen, als bestünde keine Aussicht auf ein Abkommen", erwartet Ward. "Mit näher rückendem Jahresende dürfte sich jedoch der Pragmatismus durchsetzen und eine Lösung gefunden werden."

Es sei wie ein schlechter Film, schreibt Sonja Marten, Analystin bei der DZ Bank. "Vier Jahre sind seit dem britischen Brexit-Referendum vergangen und schon wieder steht das Land am Abgrund eines harten Schnittes mit der EU."

"Nach hinten losgegangen"

"Im Krisenmanagement hat die britische Regierung alles andere als geglänzt", kommentiert Christian Apelt, Devisenexperte bei der Helaba. "Premierminister Boris Johnson hatte den Briten schnelle, neue Freihandelsabkommen versprochen, eine enge Anlehnung an die USA und solide Finanzen", sagt Ivan Mlinaric von Quant Capital Management. "Und dann wollte man auch noch die eigene Unabhängigkeit deutlich machen, indem man bei der Pandemie-Bekämpfung einen Sonderweg ging." Das alles sei tüchtig nach hinten losgegangen.

Tatsächlich sieht die ökonomische Lage in Großbritannien nicht zuletzt auch wegen der Corona-Pandemie alarmierend aus. Im April war die Wirtschaftsleistung im Vergleich zum Vormonat um mehr als 20 Prozent eingebrochen. Der Einbruch war dreimal so scharf, wie bei in der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/09.  

Die Bank of England hatte unlängst erklärt, dass die Wirtschaft im ersten Halbjahr um bis zu 20 Prozent schrumpfen könne. Ähnlich wie der Rest der Welt reagieren Notenbank und Regierung mit milliardenschweren Rettungspaketen, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. "Die wirtschaftlichen Folgen eines abrupten Endes der Übergangsphase würden vor diesem Hintergrund kaum auffallen, wird so mancher Brexit-Hardliner denken", kommentiert Apelt.

Weitere Kursinformationen zu Britisches Pfund in Euro

"Perfekter Sturm für das Pfund"

Zuletzt hatte das britische Pfund zur Gemeinschaftswährung deutlich abgewertet. Derzeit braue sich ein fast schon perfekter Sturm über der Währung zusammen: Corona, die anhaltende schwere Rezession und natürlich der nahende Brexit, so Marten. An den Devisenmärkten spiegeln sich die Erwartungen von Ökonomen und des Finanzmarktes wider.

Offenbar rechnen viele Marktteilnehmer damit, dass die geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen der EU den Volkswirtschaften der Eurozone zu Vorteilen gegenüber der von Brexit-Unsicherheiten geplagten britischen Wirtschaft verhelfen können.

Karen Ward, Expertin bei JPMorgan, stellt dazu fest, dass nahezu 80 Prozent der Umsätze aller FTSE 100-Unternehmen, also der größten britischen Konzerne, die am Aktienmarkt notiert sind,  aus dem Ausland stammen. Sollte das Pfund weiter abwerten, hätte das laut Ward positive Auswirkungen auf den Gewinn. Außerdem sorgt das billigere Pfund dafür, dass britische Produkte im Ausland billiger sind, was die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft erhöht.

Und so wird, was als Schwäche eingeschätzt wird, letztlich vielleicht zu einer Stärke. Der starke Euro dürfte aktuell ein weniger großes Problem für Boris Johnson sein.   

ts

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 30. Juni 2020 um 12:31 Uhr.