Virtuelle Realität Goldgräberstimmung im Metaversum
Sie heißen "The Sandbox" oder "Decentraland": In virtuellen Welten bewegen Investoren inzwischen Millionensummen. Vor allem "virtuelles Land" wird zum Spekulationsobjekt. Und große Konzerne wollen mitmischen.
So wirklich überzeugend ist ein Demo-Rundgang durch das "Decentraland" nicht: Man kann ein Casino besuchen, auf einem Drachen fliegen oder mit seinem Avatar in einer virtuellen Bar am Tresen stehen. Das ist ganz nett, hat aber etwas von einem fehleranfälligen "Open-World-Spiel" - und weniger von einer bahnbrechenden virtuellen Welt. Wer möchte, kann jedoch dank Kryptowährungen Unsummen in Decentraland investieren. Und das wollen gerade sehr, sehr viele. Was ist da los?
"Eine riesige Spekulationsblase"
Online-Welten wie "Decentraland" oder "The Sandbox" vermarkten sich inzwischen als "Metaversen". Das sind virtuelle Welten, die im weitesten Sinne der realen Welt nachempfunden sind - nur, so das Versprechen, bunter, aufregender und grenzenlos. Spätestens seitdem sich Facebook in "Meta" umbenannt hat, und perspektivisch vom Sozialen Netzwerk zum Virtual-Reality-Anbieter werden will, ist ein Hype um die Parallelwelten entstanden.
Ein paar Beispiele: Für umgerechnet 2,4 Millionen US-Dollar hat sich ein Investor virtuelles Land im "Fashion District" von "Decentraland" gekauft. Der Spieleentwickler Atari verkaufte ein Grundstück in "The Sandbox" für mehr als vier Millionen Dollar. Und für eine Parzelle neben der virtuellen Villa von Rapper Snoop Dogg muss man schon mal eine halbe Million Dollar hinlegen. "Eine riesige Spekulationsblase", sagt Tilman Baumgärtel, Medienwissenschaftler an der Hochschule Mainz. "Das sieht man allein schon daran, wie die Preise durch die Decke gehen."
Bezahlt wird mit Kryptogeld: Im virtuellen Casino von "Decentraland".
Künstler und Konzerne geben dem Trend weiteren Auftrieb
Befeuert wird der Hype auch durch Künstler, die virtuelle Konzerte im Metaverse geben. Und nicht zuletzt durch etablierte Unternehmen, die neue Geschäftsmodelle erproben wollen. Nike erwarb kürzlich einen Hersteller von virtuellen Sneakern. Auch Adidas mischt inzwischen mit. "Gerade aus Sicht von Konsumgüter-Marken macht es durchaus Sinn, sich dort auszuprobieren", sagt Philipp Sandner, Wirtschaftswissenschaftler an der Frankfurt School of Finance & Management. Eine junge Zielgruppe ziehe sich bereits aus Sozialen Medien zurück, sei aber über Online-Welten sehr gut erreichbar. Eine Tendenz, die anhalten dürfte, meint Sandner: "Ich habe früher noch Panini-Bilder gesammelt. Es kann gut sein, dass meine sechs Jahre alte Tochter in Zukunft ihr Geld für digitale Statussymbole ausgibt".
Geschäft mit digitalen Waffen
"Im Gaming-Bereich werden digitale Rüstungen oder Waffen schon längst für viel Geld gehandelt", sagt Medienwissenschaftler Baumgärtel. Aus der Netzkultur wird nun ein Investoreninteresse. Technische Grundlage dieses neuen Booms nach virtuellen Gütern sind verschiedene Kryptowährungen. Besitztümer werden im Metaversum als sogenannte NFTs, Non-Fungible Tokens, hinterlegt. Diese lassen sich nicht wie Geld einfach eintauschen, sondern entsprechen eher digitalen Eigentumszertifikaten. Bei virtuellen Grundstücken kann man sich einen NFT damit als Grundbucheintrag vorstellen.
Vor allem auf dem Kunstmarkt haben NFTs zuletzt Schlagzeilen gemacht. Digitale Kunstwerke, aber auch Memes oder virale Videos, werden für Millionensummen versteigert. Ein Kunstgriff im wahrsten Sinne, bei dem versucht wird, ein ureigenes "Problem" digitaler Werke zu lösen: nämlich, dass sie sich ohne Wertverlust kopieren lassen. Denn anders als bei physischen Kunstwerken gibt es kein Originalwerk. NFTs stellen letztlich Exklusivität künstlich her, indem sie einen Käufer zum Eigentümer eines digitalen Werkes machen, das sich prinzipiell jeder herunterladen kann. "Die Ausschlussmechanismen des konventionellen Marktes werden im virtuellen wieder eingezogen", sagt Baumgärtel. Die "künstliche Verknappung" greift auch bei virtuellem Land, das sich mit Rechenleistung ja theoretisch unendlich erweitern lässt.
Noch mangelt es an passenden Geräten
Doch da liegt auch eine Gefahr für die Investoren: "Man weiß eben nicht, welche Metaversum-Plattform sich durchsetzen und somit andere verdrängen wird", sagt Wirtschaftswissenschaftler Sandner. "Technisch ist das alles interessant, aber sollte man investieren? Ich bin skeptisch." Trotzdem gebe es sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten: Virtuelle Meetings oder auch virtueller Tourismus könnten in wenigen Jahren an Bedeutung gewinnen. Noch fehle allerdings auch die Verbreitung der passenden Endgeräte, sagt Sandner, zum Beispiel Virtual-Reality-Brillen. "Klar ist, wir stehen in der Entwicklung noch ganz am Anfang."
Bei Medienwissenschaftler Baumgärtel werden Erinnerungen wach an die Zeit Anfang der 2000er-Jahre. Damals trat "Second Life" an, um zur virtuellen Parallelwelt zu werden. "Meines Wissens ist da nicht mehr ganz so viel los", scherzt Baumgärtel. Im Finanzbereich sieht man jedoch unglaubliches Potenzial, wie eine kürzlich veröffentliche Schätzung der Bank JP Morgan verdeutlicht: Bereits in den kommenden Jahren könnte demnach im Metaversum eine Summe von mehr als einer Billion Dollar umgesetzt werden. Die Goldgräberstimmung im Metaversum hat also gerade erst begonnen.