Bundestagsabstimmung über Euro-Rettungsschirm Vier Stimmen im Plus oder 15 im Minus?
Am Ende stand sie doch: die Kanzlermehrheit. Bei der Abstimmung über die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms brachte Schwarz-Gelb die symbolisch wichtige Mehrheit zusammen - es fehlten aber 15 Stimmen aus dem eigenen Lager. Die Opposition sieht die Regierung daher geschwächt.
Viel Lärm um Nichts? Bei der entscheidenden Abstimmung im Bundestag über die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms EFSF hat die schwarz-gelbe Koalition die symbolisch wichtige Kanzlermehrheit zusammengebracht - mit vier Stimmen Vorsprung. 315 Abgeordnete stützten den Kurs der Regierung. Es gab 15 Abweichler. Insgesamt war die Zustimmung zum EFSF überwältigend: 523 Abgeordnete stimmten dafür, 85 Parlamentarier waren dagegen, drei enthielten sich.
Beifall von der EU-Kommission
In Europa wurde das Ja des Bundestags begrüßt. Beifall kam von der EU-Kommission. Auch Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker äußerte sich erfreut. Die Abstimmung sei ein deutliches Signal, dass die Euro-Staaten die EFSF-Reform spätestens bis Mitte Oktober ratizifieren würden, sagte er. "Sie haben Europa und die Welt daran erinnert, dass Deutschland voll an den europäischen Solidaritätsvorkehrungen beteiligt ist", lobte auch Frankreichs Europaminister Jean Leonetti.
"Ein gutes Zeichen"
Mitglieder der Koalition zeigten sich nach der Abstimmung erleichtert. Ein Verfehlen der Kanzlermehrheit wäre als Vertrauensverlust für Kanzlerin Merkel gewertet worden und hätte den brüchigen Zusammenhalt in der Koalition gefährdet. Nach Ansicht von Unionsfraktionschef Volker Kauder und seines FDP-Kollegen Rainer Brüderle zeigt das Ergebnis, dass die Koalition handlungsfähig ist. Es handele sich auch um ein gutes Zeichen an Europa und die Märkte. FDP-Chef Philipp Rösler sprach von einer "starken, klaren Entscheidung". "Wir starten mit einem klaren Sieg der Koalition in die zweite Halbzeit der Legislaturperiode." CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe wertet die deutliche Mehrheit im Bundestag als Vertrauensbeweis für den europapolitischen Kurs von Kanzlerin Angela Merkel.
Zustimmung aus Angst vor Machtverlust?
Widerspruch kam von der Opposition. Aus Angst vor dem Machtverlust hätten Union und FDP die Reihen nochmal geschlossen, unkte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sagte, viele Abgeordnete hätten aus Angst vor dem Wähler ihre Bedenken über Bord geworfen. Linkspartei-Fraktionschef Gregor Gysi prophezeite, in der Koalition werde es weiter bröckeln, sodass es 2012 zu Neuwahlen komme. Seine Partei lehnte die EFSF-Ausweitung geschlossen ab.
Debatte im Bundestag
Der Abstimmung im Bundestag war eine längere Debatte vorausgegangen. Unionsfraktionschef Volker Kauder bezeichnete die Entscheidung über den erweiterten EFSF als Paradigmenwechsel in der Europa-Politik. "Von einem Europa der nationalen Regierungen sind wir auf dem Weg zu einem Europa der Parlamente." Der Bundestag habe künftig bei Entscheidungen über Nothilfen eine so starke Stellung wie nie zuvor, lobte Kauder.
Als Hauptredner der SPD trat Ex-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück an. Er warf Merkel vor, ihre Strategie, mit immer neuen Rettungspaketen Zeit zu kaufen, sei gescheitert: "Ihnen und Ihrer Regierung fehlt die wichtigste politische Qualität in Zeiten der Gefahr - Vertrauen", warf Steinbrück der Kanzlerin vor.
"Wir sind in einer außergewöhnlich schwierigen Lage, weil die Nervosität an den Finanzmärkten groß ist", räumte Finanzminister Wolfgang Schäuble im Bundestag ein. Zugleich wies er Befürchtungen vor noch höheren, verstecken Haftungsrisiken zurück.
Kritik an Lammert von allen Seiten
Ein Nachspiel dürfte das Vorgehen von Bundestagspräsident Norbert Lammert haben. Er hatte zwei erklärten Euro-Kritikern von Union und FDP ein Rederecht erteilt. Unabhängig von der Redezeit für Union und FDP gewährte er den Abgeordneten Klaus-Peter Willsch (CDU) und Frank Schäffler (FDP) jeweils fünf Minuten am Rednerpult. Ihre eigenen Fraktionen hatten sie nicht als Redner gesetzt. Sie gehören zu den 15 Abweichlern. Lammert verwies auf das Rederecht, dass beide "als Mitglied des Deutschen Bundestags selbstverständlich haben".
"Mit demokratischen Gepflogenheiten hat das nichts zu tun", kritisierte dagegen der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Peter Altmaier, nach der Abstimmung. Auch im Ältestenrat stieß Lammerts Vorgehen auf Unverständnis. Auf Beschluss des Gremiums soll diese Praxis daher zunächst nicht fortgesetzt werden. Die rechtliche Lage soll nun zunächst der Geschäftsordnungsausschuss feststellen.
Aus der Opposition kam ebenfalls Kritik an Lammert. Es sei noch nie vorgekommen, dass Abgeordnete aus einer Fraktion mit abweichender Meinung unabhängig von der Fraktionsredezeit im Plenum hätten sprechen dürfen, sagte Linkspartei-Fraktionschef Gysi.
Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele kündigte an, er bestehe auf Gleichbehandlung. Seit zehn Jahren bemühe er sich vergeblich, zum Thema Krieg in Afghanistan im Plenum sprechen zu dürfen, was ihm seine Fraktion verweigere. Notfalls werde er als Mitglied des Bundestags nun sein Recht auf Rede und Gleichbehandlung beim Verfassungsgericht einklagen.