Energiewende Droht im Winter die "Dunkelflaute"?
Deutschland steigt schrittweise aus Atom- und Kohlestrom aus. Doch wenn das Land nur noch mit Erneuerbaren Energien versorgt wird: Was passiert, wenn weder die Sonne scheint noch Wind weht?
Wenn es im Winter kalt und dunkel wird, verbrauchen die Deutschen mehr Strom als sonst: Heizungen, Licht, Fernseher laufen eben mehr, wenn sich Menschen drinnen aufhalten. So weit, so normal. Doch das könnte zum Problem werden, warnt Professor Harald Schwarz von der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus.
Denn wenn es dunkel ist, wird kein Solarstrom produziert: "Dann ist die Photovoltaikerzeugung de facto null, obwohl wir Solaranlagen mit 50 Gigawatt Leistung in Deutschland installiert haben." Regt sich gleichzeitig kein Lüftchen, fällt auch der Windstrom weitestgehend aus. "Da reden wir von zwei bis fünf Gigawatt tatsächlicher Leistung, obwohl Anlagen mit 60 Gigawatt Leistung installiert sind", präzisiert Schwarz. Was dann entsteht, ist die sogenannte "kalte Dunkelflaute".
Wird der "Tag X" zum ernsthaften Problem?
Das Schreckensszenario ist eine Extremsituation, die theoretisch nur an wenigen Tagen im Jahr auftritt. Doch diese "Tage X" könnten in Zukunft darüber entscheiden, ob die Energiewende mit Atom- und Kohleausstieg gelingt. Denn bislang konnte sich Deutschland im Ernstfall immer auf seine konventionellen Kraftwerke verlassen - vor allem aus Kohle und Atom.
Doch genau diese Kraftwerke werden in den nächsten Jahren reihenweise stillgelegt. Laut Schwarz droht Deutschland in der Folge eine klassische "Stromlücke" - wenn eben auch nur an einigen Tagen. "Bereits 2023 fehlen uns 15 bis 20 Gigawatt gesicherter Leistung", so Schwarz - und genau das werde an einem "Tag X" zum Problem.
In den folgenden Jahren würde sich das Problem weiter verschärfen - denn auf den Atomausstieg folgt unmittelbar der schrittweise Ausstieg aus der Kohleverstromung. Und Stromspeicher seien bislang nicht in der Lage, das Problem zu lösen. "Wir haben heute Kapazitäten, mit denen können wir Deutschland für ganze 30 bis 60 Minuten versorgen, aber nicht für eine andauernde Dunkelflaute", warnt Schwarz. Heißt: Stromerzeugung und Stromverbrauch müssen in jeder Minute identisch sein.
Die Bundesnetzagentur rechnet anders
Bis vor drei Jahren galt in Deutschland: Die "gesicherte Erzeugerleistung" muss jederzeit in der Lage sein, den maximalen Strombedarf zu decken. Sprich: es muss rechnerisch immer klar sein, dass genug Strom auch für den Extremfall vorhanden ist. Das ist inzwischen nicht mehr so. Die für die Versorgungssicherheit zuständige Bundesnetzagentur nennt diese Kalkulationsweise veraltet.
Inzwischen berechne man stattdessen, wie wahrscheinlich es sei, dass ein solcher Fall eintrete. Das Ergebnis des "Stresstests": Im Durchschnitt sei gerade einmal für rund 40 Minuten im Jahr nicht die komplette Stromversorgung gesichert. Doch selbst dann gingen die Lichter in Deutschland nicht einfach aus: "In dieser Zeit kann der überwiegende Teil der Last gedeckt werden, lediglich ein ganz kleiner Teil könnte nicht am Markt bedient werden", betont die Bundesnetzagentur.
Agentur setzt auf mehrere Notfall-Mechanismen
Der "ganz kleine Teil", das sind einige große Industrieanlagen, die kurzfristig vom Netz genommen würden - Aluminiumhütten etwa. Mit diesen Großabnehmern sind solche Regelungen vertraglich vereinbart. Zudem gibt es noch Ersatzkraftwerke, die dann hochgefahren würden: "Für solche Fälle steht die Kapazitätsreserve in Deutschland bereit." Diese beträgt ab Oktober nächsten Jahres zwei Gigawatt. Laut Bundesnetzagentur reicht das aus, um die Stromversorgung für die breite Masse jederzeit sicherzustellen.
Außerdem ist es laut Bundesnetzagentur nicht mehr zeitgemäß, nur auf die deutschen Kraftwerke zu schauen. Schließlich sei der europäische Strommarkt schon länger Realität. Und wenn Deutschland mehr Strom brauche, könne es diesen in der Regel auch am Markt bekommen.
Hier widerspricht Energieexperte Schwarz. Im Fall einer deutschlandweiten Dunkelflaute sei "niemand darauf eingerichtet, Deutschland in jedem Fall mitzuversorgen." Zudem könne ja auch in den Nachbarländern wenig Wind wehen und die Sonne nicht scheinen. Ein weiteres Problem seien die Leitungen: "Das europäische Verbundnetz ist nie dafür gebaut worden, ganze Länder über Grenzen hinweg mit Strom zu versorgen."
"Reihenweise Szenarien mit Extremfällen durchgerechnet"
Die Bundesnetzagentur erklärt, all dies sei in den Simulationen berücksichtigt. Genau dafür habe man reihenweise Szenarien mit Extremfällen durchrechnen lassen. Diese zeigten für die nächsten Jahre keine unbeherrschbaren Probleme - und man aktualisiere die Prognosen laufend. Sollte ein Engpass kommen, bleibe genug Zeit, zu reagieren. "Wir sehen so etwas vorher in den Rechnungen auf zehn Jahre im Voraus", versichert die Agentur.
Experte Schwarz will nicht als Verweigerer der Energiewende verstanden werden. "Es ist völlig unstrittig, dass wir uns hin zu einer CO2-ärmeren Stromerzeugung entwickeln müssen, und ich würde mich freuen, wenn es klappt", sagt er. "Aber ich kann nicht erkennen, wie das sichergestellt ist." Wenn es aber so klappt, wie die Bundesnetzagentur es berechnet hat, merken die Menschen in Deutschland von einer "Dunkelflaute" wahrscheinlich: gar nichts.