EU-Gipfel in Brüssel Die Angst vor dem Scheitern
Die Staats- und Regierungschefs der EU ringen noch immer um eine Lösung um Streit um den Haushaltsplan für die kommenden Jahre. Die Verhandlungen aller Gipfelteilnehmer wurden am frühen Morgen unterbrochen. Nun soll in kleinen Gesprächsrunden ein Durchbruch erzielt werden.
Von Wolfgang Landmesser, WDR-Hörfunkstudio Brüssel
Nach einem schnellen Kompromiss hörte es sich nicht an beim Eintreffen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Die Bundeskanzlerin drückte es so aus: "Die Positionen sind noch weit auseinander. Für Deutschland darf ich sagen, dass wir alles daran setzen werden, dass ein solches Abkommen zustande kommt. In der heutigen Zeit mit wirtschaftlicher Unsicherheit und Arbeitslosigkeit ist es von großer Bedeutung, dass Planbarkeit herrscht." Angela Merkel als ehrliche Maklerin. Diese Rolle würde sie auf dem Haushaltsgipfel gerne spielen.
Aber noch gibt es viele Fragen zu klären. Da sind die sogenannten Nettozahler: Die Länder, die mehr in den EU-Haushalt einzahlen, als sie zurückbekommen. Darunter natürlich Deutschland. Sie wollen die geplanten Ausgaben für die kommenden sieben Jahre noch einmal kürzen.
Beim vergangenen Haushaltsgipfel hatte Ratsvorsitzender Herman van Rompuy Einschnitte in Höhe von 80 Milliarden Euro vorgeschlagen. Viel zu wenig, findet der britische Premierminister David Cameron. "Wenn die Zahlen nicht deutlich nach unten korrigiert werden, dann wird es keinen Deal geben."
Für ihren nächtlichen Gipfelmarathon stärkten sich die Staats- und Regierungschefs in Brüssel mit einem Drei-Gänge-Menü, das beiden Fraktionen gerecht wurde - den Fisch- und Fleischfreunden. Als Vorspeise servierten die Kellner gratiniertes Seezungenfilet, zum Hauptgang wurde als Ablenkung von der zähen Haushaltsmaterie zartes Perlhuhnbrüstchen gereicht. Abgerundet wurde der kulinarische Teil des Abends von gesalzenem Biskuit mit Erdbeeren.
Dagegen wollen die Nettoempfänger, also Länder in Süd- und Osteuropa, möglichst wenig Kürzungen bei den Ausgaben für strukturschwache Regionen hinnehmen. Also keine größeren Einschnitte mehr in den Haushalt. "Uns kommt es sehr auf die Qualität des Ergebnisses an - sowohl was die Priorität Wirtschaftswachstum angeht als auch die Gleichheit und Gerechtigkeit zwischen den Mitgliedsstaaten", sagt Italiens Ministerpräsident Mario Monti.
In diesen Appell an die Solidarität stimmt auch der französische Präsident Francois Hollande ein. Zugleich will Frankreich möglichst wenig am klassischen Agrarhaushalt kürzen. Kein Wunder, davon profitiert das Land überdurchschnittlich. "Wenn sich Europa für einen Kompromiss von einer gemeinsamen Politik verabschieden würde, die Landwirtschaft vergessen und das Wachstum ignorieren würde, wäre ich nicht einverstanden."
Viele Einzelgespräche
Mit mehrstündiger Verspätung begannen schließlich die Verhandlungen. Vorab hatte es noch jede Menge Einzelgespräche gegeben. Unklar ist, ob Ratspräsident van Rompuy in großer Runde - wie ursprünglich geplant - seinen neuen Kompromissvorschlag präsentieren wird. Darin sollten eigentlich Einschnitte bei den Verwaltungskosten der EU genannt werden - gefordert vor allem von den Briten. Auch die Ausgaben, die Europa wettbewerbsfähiger machen sollen, werden betroffen sein. Forschung, Bildung, grenzüberschreitende Stromleitungen oder Verkehrsverbindungen.
Der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker warnt vor kurzsichtigen Entscheidungen. "Es geht hier um die Finanzierung von konkreter Politik. Wir haben Inhalte vereinbart, wir haben große Reden geschmettert, mehr gegen Arbeitslosigkeit und gegen Jugendarbeitslosigkeit zu tun. Wer jetzt weiter Abstriche vornehmen will, muss sagen, was er eben nicht mehr machen möchte."
Und wenn es wieder keine Einigung geben sollte wie schon im November, dann wäre das sowieso kein gutes Signal nach außen.
Mit dem Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) legt die EU Obergrenzen und Schwerpunkte ihrer Haushalte fest. Für einen Zeitraum von sieben Jahren werden unter anderem die maximalen Gesamtausgaben und die Verteilung auf wichtige Aufgabenbereiche vereinbart. Innerhalb dieser Vorgaben müssen sich später die jährlichen Etats bewegen.
Wie der MFR zustande kommt, ist im Vertrag von Lissabon festgelegt. Es handelt sich im Kern um eine Verordnung. Den Vorschlag dafür legt die EU-Kommission vor. Im nächsten Schritt verhandeln die Regierungen der EU-Staaten über einen Kompromiss, sie können die MFR-Verordnung nur einstimmig beschließen. Zuvor muss aber auch das Europaparlament zustimmen. Wegen des drohenden Vetos beeinflussen die Änderungswünsche der Parlamentarier die Beratungen der Regierungen der EU-Staaten. Kommt es nicht rechtzeitig zu einer Einigung, gelten die Obergrenzen des letzten Jahres aus dem vorangegangenen MFR zunächst weiter.