Fragen und Antworten Auf der Suche nach Fachkräften
Fachkräftemangel - dieses Thema wird seit mehr als einem Jahrzehnt diskutiert. Und die Erkenntnis, dass der demografische Wandel die Gesellschaft altern lässt, ist sogar noch älter. Die Regierung hat mit Wirtschaft und Gewerkschaften einen neuen Anlauf zur Lösung des Problems unternommen. Aber wie groß ist es eigentlich? tagesschau.de hat Zahlen und Fakten zusammengestellt.
Wo besteht überhaupt ein Fachkräftemangel?
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) sieht keinen flächendeckenden Fachkräftemangel, aber Engpässe in einzelnen Berufsgruppen und Regionen. Aktuell herrsche Fachkräftemangel in einigen Ingenieurberufen (Maschinen- und Fahrzeugbau, Elektrotechnik), bei Ärzten sowie im Gesundheits- und Altenpflegebereich.
Fachkräftemangel herrscht nach BA-Definition dann, wenn Stellen länger als im Durchschnitt unbesetzt bleiben und es weniger als 150 Arbeitslose pro 100 Jobangebote gibt - oder wenn es dort sogar weniger Arbeitslose als gemeldete Stellen gibt.
Auch Alexander Kubis vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) beschwichtigt: "In Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs ist es ganz normal, dass Fachkräfte gesucht werden." Viele Experten meinen aber, dass vor allem Ingenieure und Pflegekräfte fehlen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) kam Ende 2010 in einer Studie hingegen zu dem Ergebnis, ein Fachkräftemangel sei nicht zu erkennen.
Wie groß ist das Problem?
Branchenverbände wie der Verband der Ingenieure (VDI) und einige den Arbeitgebern nahe stehende Organisationen wie das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) überschlagen sich mit Alarmmeldungen: Der VDI spricht von 69.000 fehlenden Ingenieuren. Arbeitgeber und Industrie beziffern den Fachkräftemangel im Bereich Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (kurz: MINT) auf Grundlage der IW-Berechnungen auf derzeit 150.200 Personen.
Holger Hinte vom Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) nennt alle diese Zahlen Momentaufnahmen, da man mit vielen Unbekannten rechne. Die tatsächlichen Zahlen könnten darüber oder darunter liegen.
Laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) kommen bei Maschinenbau-Ingenieuren zum Beispiel derzeit auf drei offenen Stellen nur ein arbeitsloser Ingenieur. Bei den Elektroingenieuren sieht es nicht besser aus.
Auch Pflegekräfte werden schon heute händeringend gesucht. In diesem Bereich besteht ein doppeltes Demografieproblem: Einerseits gibt es immer mehr ältere, pflegebedürftige Menschen. Schon jetzt steigt also der Bedarf, der in Zukunft von weniger Erwerbstätigen gedeckt werden muss.
Welche Auswirkungen hat das?
Die Wirtschaft sieht Deutschlands Wirtschaftswachstum in Gefahr. Schon jetzt gehe der Volkswirtschaft durch den Ingenieurmangel Wertschöpfung durch die Lappen: Das IW Köln beziffert die Einbußen für die vergangenen zwölf Monate auf rund zehn Milliarden Euro. Die Beratungsgesellschaft Ernst & Young rechnet vor, dass den Firmen durch den Fachkräftemangel in diesem Jahr mindestens 30 Milliarden Euro entgingen.
Wie sieht die Zukunft aus?
Die Demografie schlägt zu: Nun gehen die geburtenstarken Nachkriegsjahrgänge in Rente. Es kommen weniger Junge nach, die Gesellschaft altert. Das heißt auch, dass die Zahl der Erwerbslosen in Deutschland, also die Zahl der Menschen, die arbeiten können, bis zum Jahr 2025 um schätzungsweise 6,5 Millionen sinkt. Damit fehlen auch Fachkräfte. Dass also ein flächendeckender Fachkräftemangel droht, darin sind sich die Experten zumindest weitgehend einig.
Schon jetzt gibt es in vielen naturwissenschaftlichen und technischen Fachrichtungen weniger Nachwuchskräfte als alte Hasen. Im Maschinen- und Fahrzeugbau stehen gerade einmal 77 jungen Akademikern 100 älteren gegenüber. Nach Berechnungen des IW müssen derzeit jährlich 35.600 Ingenieure ersetzt werden, die altersbedingt ausscheiden. In den Jahren 2023 bis 2027 werden es demnach schon 48.300 sein. Wenn nichts passiert, warnt IW-Experte Oliver Koppel, werde sich die Fachkräftelücke in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik bis zum Jahr 2020 auf 300.000 Personen vergrößern.
Das Problem ist lange bekannt - warum steht die Lösung noch aus?
"Weil man das Problem noch nicht gespürt hat", sagt Koppel vom IW. "Das ist, als werde einem Gesunden gesagt, er werde in 20 Jahren krank." Zwar gab es auch in der Vergangenheit immer wieder Klagen aus der Wirtschaft, ihr fehlten die Fachkräfte - allerdings vor allem in den Boom-Zeiten. In den vergangenen zehn Jahren machten mehrfach wirtschaftliche Einbrüche die Fachkräftelücke vergessen. Ein weiterer Impuls, das Problem auf die lange Bank zu schieben.
Welche grundsätzlichen Lösungsansätze gibt es?
Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, wo die fehlenden Fachkräfte herkommen könnten: Aus dem Inland oder aus dem Ausland.
Im Inland könnten zum Beispiel bislang ungenutzte Arbeitskräftepotenziale genutzt werden: Ältere Arbeitnehmer reaktivieren, den Renteneintritt verschieben oder Eltern für den Arbeitsmarkt gewinnen, die wegen mangelnder Kinderbetreuungsangebote nicht oder nicht Vollzeit arbeiten.
Andere Experten verweisen auf die knapp drei Millionen Menschen in Deutschland, die arbeitslos gemeldet sind. Wie viele dieser Arbeitslosen allerdings durch Weiterqualifikation zu gesuchten Fachkräften werden könnten, das wird von den Experten sehr unterschiedlich bewertet.
Eine weitere Möglichkeit ist die gesteuerte Zuwanderung – also die Anwerbung qualifizierter ausländischer Arbeitskräfte nach den Bedürfnissen des deutschen Arbeitsmarkts. Durch Zuwanderung könnten zehn bis 15 Prozent des Fachkräftemangels ausgeglichen werden, meint Experte Hinte. Das sei aber schwer umzusetzen, weil dafür die gesellschaftliche Akzeptanz fehlte, meint Hinte. Deshalb wollte sich die Politik bislang zu Schritten in dieser Richtung nicht entschließen.