Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt
analyse

EZB feiert Jubiläum 25 Jahre voller Höhen und Tiefen

Stand: 24.05.2023 16:11 Uhr

Die Europäische Zentralbank rettete den Euro und sorgte jahrelang für stabile Preise. Doch zuletzt lief ihr die Inflation aus dem Ruder. Wie steht die EZB ein Vierteljahrhundert nach ihrer Gründung da?

"Here comes the Euro": Mit diesen einfachen Worten begrüßte Wim Duisenberg, der damalige Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), vor rund 25 Jahren die neue europäische Gemeinschaftswährung. Der Niederländer trat unkonventionell und locker auf. Damit machte er das neue Geld schnell populär, auch wenn er zugeben musste, dass der Euro schon damals ein "Teuro" war.

Insgesamt aber war die Wirtschafts- und Finanzwelt noch in Ordnung. So konnte sich die EZB auf ihre Kernaufgabe, die Preise in Schach zu halten, konzentrieren und ruhig und gelassen ihren Platz in der internationalen Welt der Notenbanken suchen.

25 Jahre Europäische Zentralbank

Klaus Rainer Jackisch, HR, tagesschau, 24.05.2023 12:00 Uhr

Eine Krise jagt die andere

Heute, ein Vierteljahrhundert später, sieht die Welt völlig anders aus: Die jetzige Präsidentin, Christine Lagarde, wäre wohl froh, hätte sie noch ein Umfeld wie zu Duisenbergs Zeiten. Stattdessen jagt die Französin seit ihrem Amtsantritt im Herbst 2019 von einer Krise zur nächsten: Corona-Pandemie, Zusammenbruch der Lieferketten, Russlands Krieg gegen die Ukraine, Energie-Debakel, Spannungen mit China.

Alles fachte direkt oder indirekt die Inflation an, die zeitweise Rekordhöhe erreichte und auch weiterhin so hoch ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Lagarde blieb bislang nichts erspart.

Akribische Vorbereitung zum Start

In diesen wirren und turbulenten Zeiten feiert die Europäische Zentralbank nun diese Woche mit viel Pomp und prominenten Gästen ihren 25. Geburtstag - wenige Tage vor dem 1. Juni, dem offiziellen Datum, an dem die Währungshüter damals ihre Arbeit in Frankfurt am Main aufnahmen. Nicht aus dem Stegreif, sondern sehr gut vorbereitet.

Denn das Europäische Währungsinstitut (EWI) hatte zuvor dreieinhalb Jahre lang akribisch und bis ins Detail genau Struktur, Organisation und Arbeitsweise der neuen Zentralbank entworfen und damit die Blaupause für die EZB geliefert. Die basierte auf dem Maastrichter Vertrag von 1992, in dem die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWU) beschlossen wurde. 

Damit bekam der Euro eine Institution, die in ihrer Form spektakulär und einmalig ist, zugleich aber auch umstritten und widersprüchlich. Nirgendwo auf der Welt gab und gibt es eine Notenbank, die damals elf und heute 20 Mitgliedsländer umfasst - alle mit unterschiedlicher Wirtschaftskraft, teilweise divergierender geldpolitischer Tradition und verschiedenen Ansichten, wie die Gemeinschaftswährung funktionieren soll.

Kritiker waren zunächst skeptisch

Kritiker gaben dem Projekt nicht allzu große Chancen und hielten nichts von der Idee, die gemeinsame Währung werde Unterschiede in den Mietgliedstaaten schon angleichen und damit zur gewünschten Harmonisierung von Wirtschaft und Wohlstandsniveau führen. Gelungen ist das tatsächlich nicht, aber die EZB hielt allen Stürmen und Gewittern zum Trotz stand und mauserte sich in kurzer Zeit zur zweitwichtigsten Notenbank der Welt.

Volker Wieland vom House of Finance der Frankfurter Goethe Universität, ehemaliges Mitglied der Wirtschaftsweisen, bringt es auf den Punkt: Die EZB verantworte "eine ganz einzigartige Konstellation, nämlich die Geldpolitik für einen Staatenverbund, wie es sie bislang nicht gegeben hat". Das habe die Institution bislang "viel besser geschafft, als viele Skeptiker und Kritiker erwartet haben".

Ab 2007 wird es komplizierter

Die glücklichsten Zeiten der EZB waren wohl die Amtszeiten von Duisenberg und seinem Nachfolger Jean-Claude Trichet, der ihn 2003 ablöste. Zwar stolperte Duisenberg hin und wieder in ein Fettnäpfchen und verunsicherte mit seinen Aussagen die Finanzmärkte. Doch insgesamt gelang es dem Niederländer ebenso wie dem Franzosen Trichet, eine robuste, stabile Währung zu etablieren, deren Inflationsraten nicht nur beneidenswert niedrig waren, sondern vielfach unter dem Niveau lagen, die die Länder erreichten, als sie noch ihre eigenen Währungen hatten.

Wim Duisenberg

Der Niederländer Wim Duisenberg stand der Europäischen Zentralbank zwischen 1998 und 2003 als ihr erster Präsident vor.

Im letzten Drittel der Amtszeit von Trichet, ab 2007 brauten sich dann jedoch dunkle Wolken zusammen: Zuerst kam die sogenannte Subprime-Krise, also der Zusammenbruch des US-amerikanischen Immobilienmarktes wegen spekulativer Geschäfte der Banken. Sie führte zu ersten massiven Interventionen auf den Finanzmärkten durch die EZB. Als die daraus folgende Finanzkrise ausbrach, angefacht durch den Zusammenbruch der US-Bank Lehman Brothers im September 2008, musste die EZB auch den europäischen Bankensektor mit zahlreichen Geldspritzen unterstützen.

"Whatever it takes"

Richtig turbulent, aber auch gefährlich wurde es dann, nachdem Trichets Nachfolger, Mario Draghi aus Italien, im Herbst 2011 das Amt im Eurotower übernahm. Finanz- und Schuldenkrise schwächten die europäische Wirtschaft. Spekulanten griffen massiv den Euro an, versuchten die Gemeinschaftswährung zu zerstören. Mit einem geschickten Schachzug im Juli 2012 rettete Draghi mit seiner berühmten "Whatever-it-takes"-Rede in London den Euro: "Im Rahmen unseres Mandats ist die EZB bereit, alles zu tun, um den Euro zu erhalten. Und glauben Sie mir: Es wird genug sein." 

Es war genug: Milliarden über Milliarden flossen in den Kauf von Anleihen. Damit sollte die Wirtschaft angekurbelt und später das Gespenst der Deflation - also ständig sinkender Preise - vertrieben werden. Gleichzeitig wurden die Zinsen immer weiter gesenkt, bis sie schließlich sogar im negativen Bereich ankamen. Ökonomisch eigentlich ein Unding. Doch Draghi zog schlichtweg alle Register.

Viel mächtiger als ursprünglich geplant

So gelang es, den Euro zu erhalten und die Gemeinschaftswährung zu stützen. Kostenlos war das für die Bürgerinnen und Bürger der Eurozone allerdings nicht: eine jahrelange Nullzinspolitik war die Folge. Sie führte zu Blasen an Aktien- und Immobilienmärkten. Weil die Politik unwillig oder unfähig war, die Währungsunion zu reformieren, wurde die EZB zunehmend zur Feuerwehr; sie musste dort einspringen, wo politische Verantwortung versagte.

Die Folge: Die Kompetenzen der EZB wurden erweitert. Sie bekam 2014 auch die Bankenaufsicht für die größten Finanzinstitute der Währungsunion. Kritiker bemängelten, dass unterschiedliche und widersprüchliche Interessen zwischen Geldpolitik und Finanzaufsicht nicht unter einem Dach sein sollten. Die EZB führte eine "chinesische Mauer" zwischen beiden Bereichen ein und argumentierte, das eine funktioniere nicht ohne das andere.

Insgesamt wurde die EZB viel mächtiger als von ihren Gründungsvätern geplant. Plötzlich ging es nicht mehr nur darum, dem eigentlichen Mandat zu folgen, also Preisstabilität zu gewährleisten: Es ging darum, die gesamte Währungsunion zu sichern, für Stabilität im Finanzsektor zu sorgen und günstige Finanzierungsbedingungen für Mitgliedstaaten zu erreichen, die hoch verschuldet sind.

Kritik von deutscher Seite

Nicht immer waren die Mitglieder im EZB-Rat glücklich über Draghis Handeln, der auch gerne Alleingänge vollzog. Es gab viele Kontroversen zwischen den sogenannten "Falken" und "Tauben", also Vertretern einer straffen Geldpolitik auf der einen und einer lockeren Handhabung auf der anderen Seite. Manche warfen das Handtuch, vor allem auf deutscher Seite: EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark, Direktoriumsmitglied Sabine Lautenschläger und Bundesbank-Präsident Axel Weber verließen den EZB-Rat, weil sie die Geldpolitik der EZB nicht mehr mittragen konnten und wollten. Einige Streitigkeiten in diesem Zusammenhang landeten sogar vor dem obersten europäischen Gericht, konnten der EZB aber nichts anhaben.

Stattdessen wurde die Institution größer, stabiler und einflussreicher. Ihr neues Zuhause - der 2015 eingeweihte Eurotower, eines der spektakulärsten Bauwerke der Main-Metropole - wurde zum Sinnbild für diesen neuen Machtstatus und für den neuen Wind, der jetzt in der EZB wehte. Draghi - viel kritisiert, aber eben auch erfolgreich - verließ im November 2019 mit dem Nimbus des Euroretters den Eurotower und hinterließ eine Institution, die mit großer Geschwindigkeit aus ihren Kinderschuhen herausgewachsen war.  

Inflation erst als "vorübergehende Erscheinung" eingeschätzt

Eigentlich dachten damals alle, nun werde es weniger turbulent. Schon in den letzten Monaten der Amtszeit Draghis wurde das massive Anleihekaufprogramm zurückgefahren, eine Normalisierung der Geldpolitik zeichnete sich am Horizont ab. Jetzt übernahm die Französin Christine Lagarde das Steuer: eine imposante Persönlichkeit und langjährige Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), allerdings ohne Stallgeruch aus der Notenbank-Welt.

Corona und Krieg mit all den ökonomischen Turbulenzen riefen schnell auch die EZB wieder auf den Plan. Die lockere Geldpolitik wurde fortgesetzt. Alle Warnungen, das Virus habe auch die Wirtschaftsstrukturen verändert und fördere damit Inflation, wurden von der EZB in den Wind geschlagen. Viel zu spät erkannte man, dass die Preisexplosion nicht nur eine "vorübergehende Erscheinung" sei, wie immer wieder von den Währungshütern behauptet wurde.

Mit Inflationsraten von weit über 20 Prozent in den baltischen Staaten, 10,6 Prozent in der Eurozone und 8,8 Prozent in Deutschland wurden im vergangenen Jahr Rekordwerte erreicht. Während vor allem die angelsächsischen Notenbanken schnell und massiv auf die Inflation mit Zinsanhebungen reagierten, zögerte die EZB. Dadurch konnte sich die Inflation im Euroland in vielen Bereichen festsetzen. Doch immerhin leitete Lagarde die Zinswende ein, schaffte Negativ-Zinsen ab und trieb die Normalisierung der Geldpolitik voran.

"Nein, ich bin nicht zufrieden"

"Wenn Sie mich fragen, ob ich damit zufrieden bin, wo wir jetzt stehen", sagt die Präsidentin im exklusiven ARD-Interview und antwortet auch gleich darauf: "Nein, ich bin nicht zufrieden", so Lagarde. "Ich werde erst zufrieden sein, wenn wir unser Ziel erreichen, also mittelfristig eine Inflation von zwei Prozent haben." Bis dahin dürfte noch viel Wasser den Main entlang fließen.

Trotz aller Turbulenz und der vielen Kritik haben die rund 340 Millionen Menschen in der Eurozone weiterhin Vertrauen in die Gemeinschaftswährung und die EZB. In einer Umfrage gaben fast 80 Prozent der Befragten an, sie vertrauten dem Euro. Ein schöneres Geschenk kann es für die Währungshüter wohl kaum geben.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 24. Mai 2023 um 12:00 Uhr.