"Stuttgart 21"-Finanzierung vor Gericht Wer muss das bezahlen?
Die Finanzierung des Bahnhofprojekts "Stuttgart 21" ist von heute an Gegenstand einer Gerichtsverhandlung. Wer muss die Rechnungen für die gestiegenen Ausgaben bezahlen?
Von oben wirken sie wie weiße Marshmallows, die in einer Kakao-Tasse schwimmen: die großen runden Bullaugenfenster, die rund um den alten Stuttgarter Bahnhof auf der Baustelle am Stuttgarter Schlossgarten aufzuploppen scheinen. Später einmal sollen die 28 Kelchstützen das Hauptaugenmerk des Tiefbahnhofs werden und das Licht auf die Gleise bringen - später, wenn alles fertig ist.
Wann das sein wird, scheint genauso schwer zu beziffern sein, wie die Kosten des streitbarsten Bahnprojekts der Republik. Die Fertigstellung hat sich immer wieder verzögert. Derzeit heißt es, 2025 soll der Tiefbahnhof endlich Fahrgäste begrüßen.
Endgültige Kosten nicht absehbar
Die Zeit für den abschließenden Kassensturz des Bahnprojekts scheint noch weiter in der Ferne zu liegen. Ständig gibt es neue Unwägbarkeiten. Zuletzt wegen der Digitalisierung der Signalsteuerung (ETCS) für den Bahnknoten rund um die Landeshauptstadt mit unvorhergesehenen weiteren Baumaßnahmen.
Die Ausgaben für "Stuttgart 21" und die dazugehörigen Verbindungen sind in den letzten Jahrzehnten immer weiter gestiegen. Derzeit werden die Gesamtkosten mit 9,15 Milliarden Euro beziffert. Obendrauf kommt noch ein Risikopuffer von 640 Millionen Euro.
Chronisch steigende Ausgaben
Als der Finanzierungsvertrag 2009 zwischen dem Land Baden-Württemberg, der Bahn, dem Flughafen Stuttgart, der Stadt und dem Verband Region Stuttgart unterzeichnet wurde, war die Zahl etwa halb so groß: Auf 4,5 Milliarden Euro wurde das Projekt seinerzeit veranschlagt. Schon damals war den Verantwortlichen wohl klar, dass es dabei nicht bleiben würde. Denn ganz am Anfang war das Projekt bei einer Rahmenvereinbarung im Jahr 1995 mit 2,5 Milliarden Euro Kosten angesetzt worden.
Daher wurde im Finanzierungsvertrag vor 14 Jahren auch festgehalten, wie bei einer Überschreitung der Kosten zu verfahren ist und wer am Ende dafür geradestehen muss: nur die Bahn und ihre Tochtergesellschaften als Projektträgerin? Oder auch die Stadt Stuttgart, das Land, der Flughafen und der Verband Region Stuttgart?
Sprechklausel auf dem Prüfstand
Um diese Festlegung, die ein Passus im Vertrag anspricht, geht es jetzt in erster Linie vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht. Darin heißt es:
Im Falle weiterer Kostensteigerungen nehmen die EIU (die Bahn-Unternehmen, d. Red.) und das Land Gespräche auf.
Doch wenn es nach dem Land Baden-Württemberg geht, gibt es dazu nichts mehr zu besprechen. Aus dem Verkehrsministerium von Winfried Hermann (Grüne) hieß es dazu noch vor dem Prozessbeginn gegenüber dem SWR: "Die Bahn ist alleinige Projektträgerin und Bauherrin und hat die hiermit verbundenen Risiken beziehungsweise unvorhergesehene Mehrkosten zu tragen."
Freiwillige Co-Finanzierung?
Die Klage, die nun vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart verhandelt wird, wurde schon 2016 von der Bahn eingereicht. Die Verweigerungshaltung des Landes Baden-Württemberg hat sich seither nicht geändert. Mit Zuwendungen für das Bahnprojekt ist es aus dessen Sicht vorbei.
Hermann spricht im Zusammenhang mit den bisherigen Kosten von einer freiwilligen Co-Finanzierung des Projektes. Mehr soll es definitiv nicht werden. In einer Pressemitteilung des Verkehrsministeriums Baden-Württemberg wurde Hermann bereits 2021 so zitiert: "Wenn das Bundesverkehrsministerium über große finanzielle Mittel verfügt (…), sollte das Ministerium auch dafür sorgen, dass die DB ihre Milliardenklage gegen die Projektpartner auf Übernahme der Mehrkosten von S 21 zurückzieht".
Bahn hofft auf Kostenteilung
Doch das ist nicht geschehen. Die Bahn hat die Klage aufrechterhalten, um zu verhindern, allein alle Extrakosten übernehmen zu müssen. Nach sieben Jahren Vorbereitung kommt es jetzt zum ersten Verhandlungstag. Aus Sicht des Unternehmens ist das Projekt "Stuttgart 21" von Anfang an auf mehrere Schultern verteilt gewesen. Das habe sich nicht geändert, so die Bahn AG gegenüber dem SWR:
Die DB geht aufgrund der Entstehungsgeschichte des Projektes, den Finanzierungsverhandlungen sowie den vertraglichen Regelungen zu einer gemeinsamen Projektverantwortung davon aus, dass auch eine gemeinsame Finanzierungsverantwortung besteht und insoweit die Sprechklausel einen Anspruch auf weitere Finanzierungsbeteiligung begründet.
Gerichtsurteil in weiter Ferne
Sowohl das Land Baden-Württemberg als auch die Bahn gehen selbstbewusst in den ersten Verhandlungstag vor dem Verwaltungsgericht in Stuttgart. Während das Land davon ausgeht, dass die Klage der Bahn auf Kostenübernahme abgewiesen wird, sieht sich die Deutsche Bahn schon als Gewinnerin des Prozesses.
Doch wann das Verwaltungsgericht ein Urteil spricht und damit Rechtssicherheit über die Kostenübernahme schafft, ist unklar. Nicht einmal ein zweiter Verhandlungstag zur Sache wurde vom Verwaltungsgericht bisher festgelegt. Der Rechtsstreit zwischen der Bahn und ihren Vertragspartnern könnte sich noch Jahre hinziehen - wahrscheinlich sogar noch bis nach der Eröffnung des Tiefbahnhofs.