Schnelle Entscheidung angemahnt Regierung in Athen braucht ein Wunder
Schnelle Entscheidungen fordert Finanzwissenschaftler Clemens Fuest im Interview mit tagesschau.de. Der wirtschaftliche Niedergang Griechenlands werde sich so lange fortsetzen, bis die Unsicherheit beendet werde. Der Europäischen Zentralbank warf Fuest vor, sich nicht rechtzeitig auf die griechische Situation eingestellt zu haben.
tagesschau.de: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble wirbt für einen Zahlungsaufschub für Griechenland, an dem sich private Investoren freiwillig beteiligen. Ist das das Mittel der Wahl, oder spielt Schäuble nur auf Zeit?
Clemens Fuest: Was jetzt gemacht wird, ist genau richtig. Wichtig ist, dass nicht immer mehr Lasten auf den Steuerzahler abgewälzt werden, sondern dass klar ist: Auch die privaten Investoren sind dabei! Gleichzeitig ist das Ganze natürlich ein Spiel auf Zeit. Ein bloße Verlängerung der Kredite lässt den Schuldenberg nicht kleiner werden. Und wenn kein Wunder geschieht, wird Griechenland diese Kredite nicht zurückzahlen können.
Also muss man überlegen: Wer verzichtet auf sein investiertes Geld? Als Kandidaten kommen nur die Banken oder die Steuerzahler infrage. Schäuble versucht, die Option zu erhalten, dass auch die Banken einen Teil der Last tragen müssen. Es besteht die Gefahr, dass sich die privaten Gläubiger zurückziehen und am Ende nur noch der Steuerzahler die gesamte Last übernehmen muss.
Seit 2008 ist Clemens Fuest Professor für Unternehmensbesteuerung an der Universität Oxford. Er leitet das dortige Centre for Business Taxation und das Finanzwissenschaftliche Forschungsinstitut der Universität Köln. Als Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates berät er Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble.
tagesschau.de: Aber ist die Diskussion über die Beteiligung privater Gläubiger nicht eine Scheindiskussion, wenn der Staat wiederum an den Banken beteiligt ist, wie zum Beispiel bei der HRE und bei der Commerzbank?
Fuest: Wenn es am Ende zu einer Gläubigerbeteiligung kommt, wird ein Teil dieser Lasten auch wieder beim Staat landen, das ist richtig. Aber es handelt sich eben nur um einen Teil. Insgesamt ist die Signalwirkung nicht zu unterschätzen. Das falsche Signal lautet: Immer, wenn ein Land in Europa finanzielle Schwierigkeiten hat, dann springt der Staat ein. Das Signal muss lauten: Jedes Land ist letztlich selbst für seine Finanzen verantwortlich, und die Gläubiger sind davon betroffen. Dass am Ende die strauchelnden Banken auch wieder vom Staat gerettet werden müssen, ist das nächste Problem. Das muss man angehen, indem man die Bankenregulierung verändert. Dieser politische Druck lässt sich aber nur aufbauen, wenn klar wird, dass wir eben gerade nicht nur Griechenland retten, sondern wieder einmal auch die Banken.
tagesschau.de: Eine "freiwillige Beteiligung" setzt die Bereitschaft der Banken voraus, mitzumachen. Ist damit tatsächlich zu rechnen?
Fuest: Ich selbst rechne nicht damit. Natürlich stehen die Banken unter einem gewissen Druck der Öffentlichkeit. Deshalb werden sie sich vielleicht zu einer kleinen Geste bereit erklären. Sie werden aber vermutlich nicht bereit sein, freiwillig in großem Umfang die Kredite zu verlängern, denn das Spiel wäre damit ja noch nicht am Ende. Die Banken wissen, dass die Verluste durch einen Schuldenschnitt deutlich mehr schmerzen werden. Deshalb versuchen sie, dass ihre Beteiligung von Anfang so gering wie möglich ausfällt.
tagesschau.de: Weltweit ist der Schuldenschnitt ein erprobtes Mittel. Was spricht gegen diese Lösung der griechischen Krise, was spricht dafür?
Fuest: Gegen den Schuldenschnitt spricht, dass man auf eine solche Lösung nicht besonders gut vorbereitet ist. Die Europäische Zentralbank hat sich noch nicht darauf eingestellt, Banken nach einem solchen Schuldenschnitt zu refinanzieren. Es besteht die Gefahr einer Finanzkrise, einer großen Finanzmarktpanik. Das könnte zur einer weiteren Weltwirtschaftskrise führen.
Für einen Schuldenschnitt spricht, dass eben der Steuerzahler davor geschützt wird, die gesamte Last zu tragen. Und: So lange in Griechenland keine Klarheit darüber besteht, wie die wirtschaftliche Zukunft des Landes aussieht, kann das Land sich nicht erholen. Investoren werden nicht investieren, so lange der finanzielle Zusammenbruch droht. Ich glaube, dass Griechenland nur dann eine wirtschaftliche Perspektive hat, wenn vernünftige Bedingungen herrschen und wenn die Schulden irgendwann zurückgezahlt werden können.
Eine Umschuldung ist mit Einbußen für die Gläubiger verbunden. Zu unterscheiden sind dabei die "harte" Umschuldung in Form eines Schuldenschnitts und die "weiche" oder "sanfte" Umschuldung. Bei einem Schuldenschnitt, auch als "Haircut" bekannt, verzichten die Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen. Das kommt einem Schuldenerlass gleich. Die Verluste der Gläubiger sind dabei in der Regel aber am größten.
Bei einer "weichen" Umschuldung können die Laufzeiten der Kredite verlängert oder Zinsen gesenkt werden. Auch ein Aussetzen der Raten oder die Rückzahlung des gesamten Geldes zu einem späteren Zeitpunkt kommt in Frage. Möglich ist zudem, auslaufende Staatsanleihen in neue Papiere mit einer langen Laufzeit umzutauschen. Das käme einem Zahlungsaufschub gleich und kann mit günstigeren Konditionen für die neuen Papiere verbunden werden. Auch eine "weiche" Umschuldung bedeutet für die Gläubiger Verluste, weil sie ihr Geld später zurückbekommen oder das geliehene Geld schlechter verzinst wird.
tagesschau.de: Die bisherigen Sparmaßnahmen führen offensichtlich dazu, dass Griechenland immer weiter in einen Strudel von Sparmaßnahmen und sinkenden Einnahmen hinein gerät. Steht am Ende zwangsläufig die Staatspleite?
Fuest: Die Staatspleite steht wohl heute schon fest. Aber der wirtschaftliche Niedergang, in dem das Land sich jetzt befindet, wird so lange anhalten, bis dieses Schuldenproblem gelöst ist. Bis die Unsicherheit beendet ist. Bis diese wahnsinnigen Anpassungslasten vom Tisch sind, die steigenden Zinsen. Aus diesem Grund sollte man jetzt bald zu einer Lösung kommen.
Die Fragen stellte Ute Welty, tagesschau.de