Lebensversicherer Garantiezins soll drastisch sinken
Die deutschen Lebensversicherer sollen den Garantiezins von 0,9 auf 0,25 Prozent senken. Das hätte vor allem für junge Sparer, die nur einen geringen Betrag anlegen können, fatale Folgen. Auch die Riester-Rente wäre betroffen.
Worum geht es?
Die deutschen Lebensversicherer sollen ihren Kunden von 2022 an maximal noch eine Verzinsung von 0,25 Prozent auf neue Policen versprechen dürfen. Das hat die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV), der Verband der Versicherungsmathematiker, am Mittwochabend vorgeschlagen. Aktuell liegt der Garantiezins bei 0,9 Prozent. Der Verband erneuert und verschärft damit eine alte Forderung: Bereits im Dezember 2019 hatte der DAV eine Absenkung des Garantiezinses von 0,9 auf 0,5 Prozent vorgeschlagen.
Was ist der Garantiezins?
Der Garantiezins, auch Höchstrechnungszins genannt, ist ein Teil der Gesamtverzinsung klassischer, kapitalbildender Renten- und Lebensversicherungen. Er steht zu Vertragsbeginn fest und gilt für die gesamte Laufzeit. Er ist dem Kunden damit fest zugesichert. Die Gesamtverzinsung der Sparbeiträge des Kunden ergibt sich aus dem Garantiezins sowie der variablen und zu Vertragsbeginn nur schwer absehbaren Überschussbeteiligung.
Warum soll der Garantiezins sinken?
Die DAV verweist zur Begründung auf die Zinsen am Kapitalmarkt, die in der Corona-Krise noch einmal um 0,2 bis 0,5 Prozentpunkte gesunken seien. Die Versicherer könnten daher die Verzinsung in der bisherigen Höhe mit sicheren Papieren nicht mehr garantieren. Auch die Finanzaufsicht BaFin hatte den Lebensversicherern jüngst empfohlen, den Höchstrechnungszins für klassische Policen im kommenden Jahr angesichts des anhaltenden Niedrigzinsumfeldes kritisch zu hinterfragen. Mehr noch, sie stellte klar, dass sie neue Lebensversicherungs-Produkte mit einer garantierten Verzinsung von 0,9 Prozent nicht mehr erlauben werde. Ziel ist es, dass sich die Versicherer mit ihren Garantieversprechen nicht finanziell übernehmen.
Wer entscheidet?
Die endgültige Entscheidung über den Garantiezins trifft das Bundesfinanzministerium auf Grundlage der DAV-Berechnungen; auch Empfehlungen der Finanzaufsicht BaFin werden berücksichtigt. In der Regel folgen aber BaFin und Finanzministerium den Empfehlungen der DAV. Dass Politik und Aufsicht dies nicht bereits 2020 taten, war offensichtlich nicht inhaltlichen Differenzen, sondern schlicht den Turbulenzen rund um die Corona-Pandemie geschuldet. BaFin und Finanzministerium hatten aber bereits im Frühjahr damit geliebäugelt, die maximale Verzinsung noch stärker abzusenken.
Wer wäre betroffen?
Altverträge des Vorsorgeklassikers blieben von einer möglichen Neuregelung ausgenommen. Kunden solcher Altverträge kommen damit weiterhin in den Genuss von bis zu 4,0 Prozent Zinsen. Die Absenkung des Garantiezinses würde nur für Neuverträge gelten, die nach der Änderung abgeschlossen werden. Die Lebensversicherer dürften ihren neuen Kunden dann einen Garantiezins in maximal dieser Höhe bieten.
Warum hätten Kleinsparer das Nachsehen?
Eine Absenkung des Garantiezinses würde vor allem Kunden treffen, die nur einen vergleichsweise geringen Betrag anlegen können. Wer eine private Rentenversicherung über weniger als 20.000 Euro abschließt, dürfte mit dem neuen Garantiezins ein jährliches Minus von durchschnittlich 0,35 Prozent erwirtschaften, rechnete jüngst der Lebensversicherungs-Aufkäufer Partner in Life für „Euro am Sonntag“ vor. Kleine Summen sind nämlich mit relativ hohen Kosten belastet und profitieren zudem weniger vom Zinses-Zins-Effekt.
Wie war das eigentlich früher?
Sollte das Bundesfinanzministerium der Empfehlung der Versicherungsmathematiker folgen, würde sich der Trend sinkender Garantieverzinsungen weiter fortsetzen: Lag der Garantiezins in den Jahren 1994 bis 1999 noch bei 4,0 Prozent, wurde er in den Folgejahren drastisch gesenkt, zuletzt im Jahr 2017 auf die derzeit noch gültigen 0,9 Prozent.
Woran liegt das?
Experten machen für die sinkende Verzinsung der Lebensversicherungen in erster Linie den sinkenden Leitzins und damit die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) verantwortlich. Die EZB hat den Leitzins seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 von damals 4,25 Prozent kontinuierlich gesenkt. Seit März 2016 liegt der Leitzins in der Eurozone bei 0 Prozent. Das zog einen deutlichen Zinsrückgang an den Anleihemärkten nach sich. Die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe sank zeitweise sogar in den negativen Bereich. Anleihen stellen bei vielen Versicherern immer noch einen Großteil des Portfolios.
Was bedeutet das für die Zukunft der Lebensversicherung?
Die seit mehr als einem Jahrzehnt anhaltende Niedrig-, Null- und schließlich Negativzinsphase setzt die Versicherer massiv unter Druck. Stirbt also die Lebensversicherung mit dem Zins? DAV-Chef Guido Bader jedenfalls geht davon aus, "dass bei Neuverträgen die klassischen Policen mit jährlicher Garantie bis Ende nächsten Jahres zum Nischenprodukt werden". Viele Anbieter vollzogen bereits vor Jahren den Schwenk weg von der klassischen Lebensversicherung mit Garantiezins hin zu fondsähnlichen Produkten, die zumindest das eingezahlte Kapital garantieren.
Apropos - was ist mit der Beitragsgarantie?
Auch die Beitragsgarantie wackelt. Marktführer Allianz hat bereits Anfang Oktober angekündigt, bei Neuabschlüssen ab 2021 je nach Variante nur noch 90, 80 oder 60 Prozent der eingezahlten Beiträge zu garantieren. Andere Versicherer dürften folgen. Die DAV empfahl nun, künftig auf Garantien für den vollständigen Erhalt der gezahlten Beiträge zu verzichten. Produkte mit einer 100-Prozent-Beitragsgarantie seien in der heutigen Negativzinswelt "aktuariell nicht mehr sinnvoll", so DAV-Chef Bader. "Sie verengen die Spielräume für eine Kapitalanlage im Sinne der Versicherten."
Was bedeutet das für die Riester-Rente?
Eine Abkehr von der 100-Prozent-Garantie würde auch das Aus für die Riester-Rente in ihrer jetzigen Form bedeuten. Die Bundesregierung plant derzeit ohnehin die Reform der Riester-Rente. Dort ist der Beitragserhalt bisher noch obligatorisch. Experten glauben, dass bereits bei einem Garantiezins von 0,5 Prozent der Erhalt der eingezahlten Eigenbeiträge und staatlichen Zulagen nicht mehr darstellbar sei.