Wie Staatsbanken das EU-Gehaltslimit umgehen Darf's ein bisschen mehr sein?
Kein Vorstand soll über 500.000 Euro verdienen. So schreibt es die EU der NordLB vor. Trotzdem erhält der Chef der Tochter Bremer Landesbank nach tagesschau.de-Informationen rund eine Million. Ein Lehrstück über den Filz zwischen Politik und Staatsbanken.
Für einen Bankmanager hat Stephan-Andreas Kaulvers eine bemerkenswerte politische Grundeinstellung. Er ist nämlich "Postmaterialist" - also einer, für den materielle Dinge wie Geld nicht so wichtig sind. So jedenfalls erzählt das Kaulvers, Chef der Bremer Landesbank, gelegentlich seinen Mitarbeitern. Wie zum Beweis erwähnt er dann gern, dass er selber einen alten VW Bulli besitze und seine Frau mit einem alten Audi A4 durch die Gegend fahre.
Gleichwohl kennt der Postmaterialismus des Bankmanagers Kaulvers Grenzen - bei seinem Gehalt. Eigentlich soll der 58-Jährige nicht mehr als 500.000 Euro pro Jahr verdienen. So steht es in einem Auflagenkatalog, den die EU-Kommission Kaulvers‘ Bank im Sommer 2012 gemacht hat. Wörtlich heißt es in dem im Internet einsehbaren Papier, eine Vergütung jenseits der 500.000-Euro-Marke werde "als unangemessen erachtet".
Der Geschäftsbericht der Bremer Landesbank weist nun aber für die drei Bankvorstände eine Gesamtvergütung von gut 2,2 Millionen Euro 2012 und von gut 2,1 Millionen Euro 2013 aus. Macht: mehr als 700.000 Euro im Schnitt. Was man aber nicht so deuten dürfe, dass die drei Vorstände gleichermaßen rund 200.000 Euro über dem Limit lägen, erzählen Quellen, die sich auskennen in der Bank. Vielmehr sei es vor allem Kaulvers, der die Grenze sprenge. In den vergangenen beiden Jahren soll er jeweils rund eine Millionen Euro verdient haben.
Eine Million, wenn nur 500.000 "angemessen" sind? Wie kann das sein?
Warum die "Gehalts-Caps" einst eingeführt wurden
Vorweg, der Fall ist komplex. Vielleicht zu komplex, um ihn nur in Schwarz und Weiß zu schildern. Denn: Zumindest hat sich, so scheint es, kein Beteiligter rechtlich etwas zuschulden kommen lassen. Stattdessen taugt der "Fall Kaulvers" wohl eher als Lehrstück. Als Lehrstück für den Filz zwischen Politik und Staatsbanken. Und als Lehrstück, wie die Öffentlichkeit beim Thema "Gehaltsobergrenzen für Banker" irregeführt wird. Doch der Reihe nach.
Die Geschichte beginnt in der großen Finanzkrise, also zwischen 2007 und 2010. Alle paar Monate gerät damals eine große deutsche Bank in Schieflage. Nicht nur private Geldhäuser wie die HRE oder die Commerzbank sind betroffen - sondern vor allem die staatlichen Landesbanken, namentlich die Sachsen LB, die BayernLB, die HSH Nordbank, die Stuttgarter LBBW und die WestLB.
Im Zuge der teuren staatlichen Rettungsaktionen lernt die Öffentlichkeit damals, was ein "Gehalts-Cap" ist: Bankvorstände, deren Institute vom Staat gerettet werden, sollen sich - so die Faustregel - solange mit 500.000 Euro im Jahr bescheiden, wie sich die Lage nicht substanziell gebessert hat.
Klingt nach einer klaren Ansage. Doch so verbindlich, wie man meint, ist sie nicht.
Die NordLB hat zwar kein "Subprime" - aber zu wenig Kapital
An einer der größten deutschen Landesbanken, der in Hannover beheimateten NordLB, zu der auch Kaulvers' Bremer Landesbank gehört, geht die Debatte zunächst vorbei. Im Gegensatz zu den anderen "LB" haben sich die beiden Nordlichter nicht mit windigen Subprime-Papiere vollgesogen. Entsprechend glimpflich kommen sie zunächst durch die Krise. Die Landespolitiker sind erleichtert. Und die Bankmanager geben der Lokalpresse kokette Interviews: "Wir machen kein Geschäft, das wir nicht inhaltlich und vom Risiko her vollständig verstehen", sagt Kaulvers 2009 dem "Weser-Kurier". "Langweilige Geschäfte sind gute Geschäfte."
Kurz darauf wendet sich das Blatt. Die europäische Bankenaufsicht EBA führt erstmals einen sogenannten Bankenstresstest durch - und ausgerechnet die vermeintlich kerngesunde NordLB samt Bremer Tochter droht durchzufallen. Gut, man hat kein Subprime im Portfolio. Aber dafür beispielsweise wacklige Schiffskredite. Zudem sei die Kapitalbasis zu dünn, moniert die EBA. In Bremen und Hannover halten sie diese Position für falsch, zumindest aber für übertrieben. Doch es hilft nichts: Die beiden Landesregierungen müssen ihren Banken mit Milliarden beispringen.
An dieser Stelle nun kommt die EU-Kommission ins Spiel. Denn staatliche Beihilfen bedürfen der Genehmigung aus Brüssel. Monatelang wird verhandelt. Schließlich gibt die Kommission im Sommer 2012 ihr Okay. Allerdings nur - so ist es üblich - gegen Auflagen.
Zu den Leidtragenden gehören die Steuerzahler in Niedersachsen und Bremen. Denn die Länder sollen für die Jahre 2012 und 2013 auf die sonst üblichen Dividenden verzichten. Zu den Leidtragenden allerdings gehören auch die Vorstände. Denn die sollen, solange keine Dividenden fließen (also 2012 und 2013), besagte Gehaltsobergrenze von 500.000 akzeptieren.
"Unser Kollege aus dem Bankvorstand"
Was danach passiert, lässt sich im Detail nicht vollständig rekonstruieren. In jedem Fall aber muss der "Gehalts-Cap" Thema im Aufsichtsrat gewesen sein, dem die Bremer Finanzsenatorin Karolin Linnert (Grüne) vorsitzt. Das Kontrollgremium aber beharrte offenbar nicht auf der Obergrenze - sondern stimmte deren Aufhebung zu. Bis schließlich sogar Brüssel, so heißt es, einwilligte.
Warum? Das ist die große Frage. Klar ist: Kaulvers hatte einen gültigen Arbeitsvertrag. Der wird durch den Auflagenkatalog der EU nicht einfach gebrochen. Bloß: Eigentlich sollte man annehmen, dass ein Staatsbanker, zumal einer, dessen Institut gerade mit Steuergeld gestützt wurde, sich solch einem Abkommen trotzdem fügt. Nicht so in diesem Fall.
Öffentliche Proteste? Blieben aus. Denn der "Gehalts-Cap" war gar nicht erst kommuniziert worden. Es fragt sich allerdings, ob sich im Bremer Milieu überhaupt jemand an der Missachtung der Vergütungsgrenze gestört hätte. Denn selbst für linke Politiker gilt Kaulvers hier als "unser Kollege aus dem Bankvorstand", wie ein Bremer Landespolitiker das ironiefrei ausdrückt.
Finanzsenatorin und Aufsichtsratschefin Linnert lässt derweil auf Anfrage ausrichten, sie halte "generell" die Vorstandsgehälter in der Bankenbranche "oftmals für zu hoch". Allerdings müsse sich das Land Bremen "in diesem Gehaltsgefüge bewegen", wenn es "gute Leute" einstellen wolle.
Diese Einlassung ist aus zweierlei Gründen bemerkenswert. Erstens ist die Annahme, dass ein langjähriger Landesbanker wie Kaulvers im Falle eines Wechsels zu einer normalen Geschäftsbank mal eben eine Millionen Euro einstreicht, "eher naiv", wie ein auf Bankvorstände spezialisierter Frankfurter Headhunter sagt. Doch davon abgesehen, zweitens: Wenn die Politik den "Gehalts-Cap" grundsätzlich gut findet - warum ignoriert sie ihn dann im Einzelfall immer wieder?
LBBW, HSH, HRE - immer wieder wurde das Limit ignoriert
Denn das Ganze scheint System zu haben. In Baden-Württemberg hob 2009 der damalige Ministerpräsident Günther Oettinger die kurz zuvor vom Landtag verhängte 500.000-Euro-Grenze für die LBBW im Handstreich auf, um Bankchef Hans-Jörg Vetter das von ihm gewünschte Salär zu zahlen. Bei der HSH bekam Vorstandschef Dirk Jens Nonnenmacher zu seinen 500.000 Euro eine Einmalzahlung von 2,9 Millionen Euro. Eine andere Lösung fand die Bundesregierung bei der HRE: Vorstandschef Axel Wieandt akzeptierte das 500.000-Euro-Limit. Und erwarb im Gegenzug einen Anspruch auf eine jährliche Rente von fast 240.000 Euro ab dem 60. Lebensjahr.
Die offiziellen Reaktionen im "Fall Kaulvers"? Die EU-Kommission bekräftigt, dass die 500.000-Euro-Grenze existiere, teilt jedoch zugleich mit, dass sie bislang nichts zu beanstanden habe. Verstehen muss man das nicht. Die Mutter NordLB hält sich bedeckt. Ihre eigenen Vorstände hielten sich aber alle an die 500.000-Euro-Grenze, teilt sie mit.
Die Bremer Landesbank teilt mit, dass man die Bestandsverträge der eigenen Vorstände "einvernehmlich mit der EU" von der "freiwilligen Begrenzung der Vorstandsbezüge" ausgenommen habe. Zur genauen Höhe des Gehalts von Kaulvers macht die Bank keine Angaben.
Nach Veröffentlichung des Berichts ergänzte die Bremer Landesbank, sie sei nicht mit Staatsgeldern gerettet worden und nicht durch den EBA-Stresstest gefallen. Für Herrn Dr. Kaulvers gebe es keine von der EU-Kommission verhängte Bezügeobergrenze. Folglich könne es auch keine Missachtung oder Aufhebung einer solchen Obergrenze gegeben haben.