Tsipras gibt Gläubigern Schuld an Stillstand "Dem Neoliberalismus geopfert"
Der griechische Ministerpräsident Tsipras sieht sein Land als Opfer des Neoliberalismus. Obwohl Griechenland Reformvorschläge gemacht habe, hielten seine Gläubiger "besessen" am Sparkurs fest. Im Kanzleramt dürfte das heute Abend für Kopfschütteln sorgen - wieder einmal.
Der Neoliberalismus ist Schuld. Zumindest daran, dass es nicht voran geht mit den Verhandlungen über ein griechisches Reformprogramm. So jedenfalls sieht es Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras. In einem Gastbeitrag für die französische Zeitung "Le Monde" schrieb er: Alle Länder, die der Macht der Neoliberalen nicht nachgeben wollten, sollten demnach "hart bestraft werden." Sein Land habe, anders als behauptet, reihenweise Reformvorschläge unterbreitet, die mehr Steuern eingebracht hätten. So seien eine Reihe von Privatisierungen beschlossen worden, die seine Syriza-Partei ursprünglich abgelehnt habe.
Auch einer Reform der Mehrwertsteuer und des Rentensystems habe Athen zugestimmt. Statt aber wie die Vorgängerregierungen nur auf Sparmaßnahmen zu setzen, die das Land weiter in die Rezession getrieben hätten, wolle seine Regierung auch Reformen zur Einnahmensteigerung umsetzen, schrieb Tsipras. Dazu zähle eine Sondersteuer für Superreiche, die stärkere Bekämpfung von Steuerflucht und der Verkauf von Senderlizenzen und anderer Lizenzen.
"Europa am Scheideweg"
Tsipras warnte in "Le Monde", Europa befinde sich an einem Scheideweg: Entweder entscheide es sich für stärkere Integration oder für eine Spaltung. Die Verfechter der zweiten Möglichkeit seien nur darauf aus, anderen ein Spardiktat und harte Strafen aufzuzwingen, mit "Griechenland als erstem Opfer". "Für einige ist das eine einmalige Gelegenheit, an Griechenland ein Exempel für andere Länder zu statuieren, die darüber nachdenken könnten, dieser neuen Linie der Disziplin nicht zu folgen", kritisierte der griechische Regierungschef in seinem Beitrag.
Dass es nicht zu einem Ergebnis komme, liege "an der Besessenheit von einigen institutionellen Vertretern, die auf unzumutbaren Lösungen bestehen und sich gleichgültig zeigen gegenüber den demokratischen Ergebnissen der jüngsten griechischen Wahlen."
Griechenland droht Staatspleite - sehr bald
Hintergrund für die Äußerungen sind die Gespräche Griechenlands mit der EU, der Europäische Zentralbank (EZB) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über die Auszahlung von 7,2 Milliarden Euro. Griechenland ist auf das Geld dringend angewiesen, allein im Juni stehen Rückzahlungen in Höhe von 1,6 Milliarden Euro an den IWF an.
Deshalb hatte sich die griechische Regierung eigentlich eine Deadline für die Verhandlungen gesetzt. Bis gestern Abend wollte man eine Einigung über ein Reformpaket erzielen, das Bedingung ist für die Auszahlung weiterer Gelder. Doch wieder wurde man sich nicht einig.
Auch ein erneutes Telefonat von Tsipras mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsidenten Francois Hollande brachte keine weitere Erkenntnis außer die, dass die Zeit dränge und schnell eine Lösung gefunden werden müsse. "Sehr gut" sei das Gespräch gelaufen, hieß es dennoch danach von griechischer Seite. Ähnliche optimistische Statements aus Athen hatten in den Vortagen kein Echo von den Gesprächspartnern erhalten.
Die unendliche griechische Leidensgeschichte wird wohl auch Thema eines Treffens heute Abend im Kanzleramt sein, zu dem Angela Merkel Hollande und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eingeladen hat. Allerdings nur am Rande: Alle Parteien seien "deutlich bemüht" die Bedeutung des Treffens mit Blick auf Griechenland herunterzuspielen, sagt der Leiter des Berliner Hauptstadtstudios, Rainald Becker. Auch sei - zumindest zur Stunde - eine Teilnahme von Tsipras an dem Treffen nicht geplant.
Juncker warnt vor Grexit
Juncker warnte allerdings in der "Süddeutschen Zeitung" deutlich vor einem Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro. "Diese Vorstellung, dass wir dann weniger Sorgen und Zwänge haben, wenn Griechenland den Euro abgibt, die teile ich nicht." An dem Tag, an dem ein Land aus dem Euro ausscheiden sollte, "würde sich die Idee in den Köpfen festsetzen, dass der Euro eben nicht irreversibel ist." Dann könnten sich internationale Investoren zurückziehen.
Bundesbank: Es ist fünf vor zwölf
Griechenland "täte gut daran, bald zu handeln", sagt die Bundesbank.
Die Bundesbank rief Griechenland dazu auf, bei den Verhandlungen rasch einzulenken. "Die griechische Regierung täte gut daran, schnell zu handeln - für die griechischen Banken ist es nämlich fünf vor zwölf", sagte Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret der "Bild"-Zeitung. Die Geldhäuser seien derzeit nahezu ausschließlich auf die Notfallhilfe der griechischen Notenbank angewiesen. "Aber wie das Wort Notfall schon sagt, ist das keine dauerhafte Lösung", sagte der für die Bankenaufsicht zuständige Vorstand. Dombret nannte die Lage in Griechenland sehr kritisch. Er verwies darauf, dass die Bankkunden dort in den ersten vier Monaten 2015 bei den großen Instituten knapp 30 Milliarden Euro abgezogen hätten.
Die direkten Gefahren für die deutschen und europäischen Banken wegen der Situation in Griechenland seien aber vergleichsweise gering. "Die deutschen Banken haben in ihren Büchern beispielsweise nur noch Forderungen von 2,4 Milliarden Euro gegenüber griechischen Banken, Unternehmen und dem Staat. Das Risiko ist also überschaubar. Dennoch kann es immer anders laufen als gedacht", so der Bundesbank-Vorstand.