Experte zum Krisenmanagement "Dem Irrsinn Einhalt gebieten"
Die EU-Kommission drängt, Frankreich appelliert, Griechenland bittet - der Druck auf die Bundesregierung steigt. Die aber lässt sich mit ihren Finanzhilfen für Griechenland weiter Zeit. "Dieses Krisenmanagement ist katastrophal", meint der Wirtschaftsexperte Heiner Flassbeck. Im Interview mit tagesschau.de geht er mit der Bundesregierung hart ins Gericht.
tagesschau.de: Gleich mehrere Krisengipfel gab es in Berlin. Wie gut ist das Krisenmanagement der Bundesregierung?
Heiner Flassbeck: Das Management ist katastrophal, weil man nur redet und dem Irrsinn, der im Moment an den Märkten herrscht, nicht Einhalt gebietet. Das sind ja derzeit keine normalen Marktreaktionen, sondern das Resultat von Zockerei und Panikmache.
Heiner Flassbeck ist Chefvolkswirt der UN-Handelsorganisation UNCTAD, Publizist und Honorarprofessor an der Hamburger Universität. Unter Finanzminister Lafontaine war Flassbeck 1998/99 Staatssekretär für internationale Finanz- und Währungsfragen.
tagesschau.de: Die Zinsen für griechische Staatsanleihen klettern immer weiter. Wem nutzt das, wer verdient daran?
Flassbeck: Daran verdienen alle, die mit der Krise Spekulationsgeschäfte betreiben. Zum Beispiel die Hedge-Fonds, die vor einiger Zeit so genannte Credit Default Swaps gekauft haben - also Zockerpapiere, auch Kreditversicherungen genannt - und diese jetzt verkaufen.
tagesschau.de: Warum wird dies nicht unterbunden?
Flassbeck: Die letzten zwei Jahre wurden total verschlafen. Was Obama jetzt in den USA plant, hätte auch Europa schon längst angehen müssen. Nämlich die Geschäfte der Zocker und die normalen Marktaktivitäten zu trennen. Aber Europa hat sich bisher ja nicht mal im Ansatz dazu bekannt, so etwas tun zu wollen. Es ist doch ein Skandal ohnegleichen, dass heute Banken große Gewinne zahlen, die vom Steuerzahler subventioniert werden. Und mit diesem Geld gehen sie an die Märkte und schaden der Weltwirtschaft immens. Und die Politiker schweigen und tun nichts. Das ist unglaublich!
tagesschau.de: Was müsste jetzt geschehen?
Flassbeck: Man muss den Märkten ihre Grenzen zeigen, in dem man jetzt entschlossen und schnell interveniert und die Märkte als direkte Finanziers Athens ablöst.
tagesschau.de: Also sind die geplanten Finanzhilfen richtig?
Flassbeck: Im Prinzip ja!
"Die Sparmaßnahmen helfen Griechenland nicht"
tagesschau.de: Die Hilfen für Griechenland sind an Auflagen geknüpft, an strikte Sparmaßnahmen. Ist das der richtige Weg?
Flassbeck: Auf mittlere Sicht muss Griechenland natürlich sparen - und alle anderen Staaten auch. Aber jetzt in der Krise ein Land zu zwingen, sein Defizit wegzusparen, ist vollkommen falsch. Das kann nicht gelingen. Das wird nur dazu führen, dass sich die volkswirtschaftliche Lage im Land noch weiter verschärft.
tagesschau.de: Welche Folgen hätte die Sparpolitik für die Griechen?
Flassbeck: Die Griechen müssten den Gürtel sehr viel enger schnallen: Die Lohn- und Rentenkürzungen von 30 Prozent und Einschnitte bei den Sozialleistungen würden viele Menschen in Armut bringen. Persönliche Lebensperspektiven würden zerbrechen - und das alles ohne Aussicht auf Erfolg. Denn nur durch Kürzungen kommt kein Land aus der Krise.
tagesschau.de: Gibt es eine Alternative zum drastischen Sparkurs?
Flassbeck: Die Griechen müssen wieder die Chance bekommen, positive Impulse von der Außenwirtschaft aufzunehmen. Wir brauchen eine fundamentale Änderung der Lohnpolitik und zwar in allen Ländern der Euro-Zone. In den schwachen Ländern müssen die Löhne weniger stark steigen, hierzulande deutlich stärker. Nur so ist letztendlich die Währungsunion zu retten. Derzeit herrscht eine verzerrte Wettbewerbsfähigkeit. Aber die Bundesregierung bestreitet ja nach wie vor, dass diese verzerrte Wettbewerbsfähigkeit überhaupt existiert.
tagesschau. de: Andere Stimmen sagen: Wir haben die Stabilitätskriterien eingehalten durch eine zurückhaltende Lohnpolitik und gut gewirtschaftet, und jetzt sollen wir für die einspringen, die das nicht getan haben. Ist das nicht ein berechtigter Einwand?
Flassbeck: Das ist vollkommen falsch. Man hat eine Währungsunion gemacht mit einem Inflationsziel von zwei Prozent. Das ist eine implizite Verpflichtung, die Löhne ungefähr zwei Prozent über der Produktivität zu halten. Deutschland ist massiv darunter geblieben und hat damit sozusagen eine Deflationspolitik betrieben, ohne es den anderen zu sagen. So wurde Deutschland fast zum alleinigen Gewinner, während fast alle anderen darunter leiden. Das hat nichts mit Sparen zu tun: Das war und ist ein klarer Verstoß gegen den Geist der Währungsunion.
Das Gespräch führte Simone von Stosch für tagesschau.de.