Euro-Krise auch auf dem Subkontinent spürbar Indiens Angst vor einem schwachen Europa
Indien hat auf dem G20-Gipfel zehn Milliarden US-Dollar für den Europa-Sonderfonds des IWF zugesagt. Doch der Wirtschaftsriese aus Asien wankt derzeit selbst gewaltig - und hofft daher inständig auf die schnelle Genesung Europas. Denn die Zeiten des ungebremsten Wachstums sind auch hier vorbei.
Von Kai Küstner, ARD-Hörfunkstudio Südasien
Viele Menschen würden sich derzeit verwundert die Augen reiben, sagt eine indische Fernseh-Moderatorin und sich fragen: haben wir wirklich zehn Milliarden Dollar übrig, um die den Europäern zu schenken? In der Tat ist das eine Frage, die Indien umtreibt. Denn dass hier rund 300 Millionen Menschen mit weniger als auch nur einem Dollar am Tag auskommen müssen, ist lange bekannt.
Dass nun aber auch noch das indische Wachstumswunder vorerst vorbei zu sein scheint, ist neu. "Wir fühlen die globale Verlangsamung seit sechs Monaten, vor allem im Industriesektor. Sonst haben wir immer rund 150 Menschen pro Monat vermittelt. Das ist jetzt auf 50 bis 60 runtergegangen", erklärt der Chef einer Arbeitsvermittlungsagentur in Mumbai.
Europa bremst Indien aus
Über Jahre wuchs Indiens Wirtschaft verlässlich um die neun Prozent. Seit sechs Monaten ist klar: Diese Zahlen sind bis auf weiteres unerreichbar geworden. Der Klotz, der am Bein des indischen Riesen hängt, heißt Europa. "Noch zweieinhalb Jahre wird Europa sich in unruhigem Fahrwasser bewegen. Niemand - mit Ausnahme von Nord-Korea - ist wasserdicht gegen das, was da passiert", so der Wirtschaftsberater der indischen Regierung, Kaushik Basu, der allerdings im Angesicht der Krise nicht nur seinen Humor behalten hat, sondern auch ganz offen zugibt, dass Indien für vieles selbst verantwortlich ist.
Eine Inflation von fast zehn Prozent plagt vor allem die Ärmsten der Armen. Wirtschafts-Reformen wären dringend nötig: "Die nächsten sechs Monate werden entscheidend sein. Denn Reformen brauchen Zeit, bis sie wirken", so Wirtschaftsexperte Basu.
Premier Singh fordert europäische Konjunkturprogramme
Das Problem: Die Regierung macht derzeit ganz allgemein einen eher ängstlichen Eindruck und wirkt völlig verschüchtert - auch angesichts widerspenstiger Koalitionspartner. Trotz alledem hatte Premier Manmohan Singh der Bundesregierung beim G20-Gipfel mehr als deutlich gemacht, wie wenig er von der Taktik hält, strikt und stur nur auf Haushaltsdisziplin zu setzen, wo es doch darum gehe, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen.
Und Wirtschaftsexperte Basu meint: "Lassen sie mich an die Adresse Europas einen Ratschlag erteilen. Ich bin mehr und mehr der Meinung, wie andere Ökonomen, dass Europa ein paar Inflationsanfälle braucht. Europa benötigt ein bis zwei Jahre Inflation, damit diese riesige Last abgebaut werden kann. Und dann können sie die anderen nötigen Veränderungen vornehmen.
Die Angst vor der nächsten Generation
Indiens Brust ist noch immer breit - aufgepumpt von einer Serie beeindruckender Wachstumsjahre. Unter den G20-Nationen sei Indien nach China und Indonesien trotz der Probleme noch immer die Nummer drei, so Basu: "Indien wird die Umkehr schaffen. Und nicht nur das, es wird in ein paar Jahren die Führung unter den Wachstums-Nationen auf der Welt übernehmen."
Doch wenn die Krise anhält, werden die weniger überzeugten Stimmen, die jetzt schon unüberhörbar sind, noch lauter werden. Was eigentlich passiert in ein paar Jahren, fragen sie, wenn Indien zwar eine hyperreiche Oberschicht und darunter Abermillionen gut ausgebildeter junger Menschen hat, für die es aber möglicherweise keine Arbeitsplätze gibt? Die könnten den Riesen dann mehr als ins Wanken bringen, so die Vermutung.