Interview zum Tarifstreit bei der Lufthansa "Lieber Streiks als Milliardenkosten"
Warum kommt die Lufthansa den Piloten nicht entgegen? Wäre das nicht günstiger als ein neuer Streik? Nein, sagt ARD-Luftfahrtexperte Immel im tagesschau.de-Interview. Beim aktuellen Streit gehe es um Milliarden. Ein Streiktag koste "nur" 20 Millionen.
tagesschau.de: Die Lufthansa hat im vergangenen Jahr knapp 700 Millionen Euro verdient, in diesem Jahr soll es sogar eine Milliarde werden. Warum tut sich der Konzern so schwer, auf die Forderungen der Piloten einzugehen?
Michael Immel: Bei den Tarifgesprächen zwischen Lufthansa und Pilotengewerkschaft geht es um sehr viel Geld. Schauen wir uns die Personalkosten der Lufthansa an, stellen wir fest, dass die Gruppe der Piloten gerade mal 15 Prozent der Beschäftigten im gesamten Lufthansa-Konzern ausmachen. Sie sind jedoch für bis zu 40 Prozent der Personalkosten verantwortlich.
Ein Pilot verdient im Durchschnitt 180.000 Euro im Jahr, ein Kapitän in der Endstufe verdient bis zu 255.000 Euro im Jahr. Hinzu kommen die Kosten für die Übergangsversorgung, denn bislang kann ein Pilot aus gesundheitlichen Gründen bereits ab dem 55. Lebensjahr aus dem Dienst ausscheiden, dann erhält er bis zu 60 Prozent seiner bisherigen Bezüge. Das ist ein Privileg, das einer "Lex Lufthansa" gleichkommt. Solch eine Frührente gibt es nur bei ganz wenigen Fluggesellschaften weltweit. Der Konzern hat diese Übergangsversorgung der Piloten bislang allein finanziert. Alles zusammen gezählt, verrät, dass es bei den Tarifgesprächen um Milliarden geht.
Michael Immel arbeitet beim Hessischen Rundfunk. Er ist ARD-Luftfahrtexperte und beobachtet die Entwicklung in der Branche seit vielen Jahren.
"Entgegenkommen wäre nicht billiger"
tagesschau.de: Bereits der Streik im Frühjahr kostete die Lufthansa einen höheren zweistelligen Millionenbetrag. Wäre ein Entgegenkommen nicht billiger?
Immel: Keinesfalls. Ein Streiktag - wie zuletzt im April diesen Jahres - kostet die Lufthansa 15 bis 20 Millionen Euro. Nicht eingerechnet sind dabei natürlich entgangene Einnahmen, weil Kunden verunsichert sind und nicht Lufthansa in dieser Zeit gebucht haben. Demgegenüber stehen jedoch Milliardenbeträge, um die es bei den Tarifverhandlungen geht. Nach Angaben der Lufthansa fallen allein für die Übergangsversorgung 2,8 Milliarden Euro an. Die müssen als Rückstellung für die kommenden Jahrzehnte gebildet werden. Solch ein Betrag lässt verstehen, warum die Lufthansa bei den bisherigen Verhandlungen nicht zu mehr Zugeständnissen bereit war.
Übergangsversorgung: Bis Ende 2013 konnten Piloten frühestens mit 55 Jahren in Rente gehen, für bis zu 60 Prozent der Bezüge. Die Lufthansa will die Altersgrenze auf 61 Jahre erhöhen und die Piloten stärker an der Finanzierung beteiligen. Cockpit lehnt dies ab.
Betriebsrente: Lufthansa hatte die Vereinbarungen über die Betriebsrenten gekippt. Begründung: Die Zahlungen seien wegen der niedrigen Zinsen an den Kapitalmärkten nicht mehr finanzierbar. Falls keine Einigung kommt, gehen Lufthansa-Neueinsteiger leer aus. Für andere Angestellte ändert sich nichts. Nicht nur Cockpit, auch andere Gewerkschaften protestieren gegen die gekippte Betriebsrente bei der Lufthansa.
Vergütung: Cockpit pocht auf zehn Prozent mehr Gehalt über 24 Monate. Die Lufthansa bietet zunächst eine vom Geschäftserfolg abhängige Steigerung an, ab 2016 dann ein Plus von drei Prozent.
Konkurrenz fliegt für 250 Euro in die USA
tagesschau.de: Die Lufthansa steht immer mehr unter dem Konkurrenzdruck asiatischer Anbieter und europäischer Billigflieger. Spielt das auch eine Rolle für diesen Tarifkonflikt?
Immel: Sicherlich. Aus der Konzernspitze hören wir immer wieder und immer lauter: Lufthansa will wachsen und profitabler werden. Dabei hat die größte deutsche Fluggesellschaft, insbesondere auf der Langstrecke, einige Konkurrenten im Blick, die längst viel billiger fliegen. Nehmen wir als Beispiele eine Air Asia oder eine Norwegian. Beide sind relativ jung in der Luftfahrtbranche. Beide bieten für kleines Geld Langstreckenflüge an und sind damit sehr erfolgreich.
Bei Norwegian bekomme ich für knapp 250 Euro einen Flug von Europa nach Nordamerika. Das führt natürlich zwangsläufig auch bei Lufthansa zu der Frage, wie der Konzern auf der Langstrecke künftig profitabler werden kann und wie er gegenüber dieser Konkurrenz überlebt. All das fließt natürlich auch indirekt in den Tarifkonflikt ein. Lufthansa will die Kosten im Cockpit um 40 Prozent senken. Das entspräche dann dem Kostenniveau bei Germanwings. Die Tochtergesellschaft fliegt heute schon wesentlich günstiger als die Muttergesellschaft.
"Auch auf Langstrecken muss sich die Lufthansa bewegen"
tagesschau.de: Die Lufthansa reagiert auf diese Konkurrenz, indem sie ihrerseits auf Billig-Angebote setzt. Bislang vor allem mit Germanwings. Nun sollen aber auch auf der Langstrecke mit bereits abgeschriebenen Flugzeugen Billig-Angebote etabliert werden. Ist das die richtige Strategie oder sollte die Lufthansa auf hohe Qualität und hohe Preise setzen, wie es die Piloten fordern?
Immel: Die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte, denn zunächst einmal steht die Frage im Raum, was will der Fluggast, was will der Kunde? Klar, der Kunde will natürlich Qualität, der will einen ordentlichen Sitzabstand, der will eine ordentliche Mahlzeit, und der will eine verlässliche Airline haben, die pünktlich ist und ihre Maschinen ordentlich wartet.
Dazu gehört natürlich auch eine ordentliche Ausbildung des Personals und hohe Qualitätsstandards im Unternehmen. All das muss jedoch nicht ausschließen, dass ein Konzern seine Strategie überdenkt und auf den sich rasant verändernden Luftfahrtmarkt reagiert.
Daher feilt Lufthansa derzeit eifrig an einem neuen "Wings-Konzept". Lufthansa hat seinen Europa-Verkehr zu großen Teilen schon auf die Tochter Germanwings übertragen; der Konzern kappt damit Millionenverluste. Genauso werden wir eine Veränderung auf der Langstrecke sehen, denn die Konkurrenz staatlich subventionierter Airlines von den Golfstaaten einerseits und die von Low-Cost-Anbietern wie Air Asia und Norwegian andererseits zeigen, dass Lufthansa reagieren muss.
Privilegien werden abgebaut
tagesschau.de: Wie wird Lufthansa in zehn, zwanzig Jahren aussehen? Werden dann überhaupt noch Löhne gezahlt werden können, wie sie der Konzern zurzeit zahlt?
Immel: Die Tarifgespräche zwischen Lufthansa und der Flugbegleiter-Gewerkschaft UFO haben uns bereits einen Vorgeschmack gegeben: In der Kabine ist bereits ein komplett neuer Tarifvertrag auf die Beine gestellt worden. Dort ist an der Kostenschraube kräftig gedreht worden. Neu eingestellte Mitarbeiter verdienen weniger als bisherige. Die Gewerkschaft UFO war zu Zugeständnissen bereit, hat dabei das langfristige Interesse des Konzerns berücksichtigt, hat aber auch erstrittene Privilegien für Kabinenmitarbeiter bewahrt.
tagesschau.de: Inwiefern lässt das Rückschlüsse auf die Verhandlungen mit den Piloten zu?
Immel: Ich erwarte, dass eine ähnliche Lösung auch am Ende des Tarifkonflikts mit der Piloten-Gewerkschaft Cockpit stehen wird. Lufthansa hat beispielsweise bei der Übergangsversorgung Zugeständnisse gemacht. Sie bietet derzeit in den Gesprächen an, dass für alle Piloten, die vor 2014 eingestellt wurden, die getroffene Regelungen nicht verändert wird. Das bedeutet, alte Privilegien bleiben. Lediglich für neu eingestellte Piloten werden sich Bedingungen ändern. Eine Übergangsversorgung soll bestehen bleiben, aber von Piloten mitfinanziert werden.
"Kein Paukenschlag von Vorstandschef Spohr"
tagesschau.de: Gerade die Piloten setzten große Hoffnungen in den neuen Vorstandschef Carsten Spohr. Doch ausgerechnet unter ihm, der eine Pilotenlizenz besitzt, eskaliert nun der Tarifstreit. Ist Spohr der richtige Mann für den Konzernumbau?
Immel: Spohr bringt alle Voraussetzungen mit, die für den Umbau nötig sind. Er kennt den Konzern seit Jahrzehnten. Er ist im Unternehmen groß geworden. Er versteht die Piloten. An Privilegien herum zu schrauben ist jedoch für keinen Konzernlenker einfach. Das weiß auch Spohr. Letztlich ist er aber noch zu frisch in seinem Amt, als dass ich jetzt einen großen Paukenschlag erwarte. Ich gehe davon aus, dass Spohr gegenüber der Piloten-Gewerkschaft weiterhin moderate und leise Töne anschlagen wird. Dennoch kann er dabei den notwendigen Konzernumbau nicht außer Acht lassen.
Die Fragen stellte Ralph Sartor, tagesschau.de.