Zukunft der Zeitungen "Printjournalismus ist Auslaufmodell"
Der Printjournalismus ist in der Krise. Nun wurde die "Washington Post" an Amazon-Chef Bezos verkauft. Journalismus auf gedrucktem Papier wird es nicht mehr lange geben, meint Medienforscher Stephan Weichert im Interview mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Herr Weichert, was steckt hinter dem Verkauf der "Washington Post"?
Stephan Weichert: Die Verlegerfamilie Graham hat vor den aktuellen Entwicklungen der Digitalisierung kapituliert. Sie haben offenbar kein Konzept gefunden, um diese Marke ins Digitale zu transformieren und ein stabiles Geschäftsmodell zu finden. Sie hatten keine Idee, wie sie in der digitalen Ära erfolgreich wirtschaften können.
Stephan Weichert ist seit 2008 Professor für Journalistik an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation in Hamburg und Gründungsherausgeber des medienkritischen Debattenportals VOCER. Derzeit leitet er gemeinsam mit Professor Volker Lilienthal (Universität Hamburg) ein groß angelegtes empirisches Forschungsprojekt, das sich mit den qualitativen Veränderungen des "Journalismus unter digitalen Vorzeichen" befasst.
tagesschau.de: Und warum hat Amazon-Chef Jeff Bezos die Zeitung gekauft?
Weichert: Das ist ein großes Potenzial für Amazon, den digitalen Zeitungsvertrieb aufzubauen. Bezos ist so einer, dem man das zutrauen könnte. Er hat das mit dem Kindle bewiesen. Da hat er eine Marktlücke gefunden und den Buchmarkt revolutioniert. Aber vielleicht ist das ein wenig zu weit vorgegriffen, wenn man nun hofft, dass er auch den Zeitungsmarkt revolutioniert. Bezos ist ein sehr, sehr guter Geschäftsmann und sicherlich nicht der Falscheste, in dessen Hände jetzt diese Zeitung geraten konnte.
tagesschau.de: Und was könnte noch ein Grund für den Kauf gewesen sein?
Weichert: Ich glaube, wir haben es auch mit etwas anderem zu tun: Bezos ist einer der Menschen, die von der Goldgräberzeit der "New Economy" sehr profitiert haben. Vielleicht steht dahinter nun auch ein Gedanke wie "ich will der Gesellschaft etwas zurückgeben". Der Kauf könnte auch zu einem Imagegewinn von Bezos als Person, aber auch von Amazon beitragen.
tagesschau.de: Nun hat Bezos aber gesagt, dass er die "Washington Post" als Privatperson und nicht als Geschäftsführer von Amazon gekauft hat ...
Weichert: Da glaube ich nicht dran. Vielleicht hat das kartellrechtliche Gründe oder zumindest wollte er allen Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen, die sofort sagen würden: "Amazon schluckt die 'Washington Post'". Und deshalb hat Bezos sehr deutlich gemacht, dass er erstmal als Privatperson dahinter steht. So ein Deal hat einen ganz anderen Charakter, als wenn ein Unternehmen ein anderes Unternehmen schluckt.
"Es wird noch mehr Zeitungsaufkäufe geben"
tagesschau.de: Wird der Kauf der "Washington Post" ein Einzelfall bleiben?
Weichert: Wir werden noch mehr Zeitungsaufkäufe von Unternehmen der "New Economy" erleben, weil die das Geld in ihren Schubladen liegen haben und im Geld schwimmen. Das sind natürlich starke Marken. Ich warte eigentlich nur darauf, dass auch die "New York Times" in den nächsten Jahren gekauft wird - ob von Google oder von Apple. Einer dieser digitalen Großkonzerne wird ein Angebot machen, das der Verlag und die Aktionäre irgendwann nicht mehr ausschlagen können. Für diese "New Economy"-Marken sind diese traditionellen Marken ein unheimlicher Imagegewinn, weil sie darüber noch ganz andere Produkte vertreiben können.
tagesschau.de: Was bedeuten solche Aufkäufe für die Qualität des Journalismus?
Weichert: Es darf natürlich nicht passieren, dass die Käufer die journalistischen Marken beschädigen. Darauf wird Bezos mit Sicherheit achten und erst gar nicht den Verdacht aufkommen lassen, dass er sofort Leute entlässt und das Unternehmen verschlankt, so wie die Funke-Gruppe das jetzt wahrscheinlich bei den Springer-Blättern machen wird.
Ich rechne eher damit, dass Bezos investieren wird bei der "Washington Post", vor allem in den Online-Auftritt und in die digitale Vermarktung von Inhalten. Ich denke, die Mitarbeiter verbinden damit auch die große Hoffnung, dass jetzt jemand kommt, der etwas vom digitalen Geschäft versteht und die Marke neu positioniert und aufstellt und dass sich das auch am Ende auf den Journalismus positiv auswirkt.
"Den deutschen Verlagen geht es besser als den amerikanischen"
tagesschau.de: Und was ist der Unterschied zwischen Amerika und Deutschland?
Weichert: Der Unterschied zwischen Amerika und uns ist, dass es den deutschen Verlagen noch sehr viel besser geht als den amerikanischen. Die Debatte um Zeitungsverkäufe und Insolvenzen gibt es in den USA schon seit fast zehn Jahren. Viele deutschen Verleger haben in ihrer Arroganz den Fehler begangen, zu glauben, dass dieser Strukturwandel nicht oder zumindest nicht in dieser Intensität auf uns zukommt. Und jetzt sind alle plötzlich total erschrocken und überrascht, weil die "FTD" pleite ist, weil die "Frankfurter Rundschau" abgewickelt wird, weil plötzlich Springer seine ganzen Printprodukte verkauft.
tagesschau.de: Werden sich deutsche Verlage irgendwann ganz vom Journalismus verabschieden, weil sich damit kein Geld mehr verdienen lässt?
Weichert: So deute ich die Entwicklung bei Springer. Verlagschef Mathias Döpfner wird unter Achtung des Erbes von Axel Springer nicht von heute auf morgen auch die "Welt"-Gruppe oder die "Bild"-Gruppe verkaufen. Aber ich glaube, wenn Friede Springer irgendwann komplett aus dem Konzern ausgeschieden ist, wird sich Döpfner doch ein Herz nehmen und sagen, ich verkaufe jetzt das komplette Printgeschäft. Und dann hat der Axel-Springer-Verlag nichts mehr mit Journalismus zu tun. So könnte das Worst-Case-Szenario für die ganze Branche aussehen: dass sich die privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen irgendwann alle Schritt für Schritt von den journalistischen Angeboten trennen.
tagesschau.de: Und dann?
Weichert: Dann gibt es diese journalistischen Angebote nicht mehr. Ich bin kein Freund von Schwarzmalerei, aber es gibt schon einige Verlage, wo es in diese Richtung läuft - zum Beispiel bei Burda. Und dass muss uns Sorgen machen als Bürger dieser Demokratie. Als Mitglieder dieser Gesellschaft müssen wir uns fragen, wie wir dann einen kritischen, aufklärerischen und vor allem unabhängigen Journalismus finanzieren können.
tagesschau.de: Wie könnte denn der Weg aus der Zeitungskrise aussehen?
Weichert: Die Verleger müssen sich auch mit alternativen Finanzierungsmodellen beschäftigen, zum Beispiel mit Fördermöglichkeiten durch die Politik oder durch den Staat, ähnlich dem bestehenden öffentlich-rechtlichen System. Sie müssen sich zudem mit Stiftungsmodellen anfreunden, die zwar keine Gewinne abwerfen, aber langfristige Sicherheit bedeuten, auch für die Mitarbeiter der Verlage, weil sie nicht so sehr den Schwingungen des Marktes unterliegen. Dafür gibt es zwei Optionen: Entweder müssen Verlage in Stiftungen umgewandelt werden, damit diese steuerfrei ohne Renditedruck anders wirtschaften können, oder Stiftungsgelder müssen zur Finanzierung der Presse eingesetzt werden.
Und als weitere Möglichkeit neben der privatwirtschaftlichen Finanzierung, die weiter existieren wird, gibt es natürlich noch das Crowdfunding, also die durch die Masse der User finanzierten journalistischen Angebote. Da gibt es immer mehr Projekte, die sich durch Gelder der Bürger finanzieren. In Deutschland gibt es erste Versuche, amerikanische Plattformen wie "spot.us" zu kopieren.
tagesschau.de: Wird es bei uns ein Zeitungssterben wie in den USA geben?
Weichert: Die Frage ist, ob der Journalismus in seiner jetzigen Form noch eine Zukunft hat als Ware, die man verkauft, oder ob das nicht ein kostenloses Angebot sein wird, aus dem der User sich etwas aussuchen kann. Ich sehe einfach die Entwicklung, dass jeder Bürger die Möglichkeit hat, sich irgendwo im Internet zu informieren und da sind so viele Quellen, die nichts kosten. Da wird der Journalismus immer den Kürzeren ziehen, wenn er sagt, ich verlange Geld.
tagesschau.de: Hat Print denn eine Zukunft?
Weichert: Der Journalismus, für den Print jahrelang stand, hat sicher eine Zukunft. Aber der Journalismus auf gedrucktem Papier ist ein Auslaufmodell.
Das Interview führte Julia Kuttner, tagesschau.de