Interview

Interview zur Bankenkrise "Die Bankenaufsicht hat versagt und ist überflüssig"

Stand: 01.04.2008 16:14 Uhr

Verluste und Abschreibungen bei Deutscher Bank und UBS - die Hiobsbotschaften aus dem Finanzsektor reißen nicht ab. Der Bankenexperte Wenger macht dafür auch das Aufsichtssystem verantwortlich. Im Interview mit tagesschau.de fordert er eine Abschaffung der Aufsicht und ein Ende des Zockersystems bei den Banken.

Verluste und Abschreibungen bei der Deutschen Bank und der UBS - die Hiobsbotschaften aus dem Finanzsektor reißen nicht ab. Dabei gibt es in Deutschland ein ausgeklügeltes System der Bankenaufsicht. Haben die Bundesbank und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs- aufsicht (Bafin) ihre Aufgabe nicht erfüllt? tagesschau.de sprach darüber mit dem Bankexperten Ekkehard Wenger.

tagesschau.de: Milliarden-Abschreibungen bei der Deutschen Bank und massive Verluste bei der IKB: Hat die Bankenaufsicht in Deutschland, haben Bundesbank und Bafin versagt?

Ekkehard Wenger: Wenn man sich die Geschichte der letzten Kapitalmarktkrisen anschaut muss man leider immer wieder feststellen, dass die zuständigen Aufsichtsbehörden nicht nur versagt, sondern sich als nutzlos und überflüssig erwiesen haben. Ich denke deshalb, dass man die Aufsichtsbehörden und das Aufsichtsregularium zurückdrängen muss, denn es hilft nichts, wie man sieht.

Zur Person

Professor Ekkehard Wenger lehrt an der Universität Würzburg Betriebswirtschaft, Bank- und Kreditwesen. In zahlreichen Publikationen hat er sich mit der Regulierung des Banksektors und mit der Position von Aktionären und Anlegern auseinandergesetzt. In der Presse wird Wenger mitunter als "Schreck der Hauptversammlungen" bezeichnet, weil er sich spektakuläre Auseinandersetzungen mit Bankern wie Ex-Deutsche-Bank-Chef Hilmar Kopper geliefert hat.

tagesschau.de: Selbst eine schärfere Kontrolle hätte die Verluste nicht verhindert?

Wenger: Auf der jüngsten Hauptversammlung der IKB hat der Aufsichtsrat erklärt, er habe von allem nichts gewusst, nichts gesehen, er sei völlig überrascht und vom Vorstand getäuscht worden. Das ist zwar kaum zu glauben, aber wenn sich Aufsichtsräte und Bankenaufsicht so entlasten, dann muss man sich fragen, wozu man sie hat.

"Aufsicht macht Banken anfällig"

tagesschau.de: Kein Staat kann sich einen Bankencrash leisten – da kann er doch wohl kaum auf eine Bankenaufsicht verzichten!

Wenger: Drehen wir die Uhr hundert Jahre zurück - damals gab es auch keine Bankenaufsicht und die Banken haben dennoch existiert. Das Fehlen der Aufsicht hatte zur Konsequenz, dass die Banken sehr viel vorsichtiger sein mussten, sonst waren sie weg vom Fenster. Das hat sich darin ausgedrückt, dass die Eigenkapitalquoten der Banken damals sehr viel höher waren als sie es heute sind. Mit Aufsicht und dem ganzem Regularium sind die Eigenkapitalquoten niedriger und das System anfälliger als es ohne Aufsicht wäre.

tagesschau.de: Warum führt weniger Aufsicht zu mehr Eigenkapital, und warum macht das eine Bank stabiler?

Wenger: Die Aufsicht und die Einhaltung der entsprechenden Regeln haben dazu geführt, dass sich die Leute entlastet fühlen und nicht mehr über die Frage nachdenken, was betriebswirtschaftlich vertretbar und sinnvoll ist. Die Umstellung der Aufsichtsregeln im Zusammenhang mit Kreditzusagen zeigt dies deutlich. Hier ist nach neuem Recht eine Eigenkapital-Unterlegung nötig, nach altem Recht war das in der Regel nicht so. Das hat dazu geführt, dass die IKB Kreditzusagen in unverantwortlicher Höhe gemacht hat. Man hat sich lediglich die Frage gestellt, ob man in Einklang mit den Aufsichtsregeln handelt, anstatt zu überlegen, ob man betriebswirtschaftlich vernünftig handelt. Die Regeln, die entlasten sollen, hatten den gegenteiligen Effekt.

"Aktionäre bleiben auf Verlusten sitzen"

tagesschau.de: Die hochspekulativen Kreditgeschäfte, die zu der aktuellen Finanzkrise geführt haben, waren ja international üblich. Kann es sich eine Bank da leisten, auf solche Geschäfte zu verzichten?

Wenger: Die Banken hätten gut daran getan, sich aus diesen Geschäften zurückzuziehen. Sie haben den Aktionären, denen die Banken theoretisch gehören, nichts gebracht. Die Einzigen, die davon etwas hatten, waren die hochbezahlten Zocker in den Banken. Sie haben in Zeiten, in denen die Geschäfte gut zu laufen schienen, riesige Boni eingestrichen. Jetzt verlieren sie bestenfalls ihren Job und suchen mit dicken Abfindungen das Weite, während die Aktionäre auf den Verlusten sitzen bleiben.

"Falsche Anreize verführen zum Zocken"

tagesschau.de: Aber der Ursprung dieses Handelns war doch die Hoffnung, zum Wohle der Bank große Gewinne zu erzielen.

Wenger: Die Betonung liegt auf „hoffen“. Sie hoffen aber, weil sie bei Gewinnen Boni kassieren und andererseits nicht bluten müssen, wenn es abwärts geht. Das sind fehlgesteuerte Anreize, die zum Zocken geradezu verführen.

tagesschau.de: Man muss also auch an das Anreizsystem heran und Gehälter und Boni kürzen?

Wenger: Die Bezahlungssysteme in den Banken müssen völlig verändert werden. In einer vernünftig geführten Bank darf es nicht mehr dazu kommen, dass Boni auf Jahresbasis abgerechnet werden. Sie sollten allenfalls über einen kompletten Konjunkturzyklus ausgeschüttet werden, weil man dann sieht, ob Geschäfte wirklich gut gelaufen sind oder ob es nur eine Scheinblüte in einer Aufwärtsbewegung war, die mit dem Platzen einer Blase endet.

tagesschau.de: Vertreibt man aber nicht die besten Köpfe?

Wenger: Wenn alle das so machen, können die besten Köpfe gar nicht flüchten, sie können allenfalls ihren eigenen Betrieb aufmachen – und das wäre auch wünschenswert. Dann werden wir sehen, ob diese Herrschaften immer noch zweistellige Millionenbeträge im Jahr abräumen.

"Bundesanleihen erfolgreicher als Deutsche-Bank-Aktien"

tagesschau.de: Trotz aller Abschreibungen weist die Deutsche Bank ja Gewinne aus. Wie dramatisch ist denn die Situation bei der Bank?

Wenger: Den Finanzmarkt interessieren die Gewinne nicht so sehr, sondern man fragt, wie es in Zukunft aussieht. Die Gewinne, die man durch Herumspekulieren in Marktbewegungen gemacht hat, die man vielleicht zufällig besser erwischt hat als andere, werden für die Zukunft nicht erwartet, und deshalb wird die Bank heute so niedrig bewertet wie vor zehn Jahren. Für den Aktionär ist in zehn Jahren außer einer Schmalspur-Dividende nicht übrig geblieben. Wer wie 1997 so wie ich den größten Teil seiner Deutsche-Bank-Aktien verkauft und sie statt dessen in Bundesanleihen gesteckt hätte, der hätte ein besseres Geschäft gemacht als diejenigen, die ihre Aktien behalten haben. Das will etwas heißen. Und dann fragt man sich, wozu Leute zweistellige Millionengehälter brauchen, wenn für den Aktionär verglichen mit einer risikoarmen Alternativanlage ein Minus übrigbleibt.

tagesschau.de: Aber die Krise hat die Deutsche Bank weniger schwer erwischt als andere, wofür Bank-Chef Ackermann ja erst unlängst gefeiert worden ist.

Wenger: Andere Banken haben noch schlimmer gezockt. Die Deutsche Bank hat es so gesehen noch glimpflich erwischt. Aber das kann nicht der Maßstab für die Beurteilung aus der Sicht des Aktionärs sein. Für einen langfristigen Anleger bleibt nichts übrig, weil die Banken, vor allem die Investment-Banken, geführt werden wie Fußballvereine. Alle Einnahmen wandern in die Taschen der Spieler und für den Verein, sprich: die Aktionäre, bleibt nichts übrig.

Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de