Harte Strafen und Appelle an Solidarität Eine neue Steuermoral für Italien?
In Italien gilt Steuerhinterziehung quasi als Volkssport. Selbst führende Politiker rechtfertigen sie öffentlich. Drakonische Strafen sollen das jetzt ändern. Italiens oberster Steuereintreiber hofft aber auch auf Einsicht.
Italien zieht für Steuersünder im neuen Jahr die Daumenschrauben an. Bis auf das Zehnfache werden die Strafen zum Beispiel für Schwarzarbeit erhöht. Drastische Maßnahmen, kurz nachdem der Chef der nationalen Finanzbehörde sich mit einem Alarmruf an die Öffentlichkeit gewandt hatte. Die Steuerhinterziehung, so Attilio Befera, sei eine Gefahr für die Demokratie in Italien, meint er: "Einkünfte bei der Steuer nicht anzugeben, bedeutet die Finanzierung öffentlicher Leistungen anderen zu überlassen. Dies produziert Privilegien und Ungleichheit, die nicht vereinbar sind mit einem zivilisierten und demokratischen Land."
Besonders, sagt Italiens oberster Steuereintreiber, angesichts der Dimensionen, die die Steuerhinterziehung angenommen hat. Im abgelaufenen Jahr ist der Staat in Italien nach Schätzung des Rechnungshofes um rund 130 Milliarden Euro betrogen worden. 130 Milliarden, das ist so viel wie ein Land wie Neuseeland in einem Jahr erwirtschaftet.
Die Trickser werden bewundert
Italiens aktuelle Regierung unter Ministerpräsident Enrico Letta macht zwar, wie das Vorgängerkabinett von Mario Monti, ernst im Kampf gegen die Steuerhinterziehung. Aber, so Befera, die Lasten der jüngeren Vergangenheit seien schwerwiegend: "Das Schlimmste, was einem Staat passieren kann, ist, dass die Trickser als die Schlauen gelten. Leider sind in Italien die Trickser viel zu lange als die Schlauen angesehen worden."
Berlusconi und Grillo ausnahmsweise einig
Dieses Tricksen bei der Steuer als Volkssport wurde in Italien in den Berlusconi-Jahren von oberster Stelle befeuert. Unvergessen, wie der mittlerweile wegen Steuerbetrugs verurteilte ehemalige Regierungschef seine Landsleute geradezu ermunterte, bei der Steuererklärung zu schummeln: "Wenn der Staat von mir 50 Prozent und mehr an Steuern verlangt, dann ist das eine Forderung, die nicht in Ordnung ist. Dann fühle ich mich moralisch autorisiert, Steuern zu hinterziehen, soweit es mir möglich ist."
Auch die neuen Populisten in Italien, wie Beppe Grillo von der Protestpartei Fünf-Sterne-Bewegung, finden es schick, den Italienern zu erzählen, das mit der Steuerehrlichkeit müsse man nicht so ernst nehmen: "Die Steuern - warum soll ich Steuern bezahlen? Ich würde ja gerne Steuern zahlen, wenn ich dafür Dienstleistungen bekomme. Aber hier funktioniert nichts. Ich muss meiner Tochter die Privatschule bezahlen und dann auch noch mit meinen Steuern die öffentlichen Schulen. Das Gleiche im Gesundheitswesen. Ich muss doppelt zahlen. Warum soll ich Steuer zahlen, wenn damit 30 Bomber gekauft werden, um Afghanistan zu bombardieren?"
Befera appelliert an Solidaritätsgefühl
Auch wenn die Logik holprig ist - viele Italiener, die dem Staat traditionell skeptisch gegenüberstehen, hören gerne die Botschaften der Berlusconis und Grillos - oder auch der rechtspopulistischen Lega Nord. Auf der anderen Seite steht Befera, Italiens oberster Steuereintreiber.
Der ehemalige Bankmanager zieht in seinem neuen Job wie ein Messias der Steuerehrlichkeit durch Talkshows und wirbt für eine andere Steuermoral im Land - sowie für eine in Italien bislang nicht sehr verbreitete Idee: Der Staat, das sind wir alle: "Wir Italiener kaufen uns gerne ein Auto, das ist wunderbar, darüber freuen wir uns. Aber leider denkt keiner daran, dass dieses Auto nichts wert wäre ohne die öffentlichen Einrichtungen - die Straßen, die Kontrollsysteme oder auch die Krankenhäuser, sollte es zu einem Unfall kommen. Ohne das Öffentliche könnten wir das Private gar nicht benutzen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass man meint, die öffentlichen Güter seien gottgegeben und man nicht daran denkt, dass sie bezahlt werden müssen."
Wie wichtig ein erfolgreicher Kampf gegen die Steuerhinterziehung für das kriselnde Italien ist, zeigt ein Blick zurück. Wäre in den vergangenen Jahren nur die Hälfte des Geldes, das bei den Steuererklärungen unterschlagen wurde, in den Staatssäckel geflossen, dann hätte Italien heute rund ein Billion Euro mehr in der Kasse - und eine niedrigere Schuldenquote als Deutschland.