Historisch hohe Inflation US-Notenbank in der Bredouille
Kritiker werfen der Federal Reserve vor, die Zinswende zu spät eingeleitet zu haben. Umso drastischer muss die Zentralbank der USA nun gegensteuern, um der Inflation noch Herr zu werden.
Die USA steuern auf die stärkste Anhebung des Leitzinses seit 1994 zu. 75 Basispunkte - darunter dürfte es Fed-Chef Jerome Powell nicht machen. Davon sind die Märkte mittlerweile überzeugt. Laut dem "Fed Watch Tool" der CME Group rechnet die überwältigende Mehrheit von 98 Prozent der Marktteilnehmer für die Sitzung der US-Notenbank Federal Reserve heute Abend mit einem großen Zinsschritt von 75 Basispunkten.
Der US-Leitzins würde somit von aktuell 0,75 bis 1,0 Prozent auf 1,5 bis 1,75 Prozent nach oben schnellen. "Die US-Notenbank hat keine Wahl, als weiterhin hart und schnell zu handeln", so Franck Dixmier, Anleihen-Experte von Allianz Global Investors.
US-Leitzins Anfang 2023 schon bei 4,25 Prozent?
Tatsächlich stellt sich der Markt mittlerweile auf eine ganze Serie drastischer Zinserhöhungen ein. Ein weiterer Zinsschritt von 75 Basispunkten im Juli sei bereits eingepreist, unterstreicht Marktexperte Robert Rethfeld von Wellenreiter-Invest. Für September und November rechnen die Märkte mit Zinserhöhungen von jeweils 0,5 Prozentpunkten.
Erst im Dezember könnte die Fed einen Gang zurückschalten und womöglich nur um 25 Basispunkte erhöhen, sodass der US-Leitzins zum Jahresende bei 3,5 bis 3,75 Prozent rangieren dürfte. Nach zwei weiteren Zinserhöhungen im Januar und März 2023 würde der Leitzins dann bei 4,0 bis 4,25 Prozent seinen vorläufigen Höhepunkt erreichen.
Kritik an zögerlichem Vorgehen
Doch warum sieht sich die Fed zu einer solch drastischen geldpolitischen Straffung genötigt? Kritikern zufolge hat die US-Notenbank die geldpolitische Wende zu spät eingeleitet. "Obwohl sie den Spielraum hatte, bewegte sich die Fed 2021 erst mal gar nicht und dann nur im Schneckentempo", kritisiert etwa Patrick Franke von der Helaba.
Die Zentralbank riskiert damit, die Kontrolle über die Inflationserwartungen zu verlieren. Um wieder "vor die Kurve zu kommen", wie es im Notenbanker-Jargon heißt, muss sie nun drastischer gegensteuern als es bei einem früheren und beherzteren Einschreiten nötig gewesen wäre.
Wenn Notenbanker irren
Dass die Währungshüter um Jerome Powell bei den Zinsen erst jetzt so richtig in Fahrt kommen, beruht dabei Kritikern zufolge auf einem Denkfehler. Die US-Notenbank hat die hohen Inflationsraten lange Zeit lediglich als "vorübergehendes" Phänomen betrachtet. Ein Gegensteuern durch die Notenbank war in dieser Lesart schlichtweg nicht erforderlich.
Dabei handelte es sich aber um eine Fehleinschätzung, wie auch die Fed zwischenzeitlich zugeben musste. Auch die mehrfach verbreitete Hoffnung auf einen baldigen Höhepunkt der Inflation stellte sich als Trugschluss heraus. Im Mai schnellten die US-Verbraucherpreise um 8,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat empor und damit so stark wie seit über 40 Jahren nicht mehr. Die erwartete Wende der Inflationsraten nach unten - sie ist bislang nicht in Sicht.
Gefahr einer Rezession
Vor diesem Hintergrund kommt die Fed um deutliche Zinserhöhungen nicht herum. Dadurch würde die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen aggressiv gedrosselt, erklärt Peter De Coensel, Chef der Vermögensverwaltungsgesellschaft DPAM. "Das würde der Inflation einen Schlag versetzen."
Doch der geldpolitische Straffungskurs dürfte noch weitere Folgen für die Realwirtschaft haben. Die höheren Renditen auf Staatsanleihen wirkten sich bereits jetzt auf zinsempfindliche Teile der Wirtschaft aus, argumentiert etwa Christian Scherrmann, US-Ökonom bei DWS. So dürften etwa teurere Hypotheken die Bautätigkeit und die Wohnungsmärkte etwas abkühlen lassen. Die Commerzbank-Devisenexpertin Antje Praefcke geht noch einen Schritt weiter und warnt, die harte Inflationsbekämpfung berge das große Risiko einer Rezession.
Globale Gewinnerwartungen auf tiefstem Stand seit Lehman
Mit dieser Befürchtung steht die Devisen-Analystin derweil nicht allein da. Das zeigt die aktuelle Fondsmanager-Umfrage von Bank of America/Merrill Lynch: Mit Blick auf die weitere Entwicklung des globalen Wachstums sind die Fondsmanager so negativ gestimmt wie seit 1994 nicht mehr. Das größte Risiko sehen sie dabei in den Bremsmanövern der Notenbanken. Hier hatte die Angst zuletzt nochmals deutlich zugenommen.
Die Aussichten für eine Verbesserung der globalen Gewinne beurteilen die Fondsmanager überdies so pessimistisch wie zuletzt im September 2008. Zur Erinnerung: Damals, auf dem Höhepunkt der US-Finanzkrise, war die US-Investmentbank Lehman Brothers pleitegegangen.
Wiederholt sich die (Finanzkrisen-) Geschichte?
Auch diese Krise hat eine Vorgeschichte. Nicht wenige Ökonomen machen die Geldpolitik der Fed unter der Leitung von Alan Greenspan (1987 bis 2006) für die verheerenden Marktturbulenzen zwischen 2007 und 2009 mitverantwortlich.
Ihr Vorwurf: Greenspan habe durch sein zu spätes und zu wenig energisches Vorgehen gegen die hohe Inflation maßgeblich dazu beigetragen, dass die Blase am US-Häusermarkt anschwoll. Die niedrigen Zinsen hätten demnach die Immobilien-Hausse erst möglich gemacht. Ob Jerome Powell etwas aus der Geschichte seines Vorgängers gelernt hat?