Zunehmende Verschuldung Nachbesserung der EU-Schuldenregeln gefordert
Immer mehr EU-Staaten verschulden sich. Deshalb werden die Rufe von Ökonomen nach Nachbesserungen bei den EU-Defizitregeln lauter.
Angesichts steigender Staatsschulden bei vielen Mitgliedern der EU mehren sich die Stimmen, die Nachbesserungen bei den geltenden Schuldenregeln fordern. So kritisiert ifo-Präsident Clemens Fuest die geplante Lockerung der Defizitregeln für Länder, deren Ausgaben mit den politischen Prioritäten der EU übereinstimmen. Eine solche Lockerung der Schulden könne mit dem Ziel einer nachhaltigeren Haushaltspolitik in Konflikt geraten, begründete der Ökonom im EconPol Forum.
Positiv bewert Fuest dagegen den Vorschlag, automatisch ein Verfahren gegen Länder einzuleiten, die die Schuldenregeln nicht einhielten. Die sogenannten Maastricht-Kriterien erlauben den EU-Mitgliedsstaaten, sich mit maximal drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts jährlich zu verschulden, insgesamt aber mit maximal 60 Prozent der Wirtschaftsleistung.
Schuldenregeln offenbar kein Hindernis für Investitionen
Bereits im Juni hatte das ifo-Institut darauf hingewiesen, dass die EU-Schulden- und Fiskalregeln kein Hindernis für öffentliche Investitionen seien. Sie führten grundsätzlich nicht dazu, dass Staaten weniger investieren, wie eine Auswertung ergab. Zuvor hatten die Experten 20 empirische Studien analysiert, die die Wirkung von Fiskalregeln auf öffentliche Investitionen oder deren Teilkomponenten untersuchen.
"Wie Schulden- und Fiskalregeln wirken, hängt von der Ausgestaltung ab", fasste Co-Autor Sebastian Blesse zusammen. Seien sie zu starr, erlaubten sie der Politik nicht, die Konjunktur in wirtschaftlichen Krisen zu stützen. "Das kann dann öffentliche Investitionen durchaus beeinträchtigen." Im Gegensatz dazu könnten flexible Regeln die öffentlichen Investitionen positiv beeinflussen, was je nach Ausgestaltung aber zu höheren Schulden führen könne.
Die Studienautoren hatten entsprechend eine Reform der EU-Regeln vorgeschlagen, die Investitionsanreize verbessert und weiterhin die Schulden begrenzt. "Schuldenfinanzierte Ausgaben müssten sich auf Nettoinvestitionen beschränken", hieß es. Alle anderen Staatsausgaben müssten durch entsprechende Einnahmen im Staatshaushalt gedeckelt sein. In Wirtschaftskrisen sollten aber auch weiterhin schuldenfinanzierte Stützungsmaßnahmen möglich sein, die nicht unter den Investitionsbegriff fallen.
Nur die Hälfte der EU-Mitglieder hält Regeln ein
Europas Schuldenregeln werden indes von vielen Staaten verletzt. Nur 14 Volkswirtschaften aus der Eurozone sind im Rahmen der Vorgaben verschuldet. Im Durchschnitt sind die Mitglieder mit rund 91,5 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung (BIP) verschuldet.
Griechenland führte im vierten Quartal 2022 die Negativ-Liste mit 171,3 Prozent an, gefolgt von Italien (144,4, Prozent), Portugal (113,9 Prozent), Spanien (113,2 Prozent) und Frankreich. Deutschland reißt die Kriterien knapp mit einer Verschuldung von 66,3 Prozent des BIP. Am wenigsten verschuldet im Vergleich zur wirtschaftlichen Leistung ist Estland mit 18,4 Prozent.
EU-Kommission will maßgeschneiderte Lösungen
Seit der Corona-Pandemie waren die EU-Schuldenregeln ausgesetzt worden. Ab 2024 sollen sie wieder gelten. Im April hatte die EU-Kommission Reformvorschläge vorgelegt. Danach sollen maßgeschneiderte Lösungen gefunden werden für Staaten mit besonders hoher Verschuldung. Sie sollen vier bis sieben Jahre Zeit bekommen, ihre wirtschaftliche Lage zu verbessern.
Die Positionen innerhalb der EU-Staaten gehen hierzu weit auseinander. Während hochverschuldete Staaten wie Italien und Frankreich weniger strenge Auflagen und mehr Möglichkeiten zum Schuldenmachen fordern, will Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) verbindliche Regeln und Haushaltsdisziplin für alle.