Nach der OECD-Studie Wo sind nur all die Fachkräfte?
Bis 2020 wird laut OECD die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland um sechs Prozent sinken - es sei denn, der Trend wird gestoppt. Nur wie? Bildungsministerin Schavan und Arbeitgeber wollen dem OECD-Rat folgen und Fachkräfte aus dem Ausland anwerben. Für Experten ist das nicht der alleinige Weg.
Bis 2020 wird laut OECD die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland um sechs Prozent sinken - es sei denn, der Trend wird gestoppt. Nur wie? Bildungsministerin Schavan und Arbeitgeber wollen dem OECD-Rat folgen und Fachkräfte aus dem Ausland anwerben. Für Experten ist das nicht der alleinige Weg.
Von Jonathan Fasel und Britta Scholtys, tagesschau.de
Die OECD-Warnung, Deutschland steuere auf einen immer größeren Fachkräftemangel zu, hat eine hektische Debatte ausgelöst. Bildungsministerin Schavan und Arbeitgeber wollen der OECD-Empfehlung folgen und aus ökonomischen Gründen mehr hochqualifizierte Zuwanderer ins Land holen. SPD und Gewerkschaften dagegen wollen das hiesige Potenzial fördern. "Die SPD wird keinen Weg gehen, bei dem Bildung und Weiterbildung hier im Land vernachlässigt wird und dann gleichzeitig der Bedarf an Fachkräften durch Zuwanderung gedeckt wird", stellte SPD-Generalsekretär Hubertus Heil klar.
Spezialisten für IT, Elektrotechnik und Maschinenbau
Festzuhalten gilt zunächst: "Der Fachkräftemangel ist bislang keine gesamtwirtschafliche Entwicklung", sagt Arbeitsmarktforscherin Anja Kettner vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Vielmehr sei es ein "regional-, branchen- oder betriebsspezifisches Problem", so die Expertin gegenüber tagesschau.de. Allerdings klagen gerade jene Branchen, die in Deutschland für die anhaltend gute Konjunktur sorgen: die IT-Branche, die Elektrotechnik und der Maschinenbau. Und das macht viele nervös. Für diese Bereiche wollen die Unternehmen den Hochqualifizierten aus dem Ausland entgegen kommen.
Um wieviele Stellen es dabei geht, ist unklar. Nach einer Erhebung des IAB, die das gesamte Stellenangebot erfasst - also auch jene Stellen, die nicht den Arbeitsagenturen gemeldet werden - suchten im Herbst vergangenen Jahres 20 Prozent aller Betriebe in Deutschland nach Personal. Rund 1,4 Millionen Stellen waren frei. Bei rund 14 Prozent davon war die Bewerbersuche nach Aussagen der Betriebe mit Schwierigkeiten verbunden, das heißt die Suche dauerte bereits länger als geplant. Im Jahr 2005 galt dies für zehn Prozent aller offenen Stellen.
"Der Arbeitsmarkt ist nicht leer gefegt"
Fest steht allerdings auch: Es zeichnen sich bereits erste Personalengpässe bei spezialisierten Fachkräften ab. Zum Beispiel bei den Ingenieuren, vor allem bei Elektro- und Maschinenbauingenieuren. So waren im vergangenen Jahr bundesweit noch 39.000 zu besetzende Ingenieurstellen bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) gemeldet. Derzeit sind es rund 6300. Doch diesen 6300 Ingenieursjobs stehen 7400 bei der BA als arbeitslos gemeldete Elektro- und Maschinenbauingenieure gegenüber. Nach Einschätzung des IAB sind sogar 10.000 Maschinenbau- und Elektroingenieure arbeitslos. "Der Arbeitsmarkt ist also keineswegs leer gefegt", sagt IAB-Mitarbeiterin Franziska Schreyer.
Die Arbeitsmarktforscherin hält die Klagen von Unternehmen über einen akuten Fachkräftemangel für überzogen. Das Problem liege vielmehr daran, dass die Unternehmen "junge, erfahrene und dynamische Kräfte" wollen. Ältere arbeitslose Ingenieure, Langzeitarbeitslose oder arbeitslose Frauen interessierten die Unternehmen nur wenig, sagt auch IAB-Arbeitsmarktforscherin Anja Kettner gegenüber tagesschau.de. "Die Unternehmen müssen mehr Flexibilität zeigen - gerade bei Frauen, die Familie haben. Und durch innerbetriebliche Weiterbildung könnten ehemalige Arbeitslose schnell und effizient in einen Betrieb eingebunden werden“, so die Expertin.
Sie hält eine Bildungsoffensive hier im Land mindestens für ebenso wichtig, wie die "zu hohe Einkommensgrenze" von 85.000 Euro im Jahr für ausländische Fachkräfte zu senken. Denn "die Unternehmen tragen Mitschuld an den rückläufigen Zahlen der Studienanfänger", sagt Kettner. "In den 90er-Jahren stellten sie zu wenig ein, und in den letzten Jahren haben zahlreiche Betriebe die Einstiegsgehälter gesenkt. Das schreckt Auszubildende und Studienanfänger ab“, so die IAB-Mitarbeiterin.
60.000 Euro-Grenze löst Fachkräftemangel nicht
Auch die von Union und Arbeitgebern nun ins Gespräch gebrachte Senkung der Einkommensgrenze für ausländische Arbeitnehmer auf 60.000 oder gar 40.000 Euro, also die Reform des erst kürzlich verabschiedeten Zuwanderungsgesetzes, beurteilen Arbeitsmarktforscher eher skeptisch. Es sei zwar ein Schritt in die richtige Richtung, doch als "Einzelmaßnahme" löse es den wachsenden Mangel an Fachkräften nicht, sagt Migrations- und Arbeitsmarktforscher Holger Kolb vom Institut für Migrationsforschung im Gespräch mit tagesschau.de.
"Hochqualifizierte haben immer die Wahl, auch in andere Länder zu gehen - und da sind die USA oder Großbritannien attraktiver", sagt Kolb. Zum Beispiel sei das Steuerrecht für sehr gut Verdienende in diesen Ländern weitaus interessanter, so der Experte. "Die so genannte Reichensteuer hier schreckt viele ab." Auch das Nachzugsrecht von Ehepartnerinnen sei mit dem deutschen Zuwanderungsrecht unattraktiv, ganz zu schweigen von der Infrastruktur für Kinder. "Es fehlen ja auch internationale Kindergärten oder internationale Schulen", sagt Kolb.
Es sei schlicht "naiv", davon auszugehen, dass die Senkung der Einkommensgrenze, die ausländische Arbeitnehmer erreichen müssen, um einen Aufenthaltsstatus zu bekommen, den Zustrom an Hochqualifizierten deutlich steigern würde, der Experte. Wichtig wäre es vielmehr, auch bei den Möglichkeiten für ausländische Universitätsabsolventen weiter zu reformieren und deren Zugang zum hiesigen Arbeitsmarkt zu erleichtern. Denn dass ausländische Studierende hier die Universitäten besuchen, um nach dem Abschluss zum Beispiel in die USA emigrieren zu müssen, grenzt dann doch an "Realsatire", so der Experte.