Interview

Interview mit dem Finanzexperten Friedrich Heinemann ''Jetzt rächt sich der mangelnde Ehrgeiz''

Stand: 30.08.2007 05:19 Uhr

Friedrich Heinemann, Finanzexperte beim Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim, geht davon aus, dass die Mehrwertsteuer nach den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen im kommenden Jahr erhöht wird. Der Bundesregierung wirft er vor, nicht rechtzeitig die Arbeitsmarktreform in Angriff genommen zu haben und sich von den Gewerkschaften zu abhängig zu machen. Allerdings sei noch nicht aller Tage Abend: Deutschland habe als Wirtschaftsstandort immer noch einen guten Ruf und könne, wenn die richtigen Entscheidungen getroffen würden, auch die Schulden in den Griff bekommen.

tagesschau.de: Die Steuerschätzung liegt vor. Es fehlen zusätzlich 31,4 Milliarden Euro. Die Haushaltslöcher für 2002 und 2003 werden immer riesiger. Was hat Finanzminister Hans Eichel falsch gemacht?

Heinemann: Es rächt sich jetzt, dass in den guten Tagen zu wenig Ehrgeiz an den Tag gelegt wurde. Denn wir hatten gute Zeiten fiskalisch und von den Staatseinnahmen her. Denken Sie an ein Jahr wie 2000, als 50 Milliarden Euro UMTS-Lizenzen einflossen. Selbst in diesen guten Zeiten ist es nicht gelungen zu konsolidieren. Im Gegenteil: Die strukturellen, die konjunkturbereinigten Defizite waren immer noch im europäischen Vergleich sehr, sehr hoch. Man muss zurückgehen in diese besseren Jahre, in diese relativ prosperierende Phase 1998 bis 2000, um zu verstehen, warum wir heute so tiefe Probleme haben.

tagesschau.de: Zu der Zeit hätte also mehr gespart werden müssen...

Heinemann: Ja, zum Beispiel als die 50 Milliarden Euro UMTS-Lizenzen in die Kasse kamen. Wie ist es damals gelaufen? Da haben alle Interessengruppen in Berlin vor der Tür und haben gesagt: Das sind Sondereinnahmen, jetzt wollen wir doch auch bitte unseren Teil daran haben - für bestimmte Sonderausgaben, für die Bildung, für die Rentner, für die Studenten  und für die Familien. Und all den Forderungen hat die Berliner Regierung nicht entschlossen genug widerstanden, sondern hat sich der schönen Illusion hingegeben, es gehe immer so weiter mit den Einnahmen.

Deutsche Sonderfaktoren

tagesschau.de: Haben die Steuervorteile für Großunternehmen, die Rot-Grün in der ersten Legislaturperiode als Instrument zur Belebung der Konjunktur benutzt hat, etwas bewirkt oder waren sie falsch?

Heinemann: Nach meinem ökonomischen Verständnis ist es der richtige Weg, angebotsseitig etwas zu tun für Investitionsbedingungen in Deutschland. Denn es hat sich durchaus etwas bewegt, zum Beispiel um das Jahr 2000 herum: Ausländische Unternehmen haben begonnen, sich für den deutschen Standort zu interessieren. Es war also sicher nicht falsch, Unternehmen steuerlich zu entlasten.

tagesschau.de: Immer wieder heißt es, die Konjunkturflaute sei Schuld an der desaströsen Lage? Ist das plausibel?

Heinemann: Die Konjunkturflaute ist bekanntlich ein weltweites Phänomen. Viele kleine europäische Länder haben gemessen an ihrem Sozialprodukt viel höhere Exportquoten als die Bundesrepublik und müssten deshalb - wenn denn die Logik stimmt - viel stärker betroffen sein. Ist aber nicht der Fall: Deutschland ist mit am stärksten betroffen, hat sogar die niedrigste Wachstumsrate. Definitiv gibt es hier deutsche Sonderfaktoren, die unser Land besonders empfindlich machen, besonders wenig widerstandsfähig.

Versagen der Wirstchaftspolitik - auch schon unter Kohl

tagesschau.de: Welche Sonderfaktoren sind das in Deutschland?

Heinemann: Es ist fast schon langweilig, jedes Jahr nach der Bekanntgabe der Steuerschätzung dasselbe zu lesen. Es müsste nur irgendwann mal angepackt werden. Stichworte: Arbeitsmärkte und soziale Sicherung. An den Arbeitsmärkten ist ja die generelle Empfehlung: Wir brauchen Liberalisierung, Deregulierung, weniger Macht der Tarifverträge, mehr unternehmensindividuelle Abschlüsse, schnellere Reaktionen von Arbeitskosten auf Arbeitslosigkeit. Da hat Deutschland sicherlich ganz erheblichen Nachholbedarf. Da ist jahrelang nicht nur nichts passiert, sondern man ist auch in die falsche Richtung marschiert. Man hat sich Dinge geleistet wie die Verschärfung der Mitbestimmung und des  Kündigungsschutzes. Und jetzt denkt man ernsthaft darüber nach, bei der Zeitarbeit auch noch stärkere Tarifbindung einzuführen, so dass die kleinen Pflänzchen an Liberalisierung auch noch beseitigt würden.

Und dann wundert man sich, dass man höhere strukturelle Arbeitslosigkeit hat. Das ist ganz klar das Versagen der deutschen Wirtschaftspolitik und das betrifft nicht nur die Regierung Schröder, das betrifft auch die Regierung Kohl. Jetzt werden Scheinlösungen präsentiert wie etwa das Hartz-Konzept, das vorgibt, allein durch eine schmerzlose Verbesserung der Vermittlung die Probleme lösen zu können. 

tagesschau.de: Gehen Sie davon aus, dass es eine Mehrwertsteuererhöhung geben wird?

Heinemann: Ich befürchte, dass es die gibt. Das so genannte Sparpaket - ich sage so genannt, weil Sparen heißt eigentlich Aufgaben kürzen und nicht Einnahmen erhöhen - hat noch viele ungedeckte Positionen, auch wenn viele vorgesehene Sparmaßnahmen hier und da schon wieder abgemildert werden. Das Ende vom Lied ist, dass gar nicht die Sparvolumina zusammenkommen, die man sich erhofft hat. Hinzu kommen jetzt die Steuerausfälle, so dass ich denke, wir werden das gewohnte Muster erleben: Erst einmal unterdrückt man die Diskussion, lässt die politisch wichtigen Wahlen in Hessen und Niedersachsen passieren und dann kommt der nächste Steuerschritt. Und die Mehrwertsteuer ist eben eine ergiebige Sache: Ein Punkt - das hat der Wähler nach ein paar Monaten wieder vergessen, so das Kalkül, aber es bringt viel Geld in die Kassen.

Das wird auch nicht auf entschiedenen Widerstand im Bundesrat stoßen, weil die Steuerschätzer ja auch bekannt gegeben haben, dass gerade die Länderhaushalte erhebliche Ausfälle zu verkraften haben. Deshalb wird die Opposition mitmachen, wenn auch murrend.

Keine gefährliche Schuldenkrise

tagesschau.de: Werden denn Länder, Gemeinden und der Bund überhaupt je in der Lage sein, ihre Schulden zu tilgen?

Heinemann: Das klang bisher alles sehr negativ in diesem Gespräch, aber wir müssen mal die Kirche im Dorf lassen. Wir sind in Deutschland bei allen Problemen der öffentlichen Haushalte längst noch nicht in einer so kritischen Situation, dass wir auf eine Schuldenkrise zusteuern. Das kann man ganz einfach daran sehen, dass die Bundesrepublik Deutschland an den Kapitalmärkten immer noch als erstklassige Adresse gilt. Es gibt zum Beispiel die Noten für die Qualität der Schuldner - Deutschland bekommt immer noch das dreifache A, also oberste Klasse.

Wir haben sicher noch keine gefährlichen Schuldenquoten erreicht, die man nicht mehr tilgen kann. Wir hätten das Problem sofort im Griff, wenn man eine entschlossene Regulierung der Arbeitsmärkte hinbekommen würde, wenn wir eine mutigere Form der sozialen Sicherung umsetzen und dadurch ein bisschen mehr Wachstum und Beschäftigung erzeugen würden.

Denn aus den Schulden, die wir haben, kann man schon mit relativ bescheidenen Wachstumsraten herauswachsen. Wenn man wieder auf einem dauerhaften Wachstumspfad von zweieinhalb Prozent einschwenken würde, dann könnte man mit diesen Schulden gut fertig werden. Dafür bedarf es aber der richtigen Entscheidung.

Einflussreiche Gewerkschaften

tagesschau.de: Sie deuteten bereits an, dass Sie die Umsetzung des Hartz-Konzeptes nicht für die richtige Maßnahme halten. Warum nicht?

Heinemann: Hartz bringt eine ganze Menge von vernünftigen Details. Aber das große Problem, das die Fünf Weisen und internationale Organisationen immer wieder nennen, ist die Senkung der Arbeitskosten. Darum muss sich der Gesetzgeber kümmern, der die Lohnnebenkosten kontrolliert. Und dafür haben die Tarifparteien Verantwortung. Und wenn die dieser Verantwortung nicht gerecht werden, dann muss sich der Gesetzgeber fragen, ob man nicht die Macht von Tarifverträgen reduzieren muss. Das taucht im Hartz-Konzept überhaupt nicht auf. Die jetzige Regierung hat ein Problem: Sie ist in hohem Maße gewerkschaftsabhängig. Was nicht die Unbedenklichkeitsbescheinigung der Gewerkschaften bekommt, kann kaum gemacht werden. Die Frage ist, ob so ein Politikansatz unsere Probleme heute löst.

tagesschau.de: Das klingt so, als seien die Gewerkschaften die Ewiggestrigen. Sind Sie dieser Meinung?

Heinemann: Es wäre ungerecht, nur auf die Gewerkschaften zu schimpfen und nicht die Arbeitgeber dazu zu nehmen. Beide Seiten unterschreiben die Tarifverträge. Warum gab es denn die absurd schnelle Lohnangleichung von Ost an West, die auch ein großer Teil des Problems ist - das haben auch Arbeitgebervertreter unterschrieben, weil sie vielleicht von dem Motiv getrieben waren, im gleichen Land keine Niedriglohnkonkurrenz haben zu wollen.

Man muss auf beide Seiten schauen, aber der Gesetzgeber hat da schon eine Verantwortung. Ich habe bei vielen Stellungnahmen der Gewerkschaften den Eindruck, die kümmern sich um die, die den Job haben, und nicht um die, die den Job nicht haben.

Dass man bei Leiharbeit darüber nachdenkt, gleich die Tarife des Unternehmens zu zahlen, hilft sicher nicht den Langzeitarbeitslosen. Denen sollte man die Chance geben, sich zu einem niedrigeren Lohn zu beweisen, um den Eintritt in den Arbeitsmarkt zu finden. Da hat es jeder Gewerkschaftsfunktionär und jeder Arbeitgebervertreter in der Hand, dass er nicht Ewiggestriger ist, sondern einer, der in die Zukunft blickt.

Das Interview führte Nea Matzen