EU-Umweltpolitik muss Zugeständnisse machen Kein Marktverbot für krebserregende Stoffe
Nach mehr als dreijährigem Ringen haben sich das Europaparlament und die 25 EU-Mitgliedsstaaten auf einen Kompromiss zur Chemikalienpolitik geeinigt. Das Programm Reach - sieht vor, die Eigenschaften von rund 30.000 in der EU produzierten oder in die Gemeinschaft importierten Chemikalien bei einer zentralen Behörde zu registrieren.
Von Christopher Plass, HR-Hörfunkstudio Brüssel
Es war ein Kompromiss quasi in letzter Minute. In der Nacht einigte sich ein sogenannter Trilog auf eine gemeinsame Linie für die künftige EU-Chemiegesetzgebung. In diesem Trilog sitzen Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten, des Parlaments und der Kommission. Der nun gefundene Kompromiss muss nun noch im Dezember vom EU-Ministerrat und vom Plenum des Parlaments gebilligt werden. Es wird auch dort noch heftig diskutiert werden, aber ein Ende des nun schon Jahre dauernden Gesetzgebungsverfahrens ist in Sicht.
Streitpunkt war zuletzt vor allem die Frage der Substitution: Können Chemieunternehmen verpflichtet werden, gefährliche, beispielsweise krebserregende Stoffe vom Markt zu nehmen, wenn es bessere Alternativen gibt. Der Umweltausschuß des Parlaments hatte dies gefordert. Der Rat der EU-Staaten wollte den Chemiefirmen mehr Freiheit geben, sofern sie eine „ausreichende Kontrolle“ der toxischen Substanzen sicherstellen können.
Ein absolutes Marktverbot gibt es nicht
Letztlich mussten die Umweltpolitiker Zugeständnisse machen. Denn ein absolutes Marktverbot gibt es nicht, sagt die niederländische Christdemokratin Ria Oomen-Ruijten: "Das heisst: Wenn man von adäquater Kontrolle sprechen kann, wissenschaftlich untermauert, dann bekommt eine Substanz auch die Zulassung. Man muss aber einen Substitutionsplan vorlegen, und zwar in jedem Einzelfall." Davon würde dann auch die Dauer der Zulassung abhängig gemacht.
Druck aus deutscher Chemie-Branche
Und zugelassen werden müssen nach dem Gesetzgebungspaket Reach bis zu 30.000 chemische Substanzen, über deren Gefährlichkeit die Chemie-Branche bislang keinen Nachweis führen mußte. Das soll sich mit Reach ändern. Vor allem die deutsche Chemie-Branche hatte aber Druck gemacht, damit insbesondere kleine und mittlere Spezialfirmen nicht zu sehr mit bürokratischen Auflagen belegt werden. Außerdem befürchtet die Chemie-Industrie, dass Betriebsgeheimnisse der Konkurrenz leichter zugänglich würden.
EU-Abgeordnete: EU vor Industrie eingeknickt
Der britische Liberale Chris Davies ließ auch keinen Zweifel daran, wer beim Projekt Reach vor allem auf der Bremse gestanden hat: Der Gorilla seien die Deutschen gewesen. Die deutsche Chemie-Industrie habe besonders effektiv und massiv Lobbying betrieben. Das beklagt auch die grüne Europa-Abgeordnete Hiltrud Breyer: Die EU sei vor der Industrie eingeknickt. Ähnlich äußert sich Greenpeace. Breyer wird noch einmal versuchen, im Europa-Parlament notwendige Mehrheiten Mitte Dezember zu verhindern. Doch der Vorsitzende des Umweltausschusses im Parlament, der deutsche CDU-Mann Karl-Heinz Florenz, gab sich optimistisch: "Wir müssen in den politischen Gruppen noch viel arbeiten. Aber die Richtung stimmt."
Es hat schon Tradition, dass eine große Koalition von deutschen Christ- und Sozialdemokraten beim Thema Reach für die notwendigen Mehrheiten sorgt.