Experteninterview "Made in Germany" ist weiter gefragt
Den Verlust von etwa 10.000 Arbeitsplätzen in der Autoindustrie bis zum Jahr 2010 prognostiziert Auto-Experte Willi Diez, Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft der Fachhochschule Nürtingen, im Interview mit tagesschau.de. Vorausgesetzt, Betriebsräte und Gewerkschaften zeigten sich flexibel. Sonst könnte es viel schlimmer kommen, meint Diez. Dabei könnten die Autobauer weiter mit "Made in Germany" punkten.
tagesschau.de: Herr Diez, wie geht es der deutschen Automobilindustrie?
Willi Diez: Die automobile Welt in Deutschland ist zweigeteilt: Auf der einen Seite haben wir zwei Premium-Hersteller, die sehr erfolgreich sind. Allen voran Porsche erzielt einen Absatz- und Ergebnisrekord nach dem anderen. BMW ist sehr gut unterwegs. Aber auch die Marke Audi ist erfolgreich. Auf der anderen Seite gibt es Mercedes, die gerade eine Schwächephase haben. Die werden aber im Laufe des Jahres sicher wieder mit neuen Modellen kommen. Schwieriger ist die Situation bei Volkswagen und Opel. Bei VW gibt es ganz klar ein Kostenproblem. Opel ist schon wieder auf dem Weg aus der Krise und gewinnt wieder an Marktanteilen. Wir haben also ein sehr buntes, differenziertes Bild in der Branche. Generell kann man sagen: Die Premiumhersteller laufen besser und die Volumenhersteller tun sich schwer.
tagesschau.de: Was bereitet den Automobilbauern Schwierigkeiten?
Diez: Es gibt drei Probleme. Erstens ist der deutsche Markt jetzt seit 2000 rückläufig, beziehungsweise er stagniert. Das ist natürlich ein großes Problem für die Hersteller, denn der deutsche Markt ist nach wie vor für viele ein besonders wichtiger Markt. Das zweite Problem ist ein massiver Preiswettbewerb in fast allen Märkten. Nicht nur in den USA, auch in Europa. Die Kunden erwarten Rabatte in bisher ungekannten Höhen. Preisnachlässe in dreistelliger Höhe werden mitunter in Deutschland gewährt. Außerdem gibt es einen harten Standortwettbewerb mit Osteuropa. Die neuen EU-Mitglieder sind jetzt sehr nah an uns herangerückt. Länder wie Tschechien, Ungarn und die Slowakei sind auch sehr interessante Produktionsstandorte. Einige ausländische Hersteller, zum Beispiel Toyota, Peugeot und Hyundai haben sich in diesen Märkten schon Produktionskapazitäten aufgebaut. Dort können sie sehr günstig produzieren. Die Personalkosten liegen bei einem Zehntel der deutschen Kosten.
tagesschau.de: Sind also die Nachteile am Standort Deutschland Schuld?
Diez: Es gibt eigentlich nur einen Nachteil, nämlich die hohen Personalkosten, mit all den Abgaben für Rente, Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung und so weiter. Ja, da haben wir einen klaren Nachteil. Man darf aber die Vorteile nicht vergessen: Wir haben hoch qualifizierte Beschäftigte, wir haben ein relativ stabiles soziales Klima, und wir haben in den letzten Jahren auch eine stärkere Bereitschaft zur Flexibilität bei den Arbeitern. Das ist auch ein Weg aus den Problemen.
tagesschau.de: Zählt "Made in Germany" noch etwas?
Diez: Einige sagen, "Made in Germany" zählt weltweit nichts mehr. Da bin ich aber anderer Auffassung. "Made in Germany" ist für die deutschen Hersteller nach wie vor wichtig. Es gibt Untersuchungen, die das belegen. Automobile aus Deutschland haben international eine sehr hohe Reputation. Und auch wenn es in den letzten Monaten bei einigen Herstellern Probleme gab, ist das Qualitätsimage weltweit immer noch intakt.
tagesschau.de: Was haben die deutschen Hersteller falsch gemacht?
Diez: Man muss aufpassen, dass man nicht alle in einen Topf wirft. Bei Opel waren es Fehler des Managements. Man hat zu spät erkannt, dass der Anteil von Dieselfahrzeugen sehr stark steigt. Opel hat lange Jahre diese Marke vernachlässigt und ist damit in Schwierigkeiten geraten. Bei VW liegen die Probleme zu einem erheblichen Teil im Export. Da wurde zu wenig Währungssicherung betrieben. Das heißt, man hat sich gefreut, wenn der Dollar hoch war. Und jetzt kommt der Konzern in Schwierigkeiten, nachdem über eine längere Phase der Euro sehr stark gestiegen ist. Damit ist das Exportgeschäft in die USA defizitär geworden. Bei Mercedes muss man das angeknackste Qualitäts-Image wieder in Ordnung bringen. Da wurden Technologien in die Fahrzeuge gebracht, die offensichtlich nicht ausgereift waren und jetzt große Probleme bereiten.
tagesschau.de: Es gibt auch enorme Überkapazitäten. Wie konnte es dazu kommen?
Diez: Zu den Überkapazitäten kommt es, weil einige Hersteller sehr stark wachsen und neue Kapazitäten aufbauen. BMW zum Beispiel hat jetzt in Leipzig ein neues Werk eröffnet. Das ist absolut richtig, denn BMW verkauft mehr Autos denn je und braucht diese Kapazitäten. Auf der anderen Seite gibt es eben Hersteller, bei denen der Absatz zurückgeht, zum Beispiel bei Fiat. Die bauen dann zunächst einmal diese Kapazitäten nicht ab. Eine Werksschließung kostet sehr viel Geld, und das versucht man natürlich immer zu vermeiden. Das heißt, die Hersteller, die expandieren, schaffen neue Kapazitäten. Aber die Hersteller, die nicht expandieren, bauen Kapazitäten nur sehr langsam ab. Das Ganze endet dann häufig so, wie jetzt bei Rover: Am Ende steht die Insolvenz. Dann erst wird abgebaut.
tagesschau.de: Müssen wir uns wegen der Krise auf einen massiven Jobabbau bei den Autobauern gefasst machen?
Diez: Wir haben eine Studie zur Beschäftigung gemacht und laut unseren Szenarien ist damit nicht zu rechnen. Es wird nur einen leichten Beschäftigungsabbau geben: in der Größenordnung von etwa 10.000 Arbeitsplätzen bis zum Jahr 2010. Aber das hängt natürlich sehr stark von der Beweglichkeit der Gewerkschaften und der Betriebsräte ab. In unserer Studie haben wir diese Einsicht einmal unterstellt.
tagesschau.de: Sie haben Ihre Beschäftigungsprognose auf die Einsichtigkeit und den guten Willen der Gewerkschaften gegründet?
Diez: Wir gehen davon aus, dass die Einsicht bei den Automobilherstellern und auch bei Betriebsräten und Gewerkschaften wächst, dass wir in Deutschland in einem starken Standortwettbewerb stehen. Das heißt natürlich nicht, dass wir auf das Lohnniveau der Slowakei heruntergehen können, das wird nicht passieren. Aber wir haben viele Möglichkeiten, Kosten zu sparen: Zum Beispiel Arbeit zu flexibilisieren, Überstundenzuschläge, Samstagsarbeitzuschläge oder sonstige Zuschläge zu streichen.
tagesschau.de: Dann ist nicht damit zu rechnen, dass Autobauer mit ihren Fabriken abwandern?
Diez: Nein, bei den Herstellern weniger. Wenn man sich die Werke in Deutschland ansieht, sind die alle sehr modern und im Prinzip auch sehr jung. Sie haben eine relativ hohe Produktivität. Ich sehe die Abwanderung eher bei den Zulieferern, weil die unter einem noch größeren Druck stehen als die Automobilhersteller. Es ist vor allem die Zulieferindustrie, die jetzt Richtung Osten marschiert. Mit dem EU-Beitritt ist das natürlich noch verlockender geworden.
Die Fragen stellte Claudia Witte, tagesschau.de