Diskussion um Lohnuntergrenze Wie steht's um den Mindestlohn?
Mit dem Ja zum gesetzlichen Mindestlohn hat die rot-rot-grüne Mehrheit im Bundesrat erstmals ihre Muskeln spielen lassen. Wie geschlossen ist die Koalition bei diesem Streitthema? Wo gibt es schon jetzt einen Mindestlohn und wie hoch ist er? tagesschau.de beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema.
Von Sandra Stalinski, tagesschau.de
Wo gibt es in Deutschland bereits einen Mindestlohn?
In Deutschland ist die Tarifautonomie im Grundgesetz Art. 9, Abs. 3 garantiert. Das bedeutet, die Tarifparteien haben das Recht, Löhne ohne staatliche Eingriffe auszuhandeln. Einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn gibt es nicht. Allerdings gibt es für 14 Branchen sogenannte Lohnuntergrenzen, also faktische Mindestlöhne: Baugewerbe, Bergbau, Aus- und Weiterbildung, Dachdecker, Elektrohandwerk, Gebäudereinigung, Maler und Lackierer, Pflege, Sicherheitsdienstleistungen, Wäschereidienstleistungen, Abfallwirtschaft, Steinmetze, Frisörhandwerk und Zeitarbeit.
Insgesamt erhalten in Deutschland etwa 3,9 Millionen Beschäftige einen tariflich abgesicherten Mindestlohn von mindestens 7,50 Euro pro Stunde.
Auf welcher gesetzlichen Grundlage funktionieren die Lohnuntergrenzen?
Die hierzulande gängige Grundlage für Lohnuntergrenzen in einzelnen Branchen ist das Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Damit setzte die Bundesregierung 1996 eine EU-Richtlinie um: Nach der Öffnung des Arbeitsmarktes in Europa sollte verhindert werden, dass es zu Lohndumping kommt, falls ausländische Arbeitnehmer mit Löhnen ihrer Heimatländer bezahlt würden. Die Lohnuntergrenzen werden von den Tarifpartnern ausgehandelt und dann für die gesamte Branche per Verordnung des Bundesarbeitsministeriums vorgeschrieben.
Ein andere gesetzliche Grundlage ist das Mindestarbeitsbedingungsgesetz (MiA). Die große Koalition hat es 2009 in Kraft gesetzt - trotzdem ist durch das MiA noch nie ein Mindestlohn zustande gekommen. Theoretisch sieht es vor, dass eine Kommission aus Vertretern der Wissenschaft, der Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf Antrag tätig werden kann, wenn sie in einem Bereich "soziale Verwerfungen" ausmacht. Die Kommission kann daraufhin einen branchenbezogenen Mindestlohn festlegen, den die Bundesregierung dann erlässt. Der entsprechende Hauptausschuss unter Vorsitz des Hamburger Ex-Bürgermeisters Klaus von Dohnanyi hat allerdings nur einmal von sich reden gemacht: Im Juli 2011 lehnte das Gremium einen Mindestlohn auf MiA-Grundlage für externe Call-Center ab.
Wie steht die Opposition zum Mindestlohn?
Die drei Oppositionsparteien fordern alle einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, allerdings in unterschiedlichen Höhen und Modellen. Am weitesten geht die Partei Die Linke: Sie will eine Lohnuntergrenze von mindestens 10 Euro, die jährlich zumindest in dem Maße ansteigen soll, wie die Lebenshaltungskosten steigen. Wenn in einer Branche der unterste Tariflohn über dem gesetzlichen Mindestlohn liegt, soll dieser für allgemeinverbindlich erklärt werden.
Das Modell der SPD sieht vor, dass die genaue Höhe des Mindestlohns von einer Kommission bestimmt werden soll, aber bei mindestens 8,50 Euro brutto je Stunde liegen muss. Die Mindestlohnkommission soll aus einem Vorsitzenden und acht weiteren Mitgliedern bestehen, die zum Teil vom Bundesarbeitsministerium berufen werden sollen. Die restlichen Mitglieder sollen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände stellen. Der Mindestlohn soll jährlich angepasst werden.
Auch die Grünen wollen, dass künftig eine Kommission aus Arbeitgebern, Gewerkschaften und Wissenschaft einen flächendeckenden Mindestlohn festlegt - immer dann, wenn die Tarifparteien in den Branchen nicht stark genug seien, um faire Mindestlöhne durchzusetzen. Der gesetzliche Mindestlohn soll aber wenigstens 7,50 Euro betragen.
Welche Position hat die Koalition?
Die CDU bekennt sich grundsätzlich zu flächendeckenden Mindestlöhnen in Deutschland, will aber keine Höhe vorgeben. Eine Kommission aus Arbeitgebern und Gewerkschaften soll entsprechende Lohnuntergrenzen aushandeln - in den Bereichen, in denen es keinen tarifvertraglich festgelegten Lohn gibt. Die Rede ist von einer "tarifoffenen, allgemein verbindlichen Lohnuntergrenze", die auf Grundlage von Tarifverträgen aber auch unterschritten werden dürfe. Ausnahmen sollen je nach Region und Branche möglich sein, wenn sie gerechtfertigt seien.
Einen allgemeinen, flächendeckenden Mindestlohn lehnt die FDP nach wie vor ab. Ein einheitlicher Mindestlohn, der für Städte und für ländliche Regionen gleichermaßen gelte, sei "ökonomischer Unsinn", sagte Fraktionschef Rainer Brüderle kürzlich. Allerdings signalisiert die Partei seit kurzem Gesprächsbereitschaft zu regionalen und branchenspezifischen Lohnuntergrenzen. Eine Einigung mit der Union könnte laut Brüderle noch in dieser Legislaturperiode zustande kommen.
Wo in der EU gibt es einen Mindestlohn?
In 20 der 27 EU-Mitgliedsstaaten gilt ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn - allerdings in sehr unterschiedlichen Höhen. Spitzenreiter ist Luxemburg mit einer Lohnuntergrenze von 10,83 Euro, gefolgt von Frankreich, Belgien und den Niederlanden mit einem Mindestlohn von rund neun Euro. Im Mittelfeld liegen Spanien (3,91 Euro), Griechenland (3,35 Euro), Portugal (2,92 Euro) und Polen (umgerechnet 2,21 Euro). Die Schlusslichter sind Bulgarien (umgerechnet 0,95 Euro) und Rumänien mit umgerechnet 0,92 Euro.