Kritik an Telekom-Plänen Raus aus der Neutralität?
Wenige Tage nach der Entscheidung des EU-Parlaments zur Netzneutralität hat die Telekom eine Hintertür gefunden: Startups sollen für "Spezialdienste", also schnellere Internetverbindungen zahlen. Die Unternehmen halten das für Erpressung.
Stellen Sie sich vor, Sie fahren auf einer zweispurigen Autobahn, aber die Überholspur dürfen Sie nur benutzen, wenn Sie dafür auch bezahlen. So könnte man die Pläne der Telekom in etwa beschreiben - nur eben auf der Datenautobahn.
Es gehe um eine "Umsatzbeteiligung von ein paar Prozent", schreibt Telekom-Chef Timotheus Höttges in seinem Blog. Doch diese "paar Prozent" sorgen unter deutschen Start-Up-Unternehmen und Internetnutzern momentan für mächtig Aufregung.
Hintertür für 'Spezialdienste'
Geht es nach den Plänen der Telekom, will das Unternehmen in Zukunft für schnellere Internetverbindungen abkassieren. Die rechtliche Grundlage dafür hat am Dienstag das EU-Parlament in Straßburg geliefert. Laut neuer Telekom-Verordnung können demnach so genannte 'Spezialdienste' im Netz bevorzugt behandelt werden.
Digitalkommissar Günther Oettinger betonte, nur Dienste "im Interesse der Allgemeinheit" dürften diese Bevorzugung bekommen. Konkret nannte er Notrufdienste, Telemedizin und Dienste zur Steuerung des Verkehrsflusses. Eine genaue Definition fehlt aber im Gesetzestext. Diese Hintertür nutzt jetzt die Telekom.
Qualitätsdifferenzierung als Weiterentwicklung des Netzes?
Die Telekom sieht in solchen Spezialdiensten durchaus auch Videokonferenzen, Online-Gaming oder vernetzte Produktionsprozesse in der Industrie. Wer hier im Netz schneller unterwegs sein will, soll bezahlen. Vorstandsvorsitzender Höttges spricht in seinem Blog auch Startup-Unternehmen direkt an. Sie seien auf diese Spezialpakete angewiesen, "um mit den großen Internetanbietern überhaupt mithalten zu können". Da sei es doch nur fair, die Telekom am Umsatz zu beteiligen.
Dass man im Netz für zusätzlichen Service mehr zahlen müsse, sei nicht neu, schreibt Höttges und verweist auf erweiterte Suchfunktionen für zahlende Kunden der Karrierenetzwerke Xing und LinkedIn oder Videos in HD statt SD. "In Zukunft wird es eben auch die Möglichkeit geben, einen Dienst für ein paar Euro mehr in gesicherter Qualität zu buchen. Qualitätsdifferenzierung ist keineswegs eine Revolution im Netz, sondern die natürliche Weiterentwicklung."
"Ohrfeige ins Gesicht von jedem Gründer"
Alexander Hüsing von deutsche-startups.de sieht das allerdings anders. "Telekom liebt Startups nur, wenn sie zahlen", überschreibt er seinen Blog. Er meint, der Vorstoß des Bonner Großkonzerns bedrohe den Startup-Standort Deutschland.
"Das Wort 'fair' in diesem Zusammenhang überhaupt zu benutzen, ist schon dreist. Dass dadurch dann aber 'mehr Wettbewerb im Netz' entsteht, ist quasi eine Ohrfeige ins Gesicht von jedem Gründer. 'Gute Übertragungsqualität' nur noch Unternehmen zu gewährleisten, die zahlen, ist Erpressung, dass muss man in dieser Deutlichkeit schreiben", so Hüsing.
Verbraucher könnten über Umwege betroffen sein
Verbraucherschützer haben das Vorgehen der Telekom durchaus erwartet. "Die schnelle Umsetzung nur wenige Tage nach dem EU-Beschluss ist dann aber doch eine Überraschung", so Thomas Bradler, Leiter der Gruppe Verbraucherrecht bei der Verbraucherschutzzentrale Düsseldorf. Er befürchtet, dass dies nur das erste Herantasten an weitere Profitmöglichkeiten sei.
Bradler appelliert an die Regulierungsbehörden, ganz klar zu definieren, was ein Spezialdienst ist und was nicht. Seine Befürchtung: Video-Streaming-Dienste wie Netflix, Maxdome oder AmazonPrime, aber auch Internettelefon-Anbieter wie Skype könnten ohne Kontrolle der Behörden auch als Spezialdienst zur Kasse gebeten werden. Diese Anbieter würden dann die Mehrkosten auf die Verbraucher abwälzen, so Bradler. Alternativen zu finden sei schwierig, da man als Kunde schließlich auch auf eine wackelfreie, also schnelle Verbindung angewiesen sei. Die Bundesnetzagentur müsse alle Möglichkeiten ausschöpfen, um Missbrauch der Anbieter zu verhindern.
Kritik von Netzaktivisten - und Politikern
Netzaktivisten dürften sich durch die Gedankenspiele der Telekom endgültig bestätigt fühlen. Sie hatten vor den schwammigen Formulierungen der neuen EU-Regelung gewarnt. Entsprechend heftig fällt die Kritik in den sozialen Netzwerken aus. "Gierig" und "Abzocke" sind noch die charmanteren Formulierungen auf Twitter und Co.
Inzwischen regt sich auch in der Politik Kritik: "Es darf keine mittelstands- und innovationsfeindliche Umsetzung der EU-Verordnung zur Netzneutralität geben", sagte der netzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Klingbeil. "Da wird es auch mit der Telekom zu schwierigen Gesprächen kommen." Thomas Jarzombek (CDU), der netzpolitische Sprecher der Unionsfraktion, kritisierte, die von der Telekom beschriebenen Bereiche entsprächen nicht den Spezialdiensten, wie sie von der EU definiert wurden.
Kein Kommentar von Konkurrenten
Vermutlich werden trotzdem andere Anbieter bald nachziehen. Vodafone hat allerdings nach eigenen Angaben aktuell keine Pläne dieser Art. Insgesamt wolle man das Vorgehen des Konkurrenten nicht kommentieren.
Ein Telekom-Sprecher relativiert dann heute allerdings noch das Bild der zweispurigen Autobahn. Man müsse sich eher sechs Spuren vorstellen, auf der vier davon für die Spezialdienste bereitgestellt würden. Es müsse sich niemand Sorgen machen, langsam im Netz unterwegs zu sein. Als Massenanbieter sei man auf die Zufriedenheit der Kunden schließlich angewiesen.