Startups in Russland Anders als im Silicon Valley
In Skolkowo bei Moskau hoffen Hunderte Startups auf den Durchbruch. Der Staat fördert sie, doch Bürokratie und die unsichere Rechtslage lasten auf vielen Unternehmen.
Dass das Startup Anisoprint aus Russland stammt, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Die Firma, die 3D-Drucker für Endlos- und Karbonfasern baut und vertreibt, ist in Luxemburg registriert, ihre Webseite komplett auf Englisch, als Kunden weist sie darauf unter anderem BMW und die Technische Universität München aus. Ganz klein ist am unteren Seitenende ein neongrünes "Sk"-Emblem zu erkennen: Es steht für Skolkowo, ein Industriegebiet am Moskauer Stadtrand, in dem russische High-Tech auf Weltniveau entstehen soll.
"Hier findet bei uns die gesamte Entwicklung statt - und das bleibt so, hoffe ich. In Europa bauen wir unser Front End: Verkauf, Marketing, Service", sagt Anisoprint-Gründer Fjodor Antonow, dessen Firma als eine von 2000 Startups in Skolkowo vom russischen Staat bei der Entwicklung gefördert wird. Er sitzt im Technopark, der Haupthalle voller bestuhlter Pavillons, Kaffebars und Sitzgruppen. Alles nach US-Vorbild und so hochmodern wie möglich, aber die Bezeichnung "russisches Silicon Valley" findet Antonow trotzdem unpassend: "Das Silicon Valley ist etwas völlig anderes, sogar im ideologischen Sinne. Das hier ist eine staatliche Initiative zur Innovationsförderung", sagt er.
Russland ist vielen Investoren zu riskant
Für das Prestigeprojekt Skolkowo hat der russische Staat bis 2020 insgesamt 125,2 Milliarden Rubel (umgerechnet etwa 1,8 Milliarden Euro) und ein Territorium von vier Quadratkilometern bereitgestellt. Von Anfang an gab es Korruptionsskandale und Verzögerungen - viele Gebäude auf der animierten Karte, die ein Riesenbildschirm in der Technopark-Haupthalle zeigt, sind noch gar nicht gebaut.
Startups, die hier gefördert werden, gelten als die aussichtsreichsten des Landes, doch ein "Unicorn", also ein weltbekanntes Erfolgsmodell "Made in Russia", sucht man vergeblich. Der Deutsche Benjamin Wilkening soll das ändern. Er ist bei Skolkowo angestellt, um Kontakte zwischen den russischen Gründern und ausländischen Firmen herzustellen und beim Markteinstieg zu helfen. "Von den 2000 Startups sind vielleicht 20 bis 50 in der Lage, das überhaupt zu realisieren", sagt er. "Das ist frustrierend."
Als bayerischer Ministerpräsident besuchte Horst Seehofer 2017 das Skolkowo-Zentrum
Die Frage nach der Rechtssicherheit
Dass die Mehrzahl aller Startups nach zwei bis fünf Jahren eingeht, gilt auf der ganzen Welt. Doch im sanktions- und stagnationsgeplagten Russland haben sie es noch schwerer: Investoren fürchten die mangelnde Rechtssicherheit im Land und das Risiko, dass die Produkte angesichts landesweit sinkender Einkommen niemand kaufen wird. Auch Business Angels stellen laut Wilkening in Russland früh die Frage, wie schnell die von ihnen geförderten Startups denn von der Finanzierung unabhängig wären.
Das klassische Gründungsmodell aus den USA funktioniert daher nicht: "Die Philosophie von Venture Capital in Amerika ist: 'Je mehr Geld wir verbraten, desto besser', denn das heißt, die Firma hat viele Projekte, die Wachstum bringen", erklärt Wilkening. "Und hier ist die Denke genau umgekehrt: Wie schnell kommst du auf den Break-Even [die Gewinnschwelle, Anm. d. Red.]?"
Der Staat als wichtigster Förderer
Ein Großteil der Startup-Gründer in Russland ist darauf fixiert, möglichst schnell erste Aufträge zu bekommen, und kommt über diese Stufe nicht hinaus. Serienunternehmer Wassilij Bykow will mit der Firma Samocat Sharing ein Franchise-System für E-Roller-Stationen aufbauen. Er vergleicht seine Geschäftsidee mit Marschrutki, den privaten Sammeltaxis, die in Moskau zwischen Orten mit schlechter Metroanbindung unterwegs sind: "Leute haben einen Kleinbus gekauft, zehn Leute hineingesetzt, 1000 Rubel und irgendwann 300.000 Rubel im Monat verdient - und begriffen, dass das ein Markt ist. Jetzt sind sie angesehene Transportunternehmen." Davon, dass in den meisten russischen Städten die Straßenverhältnisse eine Rollerfahrt schwierig machen und die Metropolen in der EU längst von konkurrierenden Anbietern überschwemmt sind, will er sich nicht abhalten lassen.
Auch Samocat Sharing ist in Skolkowo aufgenommen worden. Dort winken neben Büroplätzen, Werkstätten zur Fertigung und unternehmerischer Beratung auch zehn Jahre lang erhebliche Steuervorteile und die Chance auf staatliche Zuschüsse. Das ist lukrativ, kann aber wiederum zum Hemmschuh für die Produktentwicklung werden: Denn an die Staatsgelder ist eine umfangreiche Rechenschaftspflicht geknüpft, die die Gründer anstatt der Arbeit am Produkt in Beschlag nimmt - und wenig Freiheiten bietet.
"Ein Zuschuss gilt etwa für zwei Jahre - das ist der durchschnittliche Mindestzeitraum. In der Bewerbung muss man die Ziele und Aufgaben für die kommenden zwei Jahre festlegen. Man gibt dir Geld für genau das, was du geschrieben hast", erklärt Anisoprint-Gründer Fjodor Antonow. "Wenn du also eine Hypothese aufgestellt und überprüft hast und überzeugt bist, dass man sie korrigieren muss, hast du diese Freiheit nicht: Du musst das tun, was du ursprünglich angegeben hast, und es zu Ende führen."
Startup für einen schwierigen Markt: Das Unternehmen Samocat Sharing
Schnellstmöglich auf ausländische Märkte
Wer angesichts dieser Schwierigkeiten nicht gleich im Ausland gründet, will mit seiner Firma so schnell wie möglich dorthin kommen. Wassilij Bykow ist stolz auf einen Auftrag aus Finnland, den Samocat Sharing bekommen hat: 50 E-Roller-Stationen sollen den Stadtrand von Helsinki besser an die Hauptstadt anbinden. Anisoprint-Gründer Antonow hat seinen 3D-Drucker schon Premierminister Dimitri Medwedjew präsentiert. Die 2.0-Version des Geräts baut aber eine deutsche Firma im Raum Augsburg - unter dem Label "Made in Germany".
Den Kontakt dazu hat Benjamin Wilkening auf einer Verkaufstour durch Deutschland hergestellt. Er meint, für die meisten Firmen im Ausland sei die Herkunft der Startups kein Hemmnis: "Es gibt eine Ausnahme, und das ist der Bereich Cybersecurity." Bei Software mit russischen Wurzeln ende bei vielen Unternehmen im Westen das Interesse abrupt: "End of conversation. Sie wollen sich das noch nicht einmal angucken. Da kommt die Politik dann richtig ins Spiel."
Hält die internationalen Chancen der meisten russischen Startups für gut: Benjamin Wilkening
Führend bei Überwachungstechniken
Doch auch für Software "Made in Russia" gibt es einen Markt: Im Bereich Überwachung und automatischer Gesichtserkennung zählen russische Technologien zur Weltspitze. Ihre Abnehmer finden sie in autoritär geführten Staaten in Asien und der arabischen Welt. Der Algorithmus "FindFace" der Firma NTechLab, den ursprünglich das russische Facebook-Pendant Vkontakte zur Personenerkennung einsetzte, belegte in globalen Branchenrankings mehrfach vordere Plätze. Zur Fußball-WM wurde er auch in das Überwachungskamera-System der Hauptstadt Moskau unter Verweis auf "Kriminalitätsprävention" eingeführt und seitdem nicht mehr abgebaut.
Der chinesische Staatskonzern Huawei sicherte sich im Sommer die Rechte an der Technologie der Firma Vocord, die auf Videoanalyse und Telefonüberwachung spezialisiert ist. Seit 2018 setzt die indonesische Polizei sie bereits in der Hauptstadt Jakarta ein. Auch Vocord ist ein Skolkowo-Zögling und hilft nun bei der Beobachtung von Millionen Menschen. Dass den Namen der Firma im Westen so gut wie niemand kennt, dürfte die Gründer nicht stören.