Kritik an "Verkehrsprognose 2051" "Erkennbar wirklichkeitsfern und verzerrt"
Die "Verkehrsprognose 2051" der Bundesregierung sorgt für Diskussionen. Bahnbefürworter und Logistikunternehmen kritisieren, Verkehrsminister Wissing wolle offenbar nicht, dass mehr Verkehr auf die Schiene komme.
Peter Westenberger ist etwas erbost. Wenn der Geschäftsführer des Vereins "Die Güterbahnen" über die Verkehrsprognose aus dem Hause von Minister Volker Wissing (FDP) spricht, kann es passieren, dass er leicht sarkastisch wird. "Offensichtlich hat das Jahr 1983 angerufen und will seine Verkehrspolitik zurück", spöttelt er.
Westenberger spricht dabei für über 100 Unternehmen, die Fracht auf der Schiene transportieren. In der Zukunft, wie sie das Verkehrsministerium sieht, finden sie sich und ihr Geschäft nur ungenügend wieder. Stein des Anstoßes: die "Verkehrsprognose 2051" - eine Modellrechnung also, die zum Ziel hat, fast 30 Jahre in die Zukunft zu blicken. Bislang ist die Studie offiziell noch gar nicht veröffentlicht; lediglich eine Power-Point-Präsentation liegt vor. Die aber hat es in sich, finden die Bahnfreunde.
"Verkehrsprognose 2051": einfach weiter wie bisher?
Laut der Schätzungen soll etwa der Lkw-Verkehr um rund 50 Prozent zunehmen. Ein zunehmender Teil des Wachstums soll durch Elektro-Lkw bedient werden. Für Westenberger ist das wirklichkeitsfern: "Die Branche geht heute schon davon aus, dass aktuell 100.000 Lkw-Fahrer fehlen. Und der demografische Wandel wird es nicht erleichtern, ausreichendes Personal für den Lkw zu gewinnen."
Und Westenberger ist nicht der Einzige, der das so sieht. Gleich vier Organisationen - allesamt eher "pro Schiene" - haben sich die Verkehrsprognose vorgenommen und lassen kaum ein gutes Haar an ihr. Zur Abrechnung mit dem Papier haben sie extra eine Pressekonferenz einberufen.
Mit dabei: die "Allianz pro Schiene", ein Lobbyverein, dessen erklärtes Ziel es ist, den Schienenverkehr zu fördern und zu verbessern. Eine Zukunft mit mehr Lkw-Verkehr ist ziemlich genau das Gegenteil von dem, was die Allianz will. Zumal es ein weiteres Hochleistungsladenetz speziell für die Lastkraftwagen bräuchte. Das aber sei nicht in Sicht.
Fantasie-Lkw auf Deutschlands Straßen?
Für Geschäftsführer Dirk Flege ist die Sache mit den Elektro-Lkw in der Verkehrsprognose des Ministers fast schon reine Fantasterei: "Die Gutachter sagen selbst, dass sie nicht wissen, wie das gehen soll. Wie 40-Tonner mit Batterien bewegt werden sollen: Da gibt es keine plausible Lösung für. Und dennoch nehmen sie an, dass bis 2040 der Anteil der schweren Lkw mit Batterieantrieb bei 75 Prozent liegen wird. Das ist völlig illusorisch. Und das ist auch nicht mehr seriös."
Nicht mehr seriös: ein schwerer Vorwurf gegen ein von der Bundesregierung in Auftrag gegebenes Gutachten. Und es ist nur ein Vorwurf von vielen. Die Mängel des Gutachtens seien gravierend, sagen die Kritiker. Beispielsweise seien die Strompreise genau so modelliert worden, dass sie die - noch nicht entwickelten - Elektro-Lkw auf dem Papier gegenüber Schienenfahrzeugen bevorzugen würden.
Und die CO2-Preise der kommenden knapp 30 Jahre würden in der offiziellen Prognose auf fast konstantem Niveau verharren - eine ebenfalls eher realitätsferne Annahme, wie die Bahnbefürworter finden. Und dass der Güterverkehr durch Digitalisierung jedes Jahr leistungsfähiger werden dürfte - und somit mehr Waren transportieren und seinen Marktanteil steigern könnte -, sei ebenfalls stiefmütterlich berücksichtigt worden.
Vorwurf Gefälligkeitsgutachten
Im Ergebnis sei dann das herausgekommen, was das Ministerium gewünscht habe, so der Vorwurf: viele Argumente für den Ausbau von Autobahnen und Straßen - und relativ wenig Investitionsbedarf in die Schiene. "Das ist ein gedanklicher Zirkelschluss. Die Prämisse ist schon das Ergebnis. Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Das kann nicht moderne Verkehrspolitik sein", fasst Flege seine Befürchtungen zusammen.
Überhaupt sei das schwierig mit so langfristigen Prognosen zu einem so dynamischen Markt wie dem des Güterverkehrs, findet auch Westenberger. Seine Güterbahnunternehmen seien da vorsichtiger - und kämen zu anderen Ergebnissen als das Ministerium: "Wir trauen uns keine Prognose bis 2051 zu. Unsere Prognosen reichen bis 2035 und da trauen sich unsere Unternehmen einen Marktanteil von 35 Prozent zu. Das ist ungefähr eine Verdoppelung im Vergleich zu heute."
Ein letztes bisschen Spott kann sich Westenberger zum Abschluss dann wieder nicht verkneifen. In Deutschland sei ja schon einmal einem Verkehrsmittel eine große Zukunft prophezeit worden, die nie Wirklichkeit wurde, sagt er mit einem leichten Lächeln: "Wenn wir 30 Jahre zurückschauen - Anfang der 90er-Jahre hat man den Transrapid als das große Verkehrsmittel in Deutschland vorhergesagt."