Debatte über Haushalt Schwarze Null "ökonomisch unklug"?
Finanzminister Scholz hält an der Schwarzen Null fest - und stößt zunehmend auf Widerstand: Mehrere Politiker und selbst wirtschaftsnahe Experten fordern neue Schulden, um etwa den Klimaschutz zu finanzieren.
Es klingt unglaublich. Der deutsche Staat kann derzeit mit Schuldenmachen Geld verdienen. Ein Beispiel: Wenn der Staat sich bei Anlegern 100 Euro leiht, muss er später nur 99,50 Euro zurückzahlen. Die Differenz kann er behalten. Inzwischen gilt dieser Negativzins auch für Staatsanleihen mit einer sehr langen Laufzeit von 30 Jahren. Der Grund dafür ist, dass deutsche Staatsanleihen bei Anlegern als sicher gelten.
Das führt zu einer Situation, die viele Ökonomen ebenfalls unglaublich finden. Bundesfinanzminister Olaf Scholz will trotz dieser günstigen Bedingungen keine neuen Schulden aufnehmen.
"Ökonomisch ist es unklug, was der Bundesfinanzminister macht", urteilt Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Politiker Scholz nutze die Chancen nicht und investiere zu wenig: "Wir lassen schlicht Geld auf der Straße liegen. Das kann ja keine logische Strategie sein", so Hüther gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio.
Neue Schulden aufnehmen? Für Finanzminister Scholz bislang kein Thema.
Großer Investitionsbedarf
Forderungen nach mehr Schulden kannte man lange Zeit eher von linken Ökonomen. Dass auch ein wirtschaftsnaher Experte wie Hüther eine Abkehr von der Schwarzen Null fordert, zeigt wie groß der Druck auf die Bundesregierung inzwischen ist. Auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, oder der Düsseldorfer Wirtschaftsprofessor Jens Südekum kritisieren die Schwarze Null, also das Festhalten an einem Haushalt ohne neue Schulden.
Die Wirtschaftsforscher sind sich einig, dass es einen enormen Investitionsbedarf gibt, etwa bei Schulen, Internetversorgung oder Klimaschutz. Das Bundesfinanzministerium verweist hingegen darauf, dass für den Klimaschutz "erhebliche Finanzmittel" bereitstünden.
Schwarze Null eine "Katastrophe"
Doch SPD-Politiker Scholz bekommt inzwischen auch aus den eigenen Reihen Gegenwind. Zwei der Kandidatenduos für den SPD-Parteivorsitz haben sich klar gegen die Schwarze Null ausgesprochen. Einer der Kandidaten, Karl Lauterbach, nannte die Schwarze Null im "Handelsblatt" "ökonomisch und ökologisch unsinnig". Michael Roth, SPD-Staatsminister im Auswärtigen Amt, spricht von einem "riesigen Investitionsstau" in Deutschland.
Kritik kommt auch aus der Opposition. Der Grünen-Finanzpolitiker Danyal Bayaz sagte dem ARD-Hauptstadtstudio: "Ökonomisch - und übrigens auch politisch - ist es natürlich eine Katastrophe, dass wir nicht dort investieren, wo wir es tun müssten." Als Beispiele nennt er Zukunftsinvestitionen wie Bildung und Künstliche Intelligenz, aber auch kommunale Schwimmbäder. Ein Finanzminister dürfe nicht nur Sparminister sein, sondern müsste eigentlich Investitionsminister sein, so Bayaz: "Darum geht es in den nächsten zehn Jahren, wenn wir künftig noch erfolgreich sein wollen. Olaf Scholz scheint das nicht sonderlich zu interessieren".
Merkel verteidigt ausgeglichenen Haushalt
Politisch heikel ist der Ruf nach mehr Schulden auch wegen der im Grundgesetz vereinbarten Schuldenbremse. Sie wurde 2009 von einer ebenfalls schwarz-roten Bundesregierung eingeführt. Ein bisschen Neuverschuldung ist damit zwar noch möglich, insgesamt bietet sie aber nur wenig Spielraum. Deshalb gibt es viele Forderungen, die Schuldenbremse abzuschaffen oder für Investitionen zu lockern. Dafür bräuchte es aber eine breite politische Mehrheit.
Für ein Interview standen weder der Bundesfinanzminister noch einer seiner Staatssekretäre zur Verfügung. In der Vergangenheit hat Scholz die Schwarze Null aber immer wieder verteidigt. Bundeskanzlerin Merkel sagte Mitte Juli, sie glaube, "dass die Politik des ausgeglichenen Haushalts richtig ist". Für Deutschland sei das aufgrund des relativ hohen Alters der Bevölkerung von besonderer Bedeutung. "Die jungen Menschen mit nicht immer weiterwachsenden Schulden in die Zukunft zu schicken, halte ich für wichtig", so Merkel.
Kritiker der Sparpolitik betonen, dass die Schwarze Null gerade die künftigen Generationen teuer zu stehen kommen werde. Denn für sie seien Zukunftsinvestitionen besonders wichtig.