EU streitet über Stimmrechtsentzug für Schuldensünder "Möglich ist alles, wahrscheinlich ist es nicht"
Deutschland und Frankreich wollen in der EU eine Änderung des Lissabon-Vertrages durchsetzen, damit notorischen Defizitsündern zeitweilig das Stimmrecht entzogen werden kann. Beim Außenministertreffen stießen sie damit auf heftige Kritik. Ob der EU-Gipfel grünes Licht für den Plan gibt, ist fraglich.
Wenige Tage vor dem EU-Gipfel stoßen Deutschland und Frankreich mit ihrer Forderung nach einer EU-Vertragsänderung auf harten Widerstand. Vor allem Luxemburg und Tschechien übten am Rande des EU-Außenministertreffens in Luxemburg Kritik an dem Plan zur Verschärfung des EU-Stabilitätspaktes und zur Einrichtung eines Rettungsmechanismus für in Not geratene Staaten. Dafür wäre Einstimmigkeit bei den Mitgliedsländern erforderlich.
Asselborn: "Ein sehr schlechtes Gefühl"
Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn kritisierte, die deutsch-französische Forderung hinterlasse bei den europäischen Partnern "ein sehr schlechtes Gefühl". Es drohe die Gefahr, dass sich die EU erneut Monate und Jahre nur mit sich selbst beschäftige. Gestern Abend hatte er im ZDF eine Vertragsänderung als "politisch eigentlich irrsinnig" bezeichnet.
Tschechiens Außenminister Karel Schwarzenberg sagte auf die Frage, ob er eine Vertragsänderung für möglich halte: "Möglich ist alles auf der Welt - aber wahrscheinlich ist es nicht." Tschechien hatte 2009 mit großen Mühen als letztes Land den Lissabon-Vertrag ratifiziert.
Westerwelle wirbt für deutsch-französischen Plan
Bundesaußenminister Guido Westerwelle warb in Luxemburg erneut für den deutsch-französischen Vorschlag. "Wir kennen das sonst doch auch: Wenn jemand seine Pflichten nicht erfüllt, dann ist es ja auch nicht fair, das er weiter die Rechte wahrnehmen kann", sagte er. "Rechte und Pflichten gehören zusammen. Das ist im Privaten so, aber das ist auch in der Politik so - und auch in Europa." Er warnte vor möglichen Konsequenzen: "Wenn uns noch mal passieren würde, was im Frühjahr bei Griechenland passiert ist, dann kommt Europa aber ganz nah an den Abgrund."
Merkel und Sarkozy fordern Mandat von EU-Gipfel
Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy wollen mit der Vertragsänderung den Euro-Stabilitätspakt verschärfen und einen ständigen Rettungsmechanismus für schwächelnde EU-Länder schaffen. Darauf hatten sie sich vor einer Woche im französischen Badeort Deauville verständigt. Im Gegenzug hatte Merkel die Forderung nach einem Automatismus bei der Bestrafung von Defizitsündern aufgegeben.
Auf dem EU-Gipfel ab Donnerstag in Brüssel wollen Merkel und Sarkozy ein entsprechendes Mandat erhalten, um bis März konkrete Vorschläge auszuarbeiten und die Vertragsänderung bis 2013 wasserdicht zu machen. Eine Änderung des Lissabon-Vertrages könnte nur einstimmig beschlossen werden und müsste dann in den Mitgliedstaaten von den Parlamenten und in Irland per Referendum ratifiziert werden.
Rettungsschirm läuft 2013 aus
Der EU-Gipfel steht unter Zeitdruck, weil der im Frühjahr von der EU und dem IWF aufgespannte Rettungsschirm für angeschlagene EU-Staaten in Höhe von 750 Milliarden Euro im Jahr 2013 ausläuft. Deutschland argumentiert, bis dahin müsse eine Regelung stehen, die eine Wiederholung der Griechenland-Krise verhindert und das Vertrauen in die Stabilität des Euros dauerhaft sichert.