Kritik an Ratingagentur S&P "Sie treiben das Fieber nach oben"
Die US-Ratingagentur Standard & Poor's hat Europa und den Rettungsfonds im Visier - und die Kritik der Eurogruppe auf sich gezogen. Deren Chef Juncker sprach von "Maßlosigkeit". Kanzlerin Merkel setzt auf den EU-Gipfel, der Lösungen zur Euro-Rettung bringen soll. Die gescholtene Agentur verteidigte derweil ihr Vorgehen.
Mit einer Mischung aus lauter Kritik und betonter Gelassenheit haben die europäischen Regierungen auf die Ankündigung der US-Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) reagiert, die Kreditwürdigkeit Deutschlands und 14 weiterer Euro-Länder zu überprüfen.
Angesichts der Reformanstrengungen in vielen EU-Staaten wirke die Drohung "wie ein Paukenschlag", sagte Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker im Deutschlandfunk. Die Ankündigung von S&P sei "maßlos überzogen".
Verbraucherzentrale fordert unabhängige europäische Agentur
Der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbandes, Gerd Billen, warf den großen US-Ratingagenturen unverantwortliches Handeln vor. Sie seien "nicht nur ein neutrales Fieberthermometer, sondern sie treiben das Fieber mit nach oben", sagte Billen der Nachrichtenagentur dpa. Letztlich sorgten die Ratingagenturen dafür, "dass demokratisch legitimierte Staaten von der Finanzindustrie vor sich hergetrieben werden." Um dies zu verhindern, sollte eine europäische Ratingagentur nach Art einer Stiftung eingerichtet werden, "die unabhängig ist und verantwortlich handelt."
Nach Ansicht des Unions-Haushaltsexperten Norbert Barthle soll die mögliche Herabstufung durch S&P nicht dramatisiert werden. "Die Tatsache, dass Deutschland und den meisten anderen Eurostaaten eine Herabstufung der Bonitätsbewertung droht, kommt einerseits nicht überraschend und darf andererseits nicht überbewertet werden", erklärte der CDU-Politiker. Der Vorsitzende der CSU-Mittelstandsunion, Hans Michelbach, kritisierte die Stellungnahme von S&P als eine "willkürliche Entscheidung ohne Bezug zur Wirklichkeit" und forderte eine schärfere Kontrolle der Ratingagenturen. "Die EU-Kommission muss ein klares Signal an die Agenturen aussenden, dass Europa das Treiben nicht länger tatenlos hinnehmen wird", erklärte Michelbach.
Merkel und Sarkozy setzen auf EU-Gipfel
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy teilten mit, sie nähmen die Ankündigung "zur Kenntnis". Die von beiden Regierungen gemachten Vorschläge würden die haushalts- und wirtschaftspolitische Koordinierung der Eurozone stärken und so Stabilität, Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum fördern.
"Deutschland und Frankreich nehmen zur Kenntnis, dass Standard & Poor's ankündigt, die Kreditratings mehrerer Euro-Mitgliedsstaaten zu überprüfen. Deutschland und Frankreich bekräftigen ihre Überzeugung, dass die heute von beiden Regierungen gemeinsam gemachten Vorschläge die haushalts- und wirtschaftspolitische Koordinierung der Eurozone stärken und so Stabilität, Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum fördern werden. Deutschland und Frankreich sind solidarisch in ihrer Entschlossenheit, gemeinsam mit ihren europäischen Partnern und den europäischen Institutionen alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, um die Stabilität der Eurozone zu gewährleisten."
Merkel und Sarkozy wollen beim morgen beginnenden EU-Gipfel die Weichen für eine Änderung der EU-Verträge stellen. Ziel ist es, die Euro-Spielregeln zu verschärfen: Beide sprechen sich unter anderem für automatische Sanktionen bei Überschreitung der Defizit-Obergrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus.
"Ein systemisches Außmaß"
S&P stuft diesen Plan als vielversprechend ein, drängt jedoch darauf, dass er rasch umgesetzt werden müsse. Entscheidend sei, dass das Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs "glaubwürdige und solide Lösungen" bringe, sagte S&P-Europa-Chefanalyst Moritz Kraemer.
Im ZDF-"heute-journal" verteidigte er den Schritt von S&P. Originäre Aufgabe von Ratingagenturen sei es, Einschätzungen von Risiken für Investoren zeitnah an den Markt zu bringen. Und die Risiken in der Eurozone hätten in den vergangenen Monaten zugenommen. Die Krise nehme zunehmend ein systemisches Ausmaß an. Krämer warnte zugleich davor, die Intelligenz der Marktteilnehmer zu unterschätzen, indem man ihnen unterstelle, sich allein auf die Einschätzung einer Agentur zu verlassen.
S&P hat nicht nur zahlreiche Staaten der Eurozone im Visier, sondern senkte auch den Kreditausblick für Anleihen des Euro-Rettungsfonds EFSF vom "AAA"-Toprating auf "negativ". Der Rettungsfonds könnte die bisherige Topbonität verlieren, falls ein bisher mit Bestnote versehener Mitgliedsstaat der Eurozone herabgestuft werden sollte. Dabei könnte die Kreditbewertung des EFSF um ein bis zwei Stufen gesenkt werden, hieß es weiter in der Mitteilung.
Derzeit halten noch Deutschland, Frankreich, Österreich, die Niederlande, Luxemburg und Finnland bei S&P die Bestnote "AAA". Nach dem EU-Gipfel werde S&P maximal 90 Tage benötigen, um über mögliche Herabstufungen zu entscheiden.