Interview mit Katja Kipping, Linkspartei "Echte Transparenz sieht anders aus"
TTIP ist für Katja Kipping der Ansatz für den Rückfall in vordemokratische Zeiten. An ein absolustisches Politikverständnis fühlt sie sich durch die Auflagen im im digitalen Lesesaal erinnert. Inhaltlich sieht Kipping ihre Befürchtungen bestätigt.
tagesschau.de: Warum haben Sie von dem Lesesaal Gebrauch gemacht? Was hat Sie in Zusammenhang mit TTIP besonders interessiert?
Katja Kipping: Auf dem Verhandlungstisch liegt fast alles, was unser Gemeinwesen ausmacht: Finanzmarktregeln, Arbeitnehmerrechte, Umweltstandards, Verbraucherschutz und vieles mehr. Grundsätzlich sollen Unternehmen, Banken und Konzerne mehr Möglichkeiten und Rechte gegeben und unnütze Regeln abgeschafft werden, die als Handelshemmnis gelten.
Wir als Linkpartei sind immer für eine bessere internationale Zusammenarbeit. Wir sind auch nicht für unnütze Regeln und Gesetze. Aber was unnütz ist und wie die internationale Zusammenarbeit verbessert werden kann, liegt sicher nicht im Ermessen kleiner bürokratischer Expertengruppen und Unternehmensvertreter, die von Beginn an in die geheimen Verhandlungen eingebunden sind.
Wir sind gegen TTIP, da der Ansatz für uns ein Rückfall in vordemokratische Zeiten ist.
Seit 2012 steht Katja Kipping zusammen mit Bernd Riexinger an der Spitze der Linkspartei. Seit 2005 ist sie Bundestagsabgeordnete und hat ihren Wahlkreis in ihrer Heimatstadt Dresden.
tagesschau.de: Unter Anderem mussten Mobiltelefone während des Aufenthalts im Lesesaal eingeschlossen werden – eine nachvollziehbare oder eine übertriebene Maßnahme?
Kipping: Das konfiszierte Handy ist nur ein Detail angesichts der Nutzungsbedingungen, über die ich vor meinem Aufenthalt belehrt wurde. Bezeichnend für die Einstellung zur Demokratie, die hinter TTIP steht, ist folgender Auszug aus den Besucherregeln: "Sie (also alle Abgeordneten, die wie ich den Leseraum aufsuchen wollen) nehmen zur Kenntnis und akzeptieren, dass Ihnen mit der Gewährung von Zugang zu TTIP-Schriftstücken ein besonderes Vertrauen entgegengebracht wird."
Bisher dachte ich ja, es wäre das Recht von gewählten Abgeordneten, Informationen zu erhalten. Die TTIP-Unterhändler hingegen (wer hatte sie noch mal legitimiert?) meinen, sie würden großzügiger Weise Zugang "gewähren" - Zugang als Ausdruck besonderen Vertrauens. Dachte, wer immer das aufgeschrieben hat, wir Abgeordneten würden uns geschmeichelt fühlen?
Ich fühle mich eher an ein absolutistisches Politikverständnis erinnert. Zugang gewähren und Vertrauen entgegenbringen – wer von demokratischen Selbstverständlichkeiten überzeugt ist, verwendet eine andere Sprache.
"Die Verhandlungen müssen gestoppt werden"
tagesschau.de: Hat sich Ihre Einstellung zu TTIP nach der Lektüre im Lesesaal verändert?
Kipping: Nein. Die Verhandlungen müssen gestoppt werden. Leider habe ich nichts gelesen, was nur einen meiner bisherigen Kritikpunkte an TTIP in Frage stellt.
Ich habe nichts gelesen, was meine Sorge, die US-Seite wolle vor allem den öffentlichen und kommunalen Unternehmen das Leben schwer machen und bessere Bedingungen für international agierende Konzerne im Kampf um öffentliche Ausschreibungen haben, gemildert hat. Ich habe nichts gelesen, was meine Sorge verringert, dass die EU-Unterhändler bereit sind für die Aussicht auf lukrativer Aufträge für europäische Großkonzerne Umwelt- und Sozialstandards zu opfern. #
Ich habe nichts gelesen, was mich meine davor geäußerte Kritik zurücknehmen lässt, Verbraucherschutz spiele bei TTIP nur eine Rolle, wenn es gilt, den freien Wettbewerb als die höchste Form des Verbraucherschutzes zu lobpreisen.
Warum das Licht der Öffentlichkeit scheuen?
tagesschau.de: Nachdem Sie im Lesesaal gewesen sind: Was möchten Sie über TTIP jetzt noch wissen?
Kipping: Da Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel behauptet, TTIP würde vor allem den mittelständischen Unternehmen in Deutschland zu Gute kommen, war ich natürlich gespannt auf das Dokument zu den kleinen und mittleren Unternehmen.
Nun darf ich ja nichts über den Text sagen, den ich am Computer gelesen habe. Aber ich habe nicht unterschrieben, nichts darüber zu sagen, was ich nicht gelesen habe. Also: Ich habe nichts gelesen, was auch nur ansatzweise diese Behauptung Gabriels unterstützt.
tagesschau.de: Geheimakten im Lesesaal - ist das ein Beispiel, das im parlamentarischen Raum Schule machen sollte?
Kipping: Echte Transparenz sieht anders aus. TTIP-Befürworter erklären stets, Handelsabkommen seien nun einmal streng geheim – ich hingegen meine: Wer Verhandlungen in Hinblick auf mehr Umweltschutz, mehr Schutz für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie auf bessere Arbeitsnormen im Sinne der Beschäftigten führt, der müsste sich vor Transparenz nicht fürchten.
Wer sich hingegen am Ausverkauf der Demokratie beteiligt, scheut offensichtlich das Licht der Öffentlichkeit. Wenn die Unterhändler und Gabriel wirklich überzeugt wären von TTIP, könnten sie die Dokumente ja für alle zugänglich ins Netz stellen.