Kabinett will Firmen vor ausländischen Übernahmen schützen Staatskapitalisten oder Retter in der Not?
Noch vor einem Jahr waren sich fast alle einig. Die deutsche Wirtschaft muss vor Übernahmen geschützt werden, vor allem durch ausländische Staatsfonds. Nun hat das Kabinett dazu einen Gesetzentwurf vorgelegt - und erntet massive Kritik von Wirtschaftsverbänden.
Von Ralph Sartor, tagesschau.de
Sie haben unvorstellbare Summen unter ihrer Kontrolle. Einige Schätzungen gehen davon aus, dass ausländische Staatsfonds über rund drei Billionen US-Dollar verfügen; laut der Unternehmensberatung Ernst & Young liegen alleine bei den 45 größten Staatsfonds, die vor allem aus China, Russland und arabischen Staaten stammen, sogar rund 3,9 Billionen. Und Morgan Stanley schätzt, dass das Vermögen der staatlichen Fonds bis zum Jahr 2015 auf zwölf Billionen Dollar steigen wird. Zum Vergleich: Für die Postbank, über deren Verkauf zurzeit verhandelt wird, werden Preise von etwa zehn Milliarden Euro genannt.
Die Gelder kommen überwiegend aus Öl- und Gaseinnahmen und die Staatsfonds häufig aus Ländern, die nur wenig dem westlichen Demokratieverständnis entsprechen. Die Angst: Staatlich gelenkte Fonds aus China, Russland und arabischen Staaten könnten sich in großem Umfang in deutsche Schlüsselindustrien einkaufen und dort dann ihren politischen Einfluss ausüben. Das deutsche Stromnetz unter chinesischer Kontrolle - und kaum eine Möglichkeit, der riesigen Finanzkraft etwas entgegenzusetzen.
Warnungen vor dem "neuen Staatskapitalismus"
Vor rund einem Jahr waren sich deshalb noch fast alle einig. Stromkonzerne warnten vor Staatsfonds, die im Interesse ausländischer Regierung politische Ziele verfolgen könnten; Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann sprach Mitte 2007 von einem "neuen Staatskapitalismus" und forderte die Bundesregierung auf, wichtige deutsche Industrien vor der Übernahme zu schützen. Es gehe darum, "strategische Geschäftsfelder zu definieren, wo wir das Gefühl haben, da müssen wir die Kontrolle haben", zitierte ihn dw-world. Und Finanzminister Peer Steinbrück warnte bei einem Besuch Ackermanns in der SPD-Zentrale davor, angesichts niedriger Börsenkurse könnten schon mit einigen Milliarden "dicke, fette, schöne Dax-Firmen" aus dem Ausland übernommen werden.
Nun hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf durchgewunken, der deutsche Firmen schützen soll. Sobald Fonds, die ihren Sitz außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums haben, 25 Prozent und mehr an Unternehmen erwerben, kann das Wirtschaftsministerium innerhalb von drei Monaten prüfen, ob nationale Interessen davon berührt sind, ob also "die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt" sind. Grundsätzlich gilt dies für alle Branchen - und nicht nur, wie ursprünglich gefordert, für strategisch wichtige Industrien wie etwa die Telekommunikation oder die Energieversorgung. Auch auf Staatsfonds ist der Entwurf, dem der Bundestag noch zustimmen muss, nicht beschränkt. Die Bundesregierung rechnet nun damit, dass künftig etwa zehn Investitionsvorhaben im Jahr auf ihre Vereinbarkeit mit der Sicherheit Deutschlands geprüft werden.
"Damoklesschwert Staatsintervention"
Das Echo aus der Wirtschaft ist zumindest auf den ersten Blick überraschend. BDI-Präsident Jürgen Thumann beispielsweise lehnt den Entwurf ab: "Wir brauchen die Ausländer", sagte er dem ZDF. Ausländische Investoren sicherten zwei Millionen Arbeitsplätze. "Wir können als deutsche Industrie die notwendigen Investitionen, um hier weitere Arbeitsplätze zu schaffen, nicht alleine tätigen." Und auch der Bundesverband deutscher Banken lehnt die Pläne der Regierung ab. "Wir dürfen nicht unterschätzen, wie die Debatte im Ausland wirkt", sagte Verbandsvorstand Manfed Weber der "Süddeutschen Zeitung". Freie Kapitalmärkte seien ein zentraler Baustein des Wohlstands.
Hauptbegründung für die Negativ-Bewertung: Der Gesetzentwurf sei zu schwammig, erfordere zu viel Bürokratie und sei zu protektionistisch. "Dadurch wird jeder Investor erstmal verunsichert", sagte der DIHK-Außenhandelsexperte Christoph Wolf der "Financial Times Deutschland". Jetzt seien alle potenziellen Investoren betroffen - und nicht mehr nur die Staatsfonds, mit denen die Diskussion begonnen habe. Das "Damoklesschwert Staatsintervention" schwebe nun auch über privaten Geldgebern.
Staatsfonds als Retter in der Not
Der geänderte Tenor der Forderungen aus der Wirtschaft könnte allerdings auch mit einer geänderten Wahrnehmung der bislang geächteten ausländischen Staatsfonds zu tun haben. Vor einem Jahr noch eher als Mischung aus Staatskapitalismus und Heuschrecke wahrgenommen, wurden einige von ihnen in der Finanzmarktkrise plötzlich zu Rettern: Niemand wollte mehr Geld für kaptitalbedürftige Banken bereitstellen - und die Staatsfonds sprangen ein. Temasek aus Singapur kaufte sich mit mit 4,4 Milliarden bei Merrill Lynch ein, die staatliche Fondsgesellschaft Government of Singapore Investment Corporation beteiligte sich an einer Milliardenspritze für die angeschlagene Schweizer Großbank UBS, die Abu Dhabi Investment Authority kaufte sich für 7,5 Milliarden Dollar bei der Citigroup ein.
Mittlerweile ist die Sorge in der Wirtschaft nicht mehr, dass Staatsfonds einsteigen könnten - sondern eher, dass sie es künftig nicht mehr in Deutschland tun könnten. Aus der Forderung nach staatlicher Beschränkung ist die Forderung nach Transparenz geworden. Einen "Wettlauf in der Abschottung" dürfe es nicht geben, sagte Deutsche-Bank-Chef Ackermann Ende vergangenen Jahres: "Wir sollten hier das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, sondern besonnen mehr Transparenz schaffen."
Zumal es in Deutschland bisher auch durchaus gute Erfahrungen mit den gefürchteten Staatsfonds gibt. Bereits vor mehr als 30 Jahren übernahm Kuweit knapp ein Siebtel an Daimler-Benz - und ist heute noch größter Aktionär der Daimler AG. Und bis jetzt ist zumindest kein Fall bekannt geworden, in dem der Großaktionär versucht hätte, politische Interessen im Konzern durchzusetzen.