Kult-Schuhmarke Was läuft bei Dr. Martens schief?
Schwächelnde Nachfrage von Kunden, aber auch chinesische Billig-Anbieter wie Temu und Shein machen der Londoner Schuhmarke Dr. Martens schwer zu schaffen. Die Aktie bricht um 30 Prozent ein.
Neue Stiefel von Dr. Martens sind steif, drücken und können schmerzhafte Blasen verursachen. Ist das harte Leder aber erst einmal eingelaufen, werden sie bequem. Eine Wachsschicht auf dem Leder macht die klobigen Boots mit den gelben Nähten außerdem wasserfest. An dem britischen Konzern selbst wollen die schlechten Nachrichten, die auf ihn einprasseln, dagegen nicht mehr so einfach abperlen.
Im Gegenteil: Heute brachen die Aktien des Kult-Schuhherstellers an der Londoner Börse um 30 Prozent ein, markierten ein Rekordtief. Um die Turbulenzen abzumildern, musste der Handel mit den Papieren sogar zeitweise ausgesetzt werden.
Düsterer Ausblick für das nächste Jahr
Was genau hatte die Anleger so schockiert? Dr. Martens hatte ein außerplanmäßiges Handelsupdate veröffentlicht - inklusive eines düsteren Ausblicks auf das Jahr 2025. Das kommende Geschäftsjahr werde herausfordernd sein, warnte der britische Konzern und verwies auf die schwache Nachfrage in den USA, dem größten Markt des Unternehmens. Dort bauten die Kunden zurzeit ihre vollen Lager ab.
Konzernweit dürften daher die Erlöse 2025 prozentual einstellig sinken. Beim Gewinn vor Steuern rechnet Dr. Martens sogar mit einem Einbruch auf ein Drittel des 2024er-Werts. Doch damit nicht genug: Für große Verunsicherung sorgt auch der angekündigte Rücktritt des Vorstandsvorsitzenden. Kenny Wilson soll durch den bisherigen Markenchef Ije Nwokorie ersetzt werden. Unterdessen soll ein Aktionsplan zur Wiederbelebung der Stiefelnachfrage in den USA beitragen.
Die Dr. Martens verdanken ihren Namen ihrem Erfinder, Dr. Klaus Märtens. Der deutsche Arzt entwickelte nach dem Zweiten Weltkrieg einen robusten Arbeitsschuh mit einer flexiblen Sohle. Zusammen mit seinem Geschäftspartner Herbert Funk begann er 1947, die Sohlen aus Gummi der ausgedienten deutschen Luftwaffe herzustellen. 1952 eröffneten sie die erste Fabrik in München. 1959 kaufte der britische Schuhhersteller R. Griggs das Patent der Deutschen, die Schuhe hießen fortan Dr. Martens.
Getragen wurden sie zunächst von Fabrikarbeitern und Polizisten, später von Mods, Skinheads und Punks - und noch später von Vertretern des Grunge- und Indiepop-Genre. Mit den Nuller-Jahren kam die wohl größte Neuerung für die britische Firma: Im April 2003 schloss Dr. Martens AirWair seine Fabriken in England, seither werden alle Schuhe der Firma in Vietnam, China und Thailand produziert.
Klage gegen Temu in Großbritannien
Doch die Probleme von Dr. Martens liegen nicht nur in den USA, sondern auch in China. Erst gestern hatte der britische Schuhhersteller eine Klage gegen den chinesischen Billig-Marktplatz Temu vor dem Obersten Gerichtshof Großbritanniens eingebracht, wie die "Times" berichtet. Der Vorwurf: Markenrechtsverletzungen.
Temu soll bei Google mit Begriffen wie "Dr. Martens" und "Airwair" - dabei handelt es sich um ein bekanntes Modell der Marke - für eigene Stiefel geworben haben. Das soll dazu geführt haben, dass plötzlich Anzeigen und Produkte des chinesischen Billighändlers bei Google ganz oben landeten und die echten Dr. Martens verdrängten.
Dabei ist Temu nicht der einzige chinesische Marktplatz, mit dem Dr. Martens Ärger hat. Der auf ultrabillige Fast-Fashion-Produkte spezialisierten Firma Shein werfen die Briten vor, die eigenen Designs zu kopieren.
Konkurrenz durch Online-Giganten aus China
Unglaublich niedrige Preise und ein auf die junge Zielgruppe abgestimmtes Marketing auf Social Media haben die chinesischen Plattformen binnen kürzester Zeit zu Online-Giganten gemacht. Heute sind sie eine Milliardenmacht.
So konnte etwa Shein seine Umsätze laut Statista allein zwischen 2021 und 2022 auf 30 Milliarden Dollar verdoppeln. Temu steigerte seine Erlöse im gleichen Zeitraum um knapp 39 Prozent. In Deutschland hat bereits jeder Vierte bei Temu eingekauft. Shein zählt hierzulande zu den umsatzstärksten Online-Shops im Bereich Mode.
Gesamte Modebranche stark unter Druck
Die Fashionbranche steht wegen der Billig-Konkurrenz aus China massiv unter Druck. Selbst H&M und Primark, quasi die Mutterkonzerne der "Fast Fashion", bekommen das zu spüren. Shein macht ihnen das Online-Geschäft streitig. Im vergangenen Jahr reichte H&M daher in Hongkong Klage gegen Shein und mehrere verbundene Firmen ein. Der schwedische Textilkonzern verlangt Schadenersatz. Eine einstweilige Verfügung soll den Chinesen zudem die weitere Verletzung von Markenrechten untersagen.
So sehr Shein und Temu die etablierten Mode-Marken und Hersteller auch in Bedrängnis bringen: Mit Blick auf die geschäftlichen Perspektiven von Dr. Martens dürfte es für einen Abgesang noch viel zu früh sein. Schließlich gibt es - neben den Converse Chucks - kaum einen Schuh, der schon so viele Revivals erlebt hat wie der Stiefel von Dr. Martens.