Medikamente aus dem Internet Online-Apotheken immer populärer
Immer mehr Deutsche kaufen in Corona-Zeiten ihre Medikamente im Internet. Die Versandapotheken boomen und verdrängen stationäre Anbieter. Das E-Rezept könnte den Trend verstärken.
Die Pandemie sehen viele Apotheker mit gemischten Gefühlen. Wegen der Gefahr, dass Corona-Erkrankte mit ersten Symptomen in die Pharmazien kommen, mussten sie sich besonders gut schützen. Andererseits sorgte die Furcht vor dem Virus dafür, dass mehr Mittel zur Stärkung der Immunabwehr, Masken und Desinfektionsmitteln verkauft wurden. Nun werden verstärkt die Selbsttests für zu Hause nachgefragt.
Zweistelliges Plus bei Shop-Apotheke und DocMorris
Doch aus Angst vor einer Ansteckung mit dem Virus haben in den vergangenen Monaten viele Kunden die stationären Apotheken gemieden. Sie bestellten ihre verschreibungsfreien Medikamente oder Corona-Schutzmittel lieber im Internet. Online-Apotheken verzeichneten einen ungeahnten Ansturm. So wuchs die Shop-Apotheke im vergangenen Jahr um 38 Prozent beim Umsatz. Rund 1,6 Millionen neue Kunden wurden angelockt. Das schweizerische Unternehmen Zur Rose, zu dem die Versandapotheke DocMorris gehört, steigerte die Erlöse um über 14 Prozent.
Der Branchenverband ABDA bestätigt eine Verlagerung des Geschäfts ins Internet. Der Marktanteil der Versandapotheken bei verschreibungsfreien Mitteln sei auf 16,4 Prozent geklettert. Manche Experten gehen inzwischen gar von 20 Prozent Online-Anteil aus.
Zahl der stationären Apotheken sinkt
Immer mehr Vor-Ort-Apotheken machen dicht. Die Zahl der stationären Apotheken sank im vergangenen Jahr auf unter 19.000. Die ABDA zählte nur noch 18.753 Pharmazien - 322 weniger als ein Jahr zuvor. Allerdings hat diese Entwicklung nur bedingt mit der Corona-Pandemie zu tun. Seit über einem Jahrzehnt schrumpft die Zahl der stationären Apotheken hierzulande. Mit 23 Apotheken pro 100.000 Einwohner liegt die Apothekendichte in Deutschland inzwischen deutlich unter dem europäischen Durchschnitt. "Während eine klassische Landapotheke mit großem Einzugsgebiet eher gut durch die Krise gekommen sein dürfte, konnten Apotheken in Flughäfen, Bahnhöfen oder Einkaufscentern während der Lockdowns kaum noch Patienten versorgen und haben teilweise Kurzarbeit angemeldet", erklärte der Branchenverband ABDA gegenüber tagesschau.de.
Mit der Einführung des elektronischen Rezepts Mitte des Jahres könnte das Apothekensterben weitergehen. Künftig kann sich nämlich ein Patient per Videosprechstunde ein Rezept ausstellen lassen. Dieses muss er dann nur noch per Smartphone der Versandapotheke übermitteln.
Bisher mussten Rezepte des Arztes umständlich per Post an die Online-Apotheke geschickt werden. Da war es viel einfacher, mit dem ausgedruckten Rezept zur nächsten Pharmazie um die Ecke zu gehen und dort gleich das Mittel ausgehändigt zu bekommen, falls es vorrätig war.
Der Anteil der Online-Händler an verschreibungspflichtigen Medikamenten lag denn auch bei nur einem Prozent. Selbst Rabatte der ausländischen Versandhändler, die die deutsche Preisbindung umgingen, halfen da wenig.
E-Rezept bringt neuen Schub
Nun könnte das E-Rezept zu einem neuen Run auf Versandapotheken führen. "Wir gehen davon aus, dass sich der Anteil der Versandapotheken an den verschreibungspflichtigen Medikamenten dann deutlich erhöhen wird", glaubt Stefan Feltens, Chef der Shop-Apotheke. Das Unternehmen mit Sitz in den Niederlanden hat bereits sein Logistikzentrum ausgebaut, um die erwartete höhere Nachfrage bedienen zu können.
Walter Oberhänsli, Chef der Zur-Rose-Gruppe, die DocMorris gekauft hat, rechnet mit einem Anstieg des Umsatzes mit rezeptpflichtigen Medikamenten bei Versandapotheken auf mehr als fünf Prozent in drei bis fünf Jahren. Ähnlich sehen die Prognosen der Experten aus. Fabian Kaske von der Marketingberatung Dr. Kaske prophezeit, dass die Versandapotheken ihren Marktanteil bei verschreibungspflichtigen Mitteln bis 2025 auf gut acht Prozent steigern werden.
DocMorris sucht Partnerschaft mit Vor-Ort-Apotheken
Paradoxerweise könnte die neue Regelung zu einer abnehmenden Konkurrenz zwischen online- und stationären Apotheken führen. Anbieter wie DocMorris reichen den Vor-Ort-Apotheken die Hand und wollen sich mit ihnen verbünden - auf Medikamenten-Plattformen. DocMorris-Chef Olaf Heinrich strebt ein partnerschaftliches Verhältnis an. Kunden könnten sich Medikamente von DocMorris senden lassen, sie bei einer nahe gelegenen Apotheke bestellen lassen oder sie sich von dort durch einen Boten bringen lassen. Der Deutsche Apothekerverband baut nach eigenen Angaben ein Angebot für alle Apotheken und alle Patienten auf, das neutral und kostenfrei funktionieren werde.
Das im vergangenen Herbst verabschiedete Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz soll die traditionellen Pharmazien ohnehin vor Konkurrenz im Internet schützen. Es sieht ein Rabattverbot für Versandhändler bei verschreibungspflichtigen Mitteln vor.
Vor der größten Bedrohung kann das Gesetz die stationären Apotheken aber nicht schützen: Amazon. Der Online-Riese liebäugelt mit dem Einstieg in den lukrativen europäischen Apothekenmarkt. Noch bremsen die regulatorischen Rahmenbedingungen Amazon. Der Konzern darf keine Medikamente verkaufen, weil er dafür die Zulassung nicht hat. Diese Hürde ließe sich aber schnell überwinden, wenn Amazon eine Versandapotheke schluckt oder eine eigene aufbaut.