Energieversorgung Gasspeicher voll - und nun?
Die deutschen Gasspeicher sind mittlerweile fast vollständig befüllt. Was hat das für Folgen für den Gaspreis, wie lange hält das Gas und wie wahrscheinlich ist derzeit eine nationale Gasmangellage?
Die nationalen Gasspeicher sind viel schneller befüllt worden als erwartet wurde. Auch aufgrund des ausgesprochen milden Wetters hat sich die Situation auf dem Gasmarkt derzeit etwas entspannt. Wie könnte sich die Lage jetzt entwickeln? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Wie gefüllt sind die Speicher?
"Der Füllstand der deutschen Gasspeicher ist bis zuletzt gestiegen und liegt damit deutlich über unserem Zielpfad, auf dem Deutschland in diesem Winter eine Rationierung von Erdgas verhindern könnte", schreiben die Rohstoffexperten der Commerzbank in einer aktuellen Analyse zum Gasmarkt.
Bis auf zwei haben am Stichtag 1. November alle Gasspeicher in Deutschland den gesetzlich vorgeschriebenen Füllstand von mindestens 95 Prozent erreicht. Dies ging aus vorläufigen Daten des europäischen Gasspeicherverbandes GIE hervor. Danach waren die deutschen Speicher am Mittwochmorgen um 06.00 Uhr zu insgesamt 99,19 Prozent gefüllt, 0,29 Prozentpunkte mehr als am Vortag.
Der größte deutsche Speicher im niedersächsischen Rehden erreicht das Ziel nicht, er war lediglich zu 92,5 Prozent gefüllt. Ein kleinerer Speicher im nordrhein-westfälischen Epe meldete einen Wert von 91,1 Prozent. Nach Angaben des Speicherverbandes Initiative Energien Speichern (INES) gibt es in Deutschland rund 25 Speicherbetreiber mit mehr als 40 Untertage-Gasspeichern.
Was passiert, wenn die Speicher voll sind?
"Die Gasspeicher dienen dazu, die Versorgungssicherheit während der jahreszeitenbedingt kühleren Witterung zu gewährleisten", teilt die Bundesnetzagentur gegenüber tagesschau.de mit. "Sie sollen den höheren Verbrauch kompensieren, falls die Menge der Gasimporte nicht ausreicht, um die Nachfrage zu bedienen." Sollte also der Gasverbrauch stark steigen und die Menge der möglichen Importe übersteigen, dann muss laut Bundesnetzagentur ausgespeichert werden, um alle Kunden versorgen zu können.
Was passiert, wenn die Speicher zu 100 Prozent gefüllt sind, hänge sehr stark von der Witterung und dem Verbrauch ab. "Aufgrund der aktuell vergleichsweise hohen Temperaturen und den Einsparungen ist die Nachfrage nach Gas gesunken. Dies berücksichtigen die Gaslieferanten, die geringere Nachfrage führt dazu, dass weniger Gas eingespeist wird, beispielsweise auch aus LNG-Terminals. Wenn die Speicher voll sind, kann das also dazu führen, dass etwa ein LNG-Tanker weniger an den LNG-Terminals anlandet."
Wie dürften sich die Preise entwickeln?
Eine seriöse Preisprognose ist schon angesichts der Wetterabhängigkeit des Verbrauchs kaum zu leisten. Dass der Winter teuer wird, dürfte aber feststehen: "Verbraucher zahlen in diesem Winter so viel wie noch nie fürs Heizen", sagt Steffen Suttner, Geschäftsführer Energie bei CHECK24. "Ein Ende hoher Energiepreise ist vorerst nicht in Sicht. Mit besonders frostigen Temperaturen werden die Energiekosten weiter steigen."
Im Großhandel sind die Gaspreise derzeit zwar so niedrig wie zuletzt im Juni, für kurzfristige Lieferungen am Folgetag liegen sie sogar noch deutlich darunter. Experten gehen trotzdem davon aus, dass sich dadurch an den Preisen für Haushaltskunden kaum etwas ändern wird. "Versorgungsunternehmen decken sich üblicherweise mit lang- und mittelfristigen Lieferverträgen zu vorher festgelegten Preisen ein", sagt Zukunft Gas-Geschäftsführer Timm Kehler. Nur ein bestimmter Anteil sowie kurzfristig fehlende Mengen würden kurzfristig am Spotmarkt gekauft.
Die aktuelle kurzfristige Entspannung an den Gasmärkten, die sich auch sehr schnell ins Gegenteil umkehren kann, habe wenig Einfluss auf die Verbraucherpreise, sagt Kehler. Erst wenn die Preise über Monate hinweg ein geringes Niveau zeigten, werde dies auf den Gasrechnungen der Haushaltskunden zu sehen sein.
Wie lange hält das Gas?
Die Witterung spielt beim Gasverbrauch eine wesentliche Rolle: "Wie lange die Speicher reichen, ist stark temperaturabhängig", stellt der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, fest. "Sollte es im Winter sehr kalt werden, dann werden sich die Speicher auch sehr schnell wieder leeren."
Auf Nachfrage von tagesschau.de bietet die Bundesnetzagentur hierzu ein Rechenbeispiel an: "Zweck der Speicher ist es, eine höhere Nachfrage auszugleichen und bei Bedarf auszuspeichern", heißt es. Betrage die Differenz zwischen Import und Verbrauch drei Terawattstunden (TWh) am Tag, dann würden die aktuellen 243 TWh Speicherfüllstand etwa 80 Tage reichen.
"Die nächste entscheidende Zielmarke für die Füllstände der Speicher sind 40 Prozent zum Stichtag 1. Februar. Um diesen gesetzlich vorgeschriebenen Stand zu erreichen, müssen gegebenenfalls entsprechende Maßnahmen ergriffen werden, das bedeutet, im Zweifel muss erneut Gas zugekauft werden. Auch dies ist maßgeblich abhängig von der Witterung und dem Verbrauch."
Droht eine nationale Gasmangellage?
Von einer nationalen Gasmangellage geht die Bundesnetzagentur derzeit nicht aus: In einer Berechnung vom 20. Oktober kommt die Behörde zu folgendem Ergebnis: Vorausgesetzt, das Sparziel von mindestens 20 Prozent werde weiter eingehalten, drei LNG-Terminals würden spätestens zum kommenden Jahresbeginn einspeisen und der erwartete, winterbedingte Rückgang der Importe sowie der Anstieg der aktuell besonders niedrig ausfallenden Exporte würde eher moderat ausfallen - dann werde Deutschland ohne eine nationale Gasmangellage durch den Winter kommen.
In diesem Szenario würden die Gasspeicher bis zum Frühling ausspeichern und dann noch einen für die darauffolgende Befüllungsperiode komfortablen Speicherfüllstand von etwa 50 Prozent aufweisen.
Sollen wir weiter Gas sparen?
Laut Lagebericht der Bundesnetzagentur vom 3. November bleibt die Lage am Gasmarkt aber angespannt, eine weitere Verschlechterung der Situation kann nicht ausgeschlossen werden. Die Gasversorgung in Deutschland sei im Moment jedoch stabil, die Versorgungssicherheit sei gewährleistet, heißt es weiter. Gleichwohl bestehe kein Grund zur Entwarnung: Für einen dramatischen Anstieg des Gasverbrauchs würden schon wenige klirrend kalte Tage reichen, sagte Müller gegenüber dem Magazin "Spiegel". "Wenn es richtig frostig wird, werden die Speicher schnell leergesaugt."
Deshalb sei es wichtig, dass wir auch bei sinkenden Temperaturen weiterhin sehr sorgsam mit dem Gasverbrauch umgehen und so viel wie möglich einsparen, hatte Müller bereits früher an die Verbraucher appelliert. Auch die Bundesnetzagentur betont im aktuellen Lagebericht ausdrücklich die Bedeutung eines sparsamen Gasverbrauchs.
Wie könnte die Lage im Jahr 2023 aussehen?
Europa drohen im Sommer 2023 nach Einschätzung der Internationalen Energieagentur (IEA) massive Engpässe bei der Speicherung von Gas für den darauffolgenden Winter. Wenn die Einfuhr von russischem Gas per Pipeline vollständig eingestellt wird und China wieder auf gewohntem Niveau Flüssiggas importiert, könnte fast die Hälfte des Gases für ein 95-prozentiges Auffüllen der Speicher fehlen, teilte die IEA mit.
Denn noch immer ist das fehlende russische Gas auch in Deutschland ein Problem: "Selbst bei einer vollständigen Auslastung der ersten drei geplanten schwimmenden LNG-Terminals könnte damit voraussichtlich nur in etwa ein Viertel der russischen Lieferungen nach Deutschland aus den vergangenen Jahren ersetzt werden", meint Energie-Ökonom Andreas Fischer vom Institut der Deutschen Wirtschaft. Dies bedeute eine zusätzliche Entlastung, könne die ausbleibenden Lieferungen aus Russland aber nicht kompensieren.
IEA-Direktor Fatih Birol warnt: "Wenn wir uns die jüngsten Trends und wahrscheinlichen Entwicklungen auf den globalen und europäischen Gasmärkten ansehen, sehen wir, dass Europa im nächsten Winter vor einer noch größeren Herausforderung stehen wird."
Wie soll Mangellagen in Zukunft begegnet werden?
Regierungen müssten unverzüglich Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz und zum Einsatz von erneuerbaren Energien und Wärmepumpen voranzutreiben und die Gasnachfrage senken, fordert Birol.
Im "Spiegel" spricht sich Behördenchef Müller für den zügigen Bau weiterer Speicher aus. Nach den 1970er Jahren habe der Westen strategische Ölreserven aufgebaut. "Ähnlich werden wir das heute für Gas, morgen für grünen Wasserstoff brauchen." Der Bau solcher Speicher dauere drei bis vier Jahre. Man müsse heute beginnen, um sie ab 2025 nutzen zu können. "Wir sollten unsere Speicher so modernisieren und ergänzen, dass jede Ministerpräsidentin und jeder Ministerpräsident seiner lokalen Wirtschaft sagen kann: 'Unsere Region ist gut gerüstet'", sagte Müller.