Getreideverbrauch in Deutschland Trog oder Teller?
Knapp 60 Prozent des Getreides in Deutschland landet nur über Umwege auf dem Teller - es wird an Schweine, Rinder und Geflügel verfüttert. Problematisch angesichts steigender Preise, doch ein Umsteuern ist kompliziert.
Die gute Nachricht vorweg: Niemand muss hamstern aus Angst, dass es in Deutschland bald nicht genug zu essen gibt. "Wir haben in Deutschland Gott sei Dank eine hohe Eigenversorgungsgrate", betont Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. "Deshalb droht hier kein Hunger, keine Not."
Das meiste Getreide wird verfüttert
Aber: Die Preise für Brot, Nudeln und andere Getreideprodukte sind seit Kriegsbeginn deutlich gestiegen. Verbände wie Brot für die Welt und der Deutsche Naturschutzring fordern deshalb, die Tierbestände zu reduzieren. Denn in Deutschland geht das meiste Getreide in den Futtertrog und landet nur über Umwege auf dem Teller - als Fleisch oder Käse: Mastschweine bekommen zum Beispiel überwiegend Weizen und Mais zu fressen.
"Für drei Kilogramm Futtermittel entsteht dann am Ende ein Kilogramm Schweinefleisch", sagt Ralf Bloch, Agrarökologe an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Das zeige, dass Tierfütterung energetisch betrachtet sehr ineffizient sei. "In Deutschland sind wir ungefähr bei 24 Millionen Schweinen, die gehalten werden, und das ist schon eine erhebliche Form der Luxusveredelung, wenn man sieht, wie viel Futtermittel dafür eingesetzt wird", kritisiert Bloch.
Kurzfristiges Umsteuern kaum möglich
Daran kurzfristig etwas zu ändern ist schwierig. Erstens werden für Brot und Nudeln weder Futtermais noch Gerste benötigt, sondern vor allem Weizen, Dinkel und Roggen. Zweitens sind die Masttiere nun einmal da und müssen gefüttert werden. Deshalb will Landwirtschaftsminister Özdemir für eine langfristige Lösung sorgen und schlägt vor, die Haltung der Nutztiere zu reduzieren.
"Gleichzeitig aber, wenn es dafür mehr Tierschutz gibt, das heißt, die Tiere mehr Platz haben, dann sollen die Bäuerinnen und Bauern auch mehr Geld bekommen", so der Grünen-Politiker. "Da arbeite ich gerade an einem Konzept. Das ist ja auch das, was das Regierungsbündnis sich in der Koalitionsvereinbarung vorgenommen hat." Für den Umbau der Tierhaltung hat die Bundesregierung in den nächsten vier Jahren eine Milliarde Euro eingeplant.
"Die Schwachstellen des Systems werden deutlich"
Kritik an Özdemirs Plänen kommt zum Beispiel von Albert Stegemann, Landwirtschaftssprecher der Unionsfraktion im Bundestag. Er bemängelt, der Ansatz des Markteingriffs sei nur eine theoretische Option: "Wie will man es politisch umsetzen? Ich glaube, das ist gar nicht möglich", gibt Stegemann zu bedenken. "Die richtige Diskussion müssen wir so führen: Wenn es ein Bewusstsein in der Bevölkerung gibt, das übers Einkaufsverhalten zu regulieren. Dann hat es auch einen Effekt. Und dann funktioniert am Ende der Markt auch wieder."
Ein zweiter Hebel in der Trog-Teller-Debatte ist das eigene Essverhalten. Die Deutschen essen tendenziell immer weniger Fleisch - und doch ist es immer noch doppelt so viel wie von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlen. "Das heißt, einerseits essen wir viel Fleisch, und wir erzeugen dieses Fleisch zu Lasten der Getreideerträge, die wir auch anderweitig verzehren könnten", sagt Agrarökologe Bloch. "Und das Problem besteht unabhängig von der aktuellen Krise. Die Pandemie und auch der Krieg in der Ukraine legen den Finger in die Wunde. Die Schwachstellen des Systems werden dadurch einfach besonders deutlich." Dieses System steht durch die Folgen des Kriegs nun erst recht auf dem Prüfstand.