Verpackungsmüll Mehrweg bald auch bei Paketen?
Jedes Jahr werden in Deutschland mehr Pakete verschickt. Doch einmal genutzt, landen die Pappkartons oft im Altpapiercontainer. Muss das sein?
Sie ist rot, hat einen Reißverschluss, lässt sich ganz klein zusammenfalten und trotzdem passt ganz viel rein: die Mehrwegtasche des Online-Händlers Tchibo. Tchibo-Kunden bekommen immer häufiger ihre Online-Bestellungen in der roten Mehrwegtasche zugeschickt. Und nicht mehr in den klassischen Pappkartons, die - einmal verwendet - häufig direkt den Weg in den Altpapiercontainer finden.
Tchibo versucht damit etwas, was bisher kaum verstellbar scheint: Der Online-Versand soll nachhaltiger und umweltfreundlicher werden. Und das aus gutem Grund: Laut dem Bundesverband Paket und Expresslogistik wurden im vergangenen Jahr mehr als vier Milliarden Pakete verschickt - jeder Deutsche erhielt damit im Schnitt 50 Pakete. Die überwiegende Mehrheit davon kam in Pappkartons, die dann weggeschmissen wurden.
Besonders durch die Corona-Pandemie habe das Paketvolumen in Deutschland noch einmal deutlich zugenommen, berichtet Till Zimmermann vom Hamburger Forschungsinstitut Ökopol: "Gerade in den Corona-Jahren hat der Online-Handel nochmal ein enormes Wachstum erlebt - und damit sind natürlich auch mehr Pakete versendet worden." Immer mehr Bestellungen bedeutet auch eine immer größer werdende Belastung für das Klima. Darüber hinaus wird für die kommenden Jahre ein weiterer Zuwachs prognostiziert.
Es kommt auf das Material an
Vor diesem Hintergrund sucht die Branche nun nach neuen Möglichkeiten, Pakete nachhaltiger zu versenden. Eine Lösung für den anfallenden Verpackungsmüll könnten Mehrwegverpackungen wie die von Tchibo sein. Sie sind mehrfach wiederverwendbar und werden nach Erhalt der Lieferung von Kunden wieder zurückgeschickt - egal, ob er die Ware behält oder nicht.
Wie oft eine Mehrwegverpackung genutzt werden muss, um nachhaltiger als ein Papppaket zu sein, hängt vom Material ab. So ist kleine Mehrwegtasche aus Kunststoff bereits nach wenigen Nutzungen nachhaltiger, während eine festere Mehrwegbox häufiger genutzt werden muss, erklärt Experte Zimmermann.
Er untersuchte das Potenzial der Mehrverpackungen für den Online-Handel am Hamburger Forschungsinstitut Ökopol im Rahmen des Forschungsprojekts "Praxpack". Ziel war es, mit Praxisversuchen die Schwächen und Stärken der nachhaltigen Alternative zu erforschen. Neben der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung haben sich auch mehrere große Online-Händlern an dem Projekt beteiligt - etwa der Versandriese OTTO und eben Tchibo.
"Kunden waren begeistert"
Für das Handelsunternehmen Tchibo war das Forschungsprojekt "Praxpack" einer von mehreren Tests für den Einsatz von Mehrwegverpackungen in ihrem Online-Handel. Jährlich verschickt das Unternehmen aus Hamburg rund eine Millionen Pakete direkt an seine Kunden und kennt daher die Herausforderungen des steigenden Paketvolumens: "Die Altpapiercontainer sind immer voll, und das nervt uns auch als Endkunden", sagt Sina Schoenlein, die die Mehrwegtasche bei Tchibo betreut: "Wir wollen als Unternehmen helfen, dass der Verpackungsmüll reduziert werden kann. Und natürlich auch die Ressourcennutzung."
Aktuell läuft bei Tchibo deshalb wieder eine Testphase zu den Mehrwegverpackungen. Schätzungsweise 27.000 Lieferungen hat der Online-Händler schon in Mehrwegversandtaschen zu den Kunden geschickt - viele der Taschen sind mittlerweile zum zweiten oder dritten Mal unterwegs. "Diesmal liegt der Fokus des Tests besonders die logistischen Herausforderungen, wie Reinigungsbedarf und Haltbarkeit der Taschen", so Schoenlein. Ihr erstes Resümee: Kaum eine Tasche kam bisher verdreckt oder beschädigt zurück.
Und das, obwohl Tchibo die Taschen derzeit nach dem Zufallsprinzip an Kunden versendet und auch keinen Pfand für sie berechnet. "Die Kunden waren sehr begeistert von dem Test und wünschten sich, dass wir weiter daran arbeiten", berichtet Sina Schoenlein.
Noch sind Mehrwegverpackungen nicht wirtschaftlich
Doch was auf den ersten Blick wie eine Revolution im Online-Handel klingt, hat auch seine Nachteile: Denn bislang ist es für Tchibo "wirtschaftlich noch nicht umsetzbar", sagt Schoenlein. Besonders der Rücktransport der leeren Verpackungen sei zu teuer - derzeit zahlt Tchibo die anfallenden Gebühren für die Rücksendung jeder einzelnen Tasche.
Auch für Forscher Zimmermann, der das "Praxpack"-Projekt wissenschaftlich begleitete, ist die Wirtschaftlichkeit ein Schlüsselfaktor, der den Einsatz von Mehrwegverpackungen erschwert. Die Anschaffung und besonders der Rücktransport der Verpackungen führe aktuell zu erheblichen Mehrkosten im Vergleich zum herkömmlichen Paket aus Pappe. Ohne ein kostengünstiges und effizientes System sei die Mehrweglösung daher aktuell nicht wettbewerbsfähig.
Rücklaufquoten von 90 Prozent nötig
Eine Idee, wie man den Rücktransport wirtschaftlich gestalten könnte, gibt es bereits: eine Branchenlösung im Onlinehandel, bei der es eine einheitliche Lösung für alle Händler gibt. Vorstellen könne man sich dies wie das Pfandsystem für Flaschen, erklärt Zimmermann: "Es wäre dann nicht mehr so, dass jeder Händler seine Verpackungen hat, die zu ihm zurückmüssen. Sondern wir hätten ein System, wo diese Verteilung der Verpackung klug gesteuert wird".
Neben einer wirtschaftlichen Erleichterung für die Unternehmen könnte eine einheitliche Lösung zudem den praktischen Mehraufwand für Kunden reduzieren. Bisherige Tests zeigten, dass ein höherer Aufwand für Kunden die Bereitschaft zur Rückgabe der Mehrwegverpackungen senkt - und das ist ein Problem. Denn nur, wenn die sogenannten Rücklaufquoten hoch sind, stellen Mehrwegverpackungen eine wirklich nachhaltigere Alternative dar. Das Ziel muss laut Zimmermann sein, Rücklaufquoten von mindestens 90 Prozent zu erreichen.
EU-Verordnung zwingt zum Umdenken
Der Einsatz der Mehrwegverpackungen im Onlinehandel steckt aktuell noch in den Kinderschuhen, und es werden wohl noch einige Weihnachtsgeschenke in Pappkartons geliefert werden. Bis 2030 soll sich dies jedoch ändern. Eine neue Verpackungsverordnung der Europäischen Union sieht vor, dass der Anteil der Mehrwegverpackungen im Onlinehandel bis 2030 auf zehn Prozent steigen soll. Bislang machten Mehrwegpakete und -versandtaschen noch deutlich unter einem Prozent aller Pakete aus.
Wissenschaftler Zimmermann vom Forschungsinstitut Ökopol hält diese Vorgabe für grundsätzlich sinnvoll. Die Verpackungsverordnung würde einen ökonomischen Anreiz schaffen, um Mehrwegverpackungen für den Versand zu benutzen und so gleiche Bedingungen für alle Händler zu bieten: "Wenn wir so eine Quote haben, dann können wir auch davon ausgehen, dass sich auf einmal sehr, sehr viel mehr bewegt in dem Markt und auch deutlich effizientere Rückführungslösungen ermöglicht werden."