Chinas Infrastruktur-Großprojekt Die "neue Seidenstraße" - vom Westen unterschätzt?
Vor zehn Jahren startete Chinas Projekt "neue Seidenstraße": eine Handelsroute quer durch die Welt über verschiedene Kontinente. Wo steht die neue Seidenstraße heute?
Am Anfang stand eine Rede von Xi Jinping vor zehn Jahren in Kasachstan. "Um engere wirtschaftliche Beziehungen zu knüpfen, die Zusammenarbeit zu vertiefen und die Entwicklung in der eurasischen Region voranzutreiben, sollten wir die Initiative ergreifen und gemeinsam einen Wirtschaftsgürtel entlang der Seidenstraße aufbauen", sagte Chinas Staats- und Parteichef damals in der Hauptstadt Astana. "Dieses große Unterfangen wird den Menschen in allen Ländern entlang der Route zugute kommen."
Es war das erste Mal, dass Xi zunächst über einen sogenannten Seidenstraßen-Wirtschaftsgürtel sprach. Dieser hatte zum Ziel, die Infrastruktur und die wirtschaftlichen Beziehungen von China Richtung Europa auf den Routen der alten Seidenstraße auszubauen.
Von Afrika bis in die Arktis
Unter Xi, damals noch ganz frisch in seinem Amt als Staats- und Parteichef, waren dies erste Vorstellungen darüber, was die chinesische Außenpolitik künftig prägen sollte. Einen Monat später setzte Xi noch einen drauf: In Indonesien verkündete er eine "maritime Seidenstraße". Damit meinte er damals die Seeroute von China nach Italien.
Doch heute, zehn Jahre später, geht die "neue Seidenstraße", offiziell Yi Dai Yi Lu" genannt, auf Englisch "One Belt and Road", weit darüber hinaus. Sie erstreckt sich über mehrere Kontinente und Regionen nach Afrika, Südamerika, Südostasien und die Arktis.
Pipelines, Häfen, Autobahnen
Häfen, Staudämme, Eisenbahnlinien, Autobahnen und Pipelines: Weltweit investiert China riesige Summen in Infrastrukturprojekte in anderen Ländern und bewirbt das groß in den chinesischen Staatsmedien. Allein im ersten Quartal dieses Jahres zählte die deutsche bundeseigene Wirtschaftsförderungsgesellschaft Germany Trade & Invest GTAI weltweit 274 neue "Belt-and-Road"-Projekte, dazu zählen auch Energie- und Digitalisierungsprojekte.
Die Anzahl der Vorhaben ist damit immer noch auf Wachstumskurs im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Das Label für ein "Belt-and-Road"-Projekt ist allerdings schnell vergeben: Dazu reicht es bereits aus, wenn private oder staatliche Bauunternehmen aus China das Projekt ausführen.
Neue Wege der Finanzierung
Aus der Finanzierung zieht sich der chinesische Staat zunehmend zurück; der Umfang der Investitionen hat seit dem Höhepunkt der Investitionen im Jahr 2017 abgenommen. Das bestätigt auch Wang Yiwei, Professor für Diplomatie an der Volksuniversität in Peking. Er sieht das Projekt insgesamt aber als großen Erfolg.
"China hat nicht mehr so viel Geld, die Binnenwirtschaft verlangsamt sich, die lokale Verschuldung des Landes ist sehr hoch", so Wang. "Daher liegt der Schwerpunkt der neuen Seidenstraße derzeit nicht auf groß angelegten Bauprojekten zum Aufbau der Infrastruktur."
Anstelle chinesischer Banken treten zunehmend Privatunternehmen aus China und dem Ausland als Investoren auf. Immer wichtiger werden zudem Investoren aus arabischen und autokratischen Staaten wie Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, zu denen China seine Beziehungen immer weiter ausbaut.
Geopolitischer Einfluss über Infrastruktur
Vor allem in demokratisch regierten Staaten wächst die Kritik: China nutzte die Infrastrukturprojekte, um Partner zu gewinnen und seinen geopolitischen Einfluss auszubauen. Hinzu kommt, dass sich viele Projektstaaten hoch verschuldet und dadurch von China abhängig gemacht haben. Experten warnen zudem vor einer militärischen Nutzung der Infrastruktur.
Eine Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) zeigte im März, dass mittlerweile 60 Prozent aller chinesischen Auslandskredite von einem Zahlungsausfall bedroht sind. Um Ausfälle zu verhindern, vergibt China Rettungskredite.
"Oftmals geht es bei diesen Rettungskrediten indirekt um eine Rettung chinesischer Banken, die darunter leiden würden, wenn Kredite ausfallen", erklärt Alexander Sandkamp vom IfW. "Die chinesischen Banken haben ja ursprünglich Kredite vergeben, und wenn jetzt der Zahlungsausfall durch die Kreditnehmer droht, dann könnten diese Banken im schlimmsten Fall in Schieflage geraten." Deshalb würden durch diese Rettungskredite quasi indirekt auch die chinesischen Banken gestützt, so Sandkamp.
"Westen ist viel zu spät aufgewacht"
Rentiert sich das für China? Ja, sagt Jürgen Matthes, China-Experte am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Die finanziellen Belastungen für China hält er für tragbar.
"Ich glaube, dass der Westen die Initiative lange unterschätzt hat", sagt Matthes. "Und aus Chinas Sicht ist es insgesamt ein ein sehr großer Erfolg, weil es gelungen ist, mit vielen Ländern Partnerschaften einzugehen."
Das gelte teilweise sogar für einige osteuropäische Länder. "Also Länder, die eigentlich sozusagen zum Einflussbereich der EU gehören oder Balkanstaaten. Das heißt, da ist eine geopolitische Konkurrenz entstanden, was man auch unter das große Chiffre der Systemrivalität stellen kann. Und der Westen ist letztlich viel zu spät aufgewacht", so Matthes.
G7-Staaten investieren 600 Milliarden Euro
Um China Konkurrenz zu machen, haben die G7-Staaten im vergangenen Jahr gemeinsam ein globales Investitionsprogramm für die Infrastruktur angekündigt. Knapp 600 Milliarden Euro wollen sie bis 2027 weltweit investieren.
"Das ist ein Versuch einer Antwort", meint Matthes. "Aber gegenüber China ist das eher Kleckern statt Klotzen, da sind das eher überschaubare Beiträge." Der Westen stehe ganz am Anfang eines Nachholprozesses, "weil wir lange Zeit eben verschlafen haben, welche geopolitische Relevanz diese Neue-Seidenstraße-Initiative hat. Das versucht die EU, das versucht der Westen insgesamt, das versuchen die G7, aber wir sind da wesentlich langsamer und mit kleineren Dimensionen unterwegs." Das müsse sich ändern.
Chinas Führung will das 10-jährige Jubiläum im Oktober groß feiern - mit einem Seidenstraßen-Forum in Peking. Westliche Staats- und Regierungschefs dürften fernbleiben. Russlands Präsident Wladimir Putin hingegen hat seine Teilnahme bereits zugesagt.