Südamerikanisches Wirtschaftsbündnis Warum es beim Handelspakt mit Mercosur hakt
Das südamerikanische Wirtschaftsbündnis Mercosur tagt von heute an in Argentinien. Für Zündstoff dürfte das mögliche Freihandelsabkommen mit der EU sorgen. Wo steht das Abkommen und welche Bedeutung hätte der Handelspakt für die Wirtschaft?
Heute beginnt das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs des südamerikanischen Wirtschaftsbündnisses Mercosur aus Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay. In der argentinischen Kleinstadt Puerto Iguazú, wo das Treffen stattfindet, dürfte auch das noch immer nicht zustande gekommene Freihandelsabkommen mit der EU eine wichtige Rolle spielen. Zuletzt sah es darum nicht gut aus.
Wofür steht Mercosur?
Mercosur ist eine internationale Wirtschaftsgemeinschaft im südlichen Lateinamerika. Der Name ist eine Abkürzung für Mercado Común del Sur. Das bedeutet übersetzt "Gemeinsamer Markt des Südens". Die Gemeinschaft wurde am 29. November 1991 von den Gründungsländern Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay ins Leben gerufen.
Chile, Bolivien, Peru, Kolumbien, Ecuador, Guyana und Suriname haben den Status assoziierter Staaten ohne Stimmrecht. Bolivien befindet sich im Beitrittsprozess. Venezuela unterzeichnete am 4. Juli 2006 seinen Beitritt und trat dem Staatenbund 2012 als fünftes Mitglied offiziell bei, 2016 wurde das Land aber von den anderen Staaten suspendiert.
Warum wurde Mercosur gegründet?
Ziel der Wirtschaftsgemeinschaft ist es, schrittweise einen gemeinsamen Markt zu schaffen, wirtschaftspolitische Abstimmungen auszubauen, Rechtsvorschriften anzugleichen und den Schutz der Umwelt voranzutreiben. Dazu gehört etwa, Zölle im Handel zwischen den Mercosur-Staaten abzuschaffen und dafür einen gemeinsamen Außenzoll und eine gemeinsame Handelspolitik mit Drittstaaten einzuführen.
Das bedeutet, die Staaten hatten bei der Gründung das Ziel, einen Binnenmarkt mit dem freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitnehmern nach dem Vorbild der Europäischen Union zu schaffen.
Wie groß ist die Wirtschaftsgemeinschaft?
Mit mehr als 260 Millionen Verbrauchern leben rund 62 Prozent der Einwohner Südamerikas in Mitgliedsstaaten des Mercosur-Bundes. 67 Prozent des südamerikanischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) wird dort erwirtschaftet. Mercosur zählt zwar zu den größten Wirtschaftsgemeinschaften der Welt, trug im Jahr 2021 allerdings nur rund 3,21 Prozent zum globalen BIP bei.
Gelingt die Integration der Mercosur-Staaten?
Die Wirtschaftsgemeinschaft ist bislang allerdings nicht mehr als eine löchrige Zollunion: Das ifo-Institut hat in einer Analyse zum 30-Jährigen Jahrestag der Ratifizierung des Vertrages gezeigt, dass es auch heute immer Zölle zwischen den Ländern für einige Produkte gibt und dass auch das Handelsvolumen zwischen den Staaten nicht gewachsen ist.
Auch der gemeinsame Außenzoll hat zahlreiche Ausnahmen, es gibt kein Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung, geschweige denn eine koordinierte Wirtschaftspolitik.
Wo liegen die Probleme?
Vor allem wirtschaftlich gibt es große Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten: So macht Brasiliens Wirtschaftsleistung nach Angaben des ifo-Instituts rund dreiviertel des BIP im Block aus, wodurch der Staat vor allem eigene Interessen durchsetzt.
Derzeit leidet das Bündnis außerdem unter einem Zerwürfnis mit Uruguay: Lacalle Pou, Uruguays Präsident, hatte angekündigt, sein Land für wirtschaftliche Beziehungen mit China zu öffnen. Bilaterale Beziehungen mit Drittstaaten sind den Mercosur-Staaten aber eigentlich untersagt. Um die Wogen zu glätten, sagte der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, dass er ein Abkommen zwischen Mercosur und China in einem Plan zur Modernisierung und Öffnung des südamerikanischen Handelsblocks für andere Regionen befürworte.
Was steckt hinter dem Abkommen mit der EU?
Der Vertrag zwischen Mercosur und EU würde die größte Freihandelszone der Welt mit 780 Millionen Menschen schaffen. Er soll vor allem Zölle abbauen und damit den Handel ankurbeln. Das Abkommen muss noch von allen Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Allerdings ist es sowohl in Südamerika als auch in Europa umstritten.
Einige Länder wollen ihre Märkte schützen, andere fürchten dagegen die Aufweichung von Arbeits- oder Umweltstandards. Lis Cunha, Handelsexpertin bei Greenpeace, sagte dazu im April, dass man dem Abkommen in seiner jetzigen Form nicht zustimmen könne. Bereits jetzt werde in Südamerika die Natur zerstört, Gemeinschaften verdrängt, Artenvielfalt gefährdet und kleinbäuerliche Landwirtschaft verhindert.
Um die Kritiker in Europa zu besänftigen, hatte die EU zuletzt einen Vorschlag für eine Zusatzvereinbarung unterbreitet, die Umwelt, Klima und Menschenrechte besser schützen soll.
Wo stehen die Verhandlungen mit der EU aktuell?
Fast 20 Jahre dauerten die Verhandlungen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten über ein gemeinsames Handelsabkommen, am 28. Juni 2019 konnte zwar eine Einigung erzielt werden. Passiert ist seitdem aber nicht viel: Seit dem Abschluss der Verhandlungen liegt das Abkommen auf Eis.
Das liegt auch daran, dass der Umweltschutz gestärkt werden soll. Doch weil sich der inzwischen abgewählte brasilianische Präsident Jair Bolsonaro nicht davon abbringen lies, die Abholzung des Regenwalds am Amazonas zuzulassen, wurde das Abkommen bislang nicht ratifiziert.
Mit dem neuen brasilianischen Präsidenten sollen die Verhandlungen frischen Wind erhalten: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte bei einer Reise nach Südamerika im Juni dafür geworben, das Freihandelsabkommen so schnell wie möglich umzusetzen - ihr Plan ist es, das Abkommen mit Mercosur bis Ende des Jahres abzuschließen. Doch auch mit seinem Nachfolger Lula da Silva droht der Abschluss zu scheitern.
Woran könnte ein Abschluss scheitern?
So hat der brasilianische Präsident Lula da Silva zuletzt die von der EU geforderte Zusatzerklärung als "Bedrohung" für das geplante Freihandelsabkommen mit dem südamerikanischen Wirtschaftsbündnis Mercosur kritisiert. Der Staatschef bezog sich auf den Nachtrag der EU zum Abkommen, der Nachhaltigkeits- und Klimaschutzverpflichtungen festlegt und Strafen für Nationen einführt, die die im Pariser Abkommen von 2015 festgelegten Klimaziele nicht einhalten.
"Ich brenne darauf, ein Abkommen mit der Europäischen Union zu schließen. Aber das ist nicht möglich, denn die Zusatzerklärung der EU lässt keine Einigung zu", sagte er Ende Juni auf einem Finanzgipfel in Paris. "Es kann nicht sein, dass wir eine strategische Partnerschaft haben und es nun eine Zusatzerklärung gibt, die einen strategischen Partner bedroht."
Welche Bedeutung hat Mercosur für Deutschland?
Für Deutschland gewinnt der Wirtschaftsraum Mercosur immer mehr an Bedeutung, besonders seit Russland im vergangenen Jahr den Angriffskrieg auf die Ukraine begann: "Sowohl für die nachhaltige Gewinnung von Rohstoffen und Energie, als auch für die Diversifikation von Lieferketten und Absatzmärkten sind Länder wie Brasilien, Chile und auch Argentinien überaus prädestiniert", erklärte der Präsident der Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK), Peter Adrian.
Bei einer Anhörung im Wirtschaftsausschluss zum EU-Mercosur-Handelsabkommen sagte Katrin Kamin vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel, dass das Abkommen für die deutsche und europäische Wirtschaft eine "immense Bedeutung" habe. Auch sei der Zugang zu Rohstoffen als Argument nicht zu vernachlässigen.
Laut DIHK exportieren rund 12.500 deutsche Betriebe in den Mercosur-Raum. Marktchancen für deutsche Unternehmen lägen demnach etwa in den Bereichen Maschinenbau, Automobilbau und Ernährungsindustrie, wo der Mercosur bisher weltweit mitunter die höchsten Zölle erhebt. Der deutsche Außenhandel habe mit den Mercosur-Staaten ein Volumen von 27 Milliarden Euro gehabt.