Ökonom Stephan Paul zu 100 Tage Janet Yellen "Inhaltlich noch keine Duftmarken gesetzt"
tagesschau.de: Wie fällt Ihre Bilanz aus nach hundert Tagen Yellen an der Spitze der Fed - inhaltlich und was die Persönlichkeit Yellens betrifft?
Stephan Paul: Inhaltlich ist es ganz schwer, nach diesen hundert Tagen schon ein fundiertes Urteil zu treffen, weil sie im Prinzip noch gar nichts gemacht hat. Sie hat den bisherigen Kurs fortgesetzt. Das ist zwar auch schon etwas, aber sie hat inhaltlich noch keine Duftmarken gesetzt. Sie hat angekündigt, aber auch nur in einem Nebensatz, dass sie die Liquiditätsversorgung deutlich einschränken will. Aber eben noch nicht. Die Märkte müssen also erst einmal abwarten, was Yellen tatsächlich tut.
Von der Persönlichkeit her ist sie ein wenig nebulös. Das haben aber viele Zentralbanker an sich, auch Ben Bernanke. Doch das gehört fast zum Jobprofil, dass man den Märkten nicht alles offenbart, was man denkt.
Prof. Dr. Stephan Paul lehrt und forscht an der Ruhr-Universität Bochum. Er ist wissenschaftlicher Koordinator der Informationsveranstaltungen des Kreditmediators Deutschland im Auftrag der Bundesregierung sowie Gutachter und Berater des EU-Parlaments.
tagesschau.de: Mittlerweile ist die Summe der Anleihe-Ankäufe der FED auf mehr als vier Billionen Dollar angewachsen. Hätte Yellen da nicht entschlossener die Notbremse ziehen müssen?
Paul: Ich glaube die Notenbank insgesamt warten etwas zu lange, die von ihnen in die Märkte gepumpte Liquidität wieder zurückzuziehen. Ich sehe die große Gefahr, dass der gleiche Fehler gemacht wird, der zur Finanzkrise geführt hat: Man fährt zu lange eine Politik des billigen Geldes - mit all den problematischen Folgen, die sich möglicherweise wiederholen könnten.
tagesschau.de: Die Finanzmärkte sehen den Kurs Yellens mit Wohlwollen. Ist das jetzt ein Erfolg oder sollte das eher zu denken geben?
Paul: Ich denke, das muss einem sehr zu denken geben. Die Finanzmärkte sehen die Kurs deshalb positiv, weil die Aktienkurse noch immer weiter in die Höhe gehen. Meiner Meinung nach entfernen sie sich dabei aber immer weiter von den fundamental gerechtfertigten Werten. Ähnlich wie am Immobilienmarkt auch, wo wir Preisblasen sehen. Und das lässt befürchten, dass eine nächste Krise vor der Tür steht.
Das Gespräch führte Charlotte Maihoff, tagesschau24