Coronavirus in Kläranlagen Hotspot-Hinweise aus dem Abwasser?
Forscher wollen ein Corona-Frühwarnsystem durch Abwasseranalysen entwickeln. Das Ziel: die Dunkelziffer genauer bestimmen und die Entstehung neuer Hotspots voraussagen. Aber wie realistisch ist das?
Es ist das dreckige, braune Wasser, das die Forscher besonders interessiert. Die braune Brühe, das sogenannte Rohabwasser, das in den Kläranlagen ankommt, wimmelt vor Krankheitserregern. Hier sammelt sich, was Millionen Bundesbürger täglich in ihren Toiletten herunterspülen - so auch Bruchstücke des neuartigen Coronavirus, die für Wissenschaftler in ganz Europa interessant sind.
Warum wird das Abwasser untersucht?
Das Abwasser spiegelt in gewisser Weise den Gesundheitszustand der Menschen im Einzugsgebiet einer Kläranlage wider - zumindest, was Erkrankungen betrifft, deren Erreger über Fäkalien ausgeschieden werden. Das gilt auch für das Coronavirus.
Anhand der Virenkonzentration im Abwasser wollen Forscher ermitteln, wie hoch der Infektionsgrad der Bevölkerung ist. Die Wissenschaftler des Leipziger Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) wollen gemeinsam mit der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) und der TU Dresden ein Corona-Frühwarnsystem entwickeln.
Hauke Harms forscht am UFZ in Leipzig an einem Corona-Frühwarnsystem.
"Das langfristige Ziel dieser Arbeit, die wir hier im Labor machen, ist ein Abwassermonitoring, mit dessen Hilfe die Politik Maßnahmen beschließen kann: Lockerungsmaßnahmen oder Verschärfungen von Maßnahmen zur Corona-Eindämmung", so Hauke Harms, Mikrobiologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung.
Dazu analysieren sie Wasserproben aus Kläranlagen in ganz Deutschland. An ähnlichen Projekten arbeiten zum Beispiel auch Forscher der Uni Bonn mit einem Team aus den Niederlanden, die RWTH Aachen kooperiert mit Forschungseinrichtungen anderer europäischer Staaten, die von der Gemeinsamen Forschungsstelle der EU-Kommission unterstützt werden.
Ist das Virus im Abwasser gefährlich?
Ansteckend ist das neuartige Coronavirus im Abwasser nach jetzigem Stand der Forschung nicht. Das Virus komme im Abwasser in veränderter Form vor, habe seine äußere Hülle bereits verloren, erklärt Frank Jörrens, Laborleiter Wasserverband Eifel-Rur. In den Kläranlagen seien nur noch Teile des Virus zu finden und diese seien nicht mehr infektiös.
Wie funktioniert die Abwasseranalyse?
Im Abwasser tauchen kleine Bruchstücke des Virus-Erbgutes auf. Diese sogenannte RNA suchen die Forscher in den Abwasserproben. "Was wir tun ist, möglichst repräsentative Abwasserproben aus dem Zulauf von Wasserreinigungsanlagen zu nehmen, diese Proben aufzubereiten und darin das Erbgut der Coronaviren nachzuweisen", erklärt der Mikrobiologe Harms.
Im Labor untersuchen die Forscher die Abwasserproben.
Noch stehen die Forscher allerdings vor einigen Problemen: So ist zum Beispiel die Ausscheidungsrate in der Bevölkerung sehr unterschiedlich. Ein sogenannter "Superausscheider", also ein Mensch, der besonders viele Viren ausscheide, könnte das Messergebnis beeinflussen, so Harms. Auch Umwelteinflüsse wie Regen müssen die Forscher in ihre Berechnungen einkalkulieren.
Welchen Vorteil hat die Abwasseranalyse gegenüber den gängigen Corona-Tests?
Eine gefährliche Eigenschaft des Coronavirus: Wer infiziert ist, verteilt es - auch wenn keine Symptome spürbar sind. Das Problem: Oft werden Menschen erst getestet, wenn die Krankheit ausgebrochen ist. "Die kommen erst nach der Inkubationszeit, nach dem Ausbruch von Symptomen", erklärt Laborleiter Jörrens.
Die Wasserproben seines Wasserverbandes Eifel-Rur sind für die Forschungsprojekte besonders interessant, denn sie enthalten auch Wasser aus dem Kreis Heinsberg, einem sogenannten Corona-Hotspot. Hier hatten sich unbemerkt besonders viele Menschen infiziert.
Solche Ausbrüche könnten mit der Analyse des Abwassers möglicherweise verhindert werden, wenn sich Virusspuren im Abwasser finden, bevor die Infizierten von ihrer Krankheit erfahren. Außerdem hoffen die Wissenschaftler, die Dunkelziffer genauer bestimmen zu können.
Wie realistisch ist die Idee der Forscher?
Die Idee des sogenannten Abwassermonitorings ist nicht neu. Bis zum Einsatz eines Corona-Frühwarnsystems dauert es aber noch. Um den Großteil des deutschen Abwassers zu überwachen, müssten nach Angaben des UFZ etwa 900 Kläranlagen Proben nehmen und analysieren. Das wäre zwar aufwändig, aus Sicht der Leipziger Forscher aber machbar.
Das Team um Frank Jörrens vom Wasserverband Eifel-Rur schickt Wasserproben an die Forscher in Leipzig.
Nur: Für die flächendeckende Analyse fehlt eine auf das Coronavirus zugeschnittene Methode. Erst wenn es die gibt, kann ein Frühwarnsystem starten. Daran feilen die Wissenschaftler. Ob das gelingt ist noch offen und wird bis in den Herbst hinein dauern, schätzen die Forscher. Hoffnung, dass es klappen könnte, macht eine Studie des KWR Water Research Institute aus den Niederlanden. Dort konnten Forscher das Coronavirus im Abwasser einer Stadt nachweisen, noch bevor der erste Fall offiziell gemeldet wurde.