Forschung zu Klimaprotest Wie wirken die Klebe-Aktionen?
Vom Blockieren von Straßen und Rollfeldern bis hin zu Kartoffelbrei-Aktionen im Museum: Klimaaktivismus polarisiert. Wie wirken solche Protestformen konkret und helfen sie, die Klimaziele zu erreichen?
Heute auf den Flughäfen Hamburg und Düsseldorf, am vergangenen Wochenende beim DTM-Autorennen auf dem Norisring. Solche und ähnliche Protestaktionen von Klimaaktivistinnen und -aktivisten häufen sich seit etwa zwei Jahren. Hauptsächlich verantwortlich dafür ist das Bündnis "Letzte Generation", das sich 2021 formierte und mittlerweile als eine der einflussreichste Klimaprotestvereinigung Deutschlands gilt.
Auch Gruppen wie "Fridays for Future" oder "Extinction Rebellion" sind immer wieder mit Aktionen in den Medien präsent. Die Bewegungen eint ein Ziel, nämlich, mithilfe zivilen Ungehorsams Politik und Gesellschaft auf die Dringlichkeit des Klimaschutzes aufmerksam machen und den Wandel hin zu einer nachhaltigeren Zukunft fördern zu wollen.
Mehrheit lehnt die Protestform der "Letzten Generation" ab
Obwohl deutschlandweiten ARD-Umfragen zufolge fast die Hälfte der Befragten (44 Prozent) der Ansicht ist, dass beim Klimaschutz schnellere Veränderungen notwendig sind, lehnt eine große Mehrheit die von "Letzter Generation" und Co. angewandten Protestformen ab: In etwa 85 Prozent der Befragten halten das Blockieren von Straßen und Verkehr für ungerechtfertigt. Lediglich 13 Prozent unterstützen die Aktionen. Darüber hinaus zeigt eine Umfrage des ZDF-Politbarometers: Nur 24 Prozent sind der Meinung, die Politik werde aufgrund der Demonstrationen überhaupt mehr für Klimaschutz tun.
Forscher sehen auch höhere Bereitschaft für Klima-Maßnahmen
Vincent August, Leiter der Forschungsgruppe "Ökologische Konflikte" an der Humboldt-Universität zu Berlin, sagt, es gebe zwar eine relativ große Ablehnung für die Protestformen, aber:
Auf der anderen Seite deuten erste Studien, die in Großbritannien und den USA durchgeführt wurden, darauf hin, dass selbst radikale Aktionen keinen Backfire-Effekt produzieren. Also, diejenigen, die vorher schon für mehr Klimaschutz waren, sind danach immer noch für Klimaschutz. Das schadet also nicht.
Auch wenn es in diesem Zusammenhang stets widersprüchliche und paradoxe Effekte gebe, sehen die Studien teils sogar eine höhere Bereitschaft für Klimamaßnahmen, so August.
Öffentliche Aufmerksamkeit Teil des Kernprogramms
Auch Nils Kumkar, Soziologe an der Universität Bremen, betont, die Aktionen seien durchaus nicht wirkungslos. Es gelinge der "Letzten Generation" letztlich, mit einem verhältnismäßig kleinen Kern von Aktiven über einen langen Zeitraum hinweg die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich und damit auf das Thema Klimaschutz zu lenken.
In diesem Zusammenhang macht die Konflikt-Soziologin Prisca Daphi von der Universität Bielefeld im BR-Podcast besonders auf die Zweiteilung der Protestbewegung aufmerksam: auf der einen Seite die "Letzte Generation", auf der anderen beispielsweise "Fridays for Future". Die eine Gruppierung würde so, wenn auch teils negative, öffentliche Aufmerksamkeit erzeugen, während die andere das öffentliche Meinungsbild auf ihre Seite zu ziehen gedenke. Das könne in der Folge durchaus der Sache, also dem Klimaschutz, dienen, sagt Daphi.
Protestformen werden zum Diskussionsthema
Die Protestaktionen sind also medial wirksam. Kumkar sieht das Hauptproblem des Klimaaktivismus anders gelagert: "Die größte Schwäche ist, dass der Protest dennoch nur sehr begrenzt darüber verfügen kann, wie er dann gesellschaftlich verhandelt wird," sagt der Soziologe. Ein Beispiel dafür sei die empirisch gewagte Behauptung, die Bewegung "schade" dem Klimaschutz, der vor allem vonseiten der Politik erhoben werde.
"Es fehlt schlicht das Gewicht in der öffentlichen Debatte, um zu verhindern, dass statt des Klimawandels auf einmal die Aktionsformen der Klimabewegung zum Thema gemacht werden, von denen dann behauptet wird, sie diskreditierten den Klimaschutz", so Kumkar. Eine Herausforderung kann also sein, dass die Protestform zum zentralen Diskussionspunkt wird und die konkreten Anliegen der Protestierenden dadurch in den Hintergrund zu rücken drohen.
Forderungen der Aktivisten bislang kaum erfüllt
Misst man den Erfolg der "Letzten Generation" nicht an der medialen Wirksamkeit, sondern an den konkreten Klimazielen, wird klar: Trotz Gesprächen mit politischen Akteuren, wie unter anderem dem Bundesverkehrsminister Volker Wissing oder Bundeskanzler Olaf Scholz, haben die Aktivistinnen und Aktivisten ihre konkreten Forderungen und politischen Ziele bislang nur eingeschränkt erreichen können.
Die Einführung eines Neun-Euro-Tickets oder eines Tempolimits von 100 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen sowie die Schaffung eines Gesellschaftsrates, der aus per Zufall ausgewählten Menschen bestehen und Maßnahmen zum Klimaschutz vorantreiben soll, all das steht noch aus.
Im Großen und Ganzen sei es bei einem so komplexen Politikfeld wie dem Klimaschutz indessen außerordentlich schwierig, kausal zuzurechnen, wessen Handlungen am Ende einen Unterschied machen, sagt Soziologe Kumkar. Die Frage, wie die Protestform genau wirkt, ist also nicht so einfach zu beantworten, schon gar nicht, wenn man sich noch mitten im Konflikt befindet.
Festzuhalten bleibt jedoch, dass die Umwelt- und Klimabewegung in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt dafür gesorgt hat, dass das Thema Klimaschutz im politischen Diskurs präsent bleibt. Und das kann vor dem Hintergrund diverser weltpolitischer Konflikte durchaus als Leistung angesehen werden.