Eine Person schwingt 120 Meter über dem Boden in der Nähe des Alexanderplatzes in Berlin auf der höchsten Schaukel Europas.

Stresshormon Adrenalin - mehr als nur ein Kick

Stand: 17.03.2025 15:29 Uhr

Der Adrenalin-Kick - damit verbinden wohl die meisten das Hormon. Adrenalin ist aber auch überlebensnotwendig: Im Notfall lässt es uns klar denken und ungeahnte Kräfte mobilisieren - und in der Medizin rettet es Leben.

Von Katrin Focke, BR

Ein Stressor versetzt den Körper in maximale Alarmbereitschaft. Durch die Ausschüttung des Stresshormons Adrenalin werden wir in den Fight-or-Flight-Modus (auf deutsch: kämpfen oder weglaufen) versetzt: Unser Körper macht sich bereit zu fliehen oder gegen die Gefahr anzukämpfen - und das innerhalb kürzester Zeit. Adrenalin lässt also unser physiologisches System "anspringen", wenn wir uns in einer gefährlichen oder herausfordernden Situation befinden.

"Jede Person hat eine andere Biografie. Jede Person ist anders aufgewachsen, hat andere Erfahrungen gemacht, und die sind im Gehirn gespeichert", sagt Claudia Traunmüller, Gesundheitspsychololgin an der Universität Graz in einer ARD Wissen Doku. "Und deswegen ist es auch erklärt, warum manche Personen eine Situation sehr stressig empfinden, andere Personen aber vielleicht nicht. Ob ich in einer Situation Adrenalin brauche oder nicht, hängt ganz stark von der persönlichen Bewertung der Situation ab."

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Die Doku ARD Wissen "Mein Körper. Mein Adrenalin - Actionhormon und Lebensretter" sehen Sie am 17. März um 22.50 im Ersten oder schon jetzt in der ARD-Mediathek.

Was macht Adrenalin mit unserem Körper?

Wird Adrenalin ausgeschüttet, steigt der Blutdruck, das Herz pumpt schneller, und die Atmung beschleunigt sich. So kommt mehr Sauerstoff ins Blut und damit auch zu den Muskeln. Gleichzeitig wird die Darmtätigkeit heruntergeschraubt, weil die erstmal keine Priorität mehr hat.

Adrenalin sorgt für eine ausreichende Versorgung mit "Brennstoff": Der Blutzuckerspiegel schnellt in die Höhe. Das bedeutet: mehr Energie. Außerdem erhöht Adrenalin die Wachsamkeit: Die Pupillen weiten sich leicht, was die Wahrnehmung vorübergehend verbessert. Die Gedanken fühlen sich glasklar an und die Konzentrationsfähigkeit steigt.

Wo kommt das Adrenalin her?

Das Stresshormon Adrenalin gehört zur Gruppe der sogenannten Katecholamine. Dazu zählen außerdem die Botenstoffe Noradrenalin und Dopamin. Das sind alles Hormone, die ihre Wirkung an Rezeptoren des Herz-Kreislaufsystems entfalten. Bestimmte Sinneseindrücke sagen dem Körper: "Gefahr!" Und dann geht es los: Adrenalin wird im Nebennierenmark gebildet. Wie kleine Hüte liegen die Nebennieren auf den beiden Nieren. Hier entstehen neben Adrenalin noch weitere Hormone, wie Dopamin und Cortisol.

Adrenalin gelangt bei jeder Art von akutem Stress - sei es psychisch oder physisch - ins Blut. Es gibt uns genau so viel Energie für Reaktionen, wie wir in diesen Situationen brauchen. Heute sind es oft alltägliche Dinge, die den Fight-or-Flight-Modus aktivieren: die Arbeit, der Verkehr, Streitigkeiten in der Familie oder Partnerschaft - oder einfach der Druck, allem gerecht werden zu müssen.

Zwei unterschiedliche Stressarten

Es gibt zwei Stressachsen im menschlichen Körper: die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenachse, kurz HPA-Achse - die zeitlich versetzte und langsamere Anpassungsreaktion. Und es gibt die sympathoadrenale Achse, kurz SAM-Achse: Sie ist auf sofortige Reaktion ausgelegt.

Die langsamere HPA-Achse wird hauptsächlich durch psychischen oder emotionalen Stress aktiviert, zum Beispiel durch Schicksalsschläge in der Familie oder Probleme in der Partnerschaft. Es ist eine Reaktion, die den Körper über die Freisetzung von Cortisol auf längere Stressphasen oder chronischen Stress einstellt. Die SAM-Achse ist der schnelle Mechanismus, der den Körper in die Lage versetzt, unmittelbar auf eine Bedrohung zu reagieren - mit Hilfe von Adrenalin und Noradrenalin.

Die Ausschüttung von Stresshormonen ist unproblematisch, wenn das Hormonsystem nach der Stresssituation wieder herunterfahren und zur Ruhe kommen kann. "Grundsätzlich ist eine Stressreaktion eine gute Reaktion. Und wir sind auch ausgestattet, Stress auszuhalten. Schaut man sich unsere Urgeschichte an, ist das grundsätzlich überhaupt kein Problem", sagt Traunmüller. "Das Problem, in dem wir im Moment sind, ist, dass diese Stressreize viel zu oft kommen." Bei dauerhafter Aktivierung der Stressachsen können negative gesundheitliche Folgen auftreten, wie Bluthochdruck, chronische Entzündungen und eine erhöhte Anfälligkeit für psychische Erkrankungen. 

Adrenalin als Medikament

Das Hormon Adrenalinspielt aber nicht nur in "natürlichen Situationen" eine Rolle im menschlichen Körper. Es kann auch als Medikament verwendet werden. In der Reanimationssituation ist das Adrenalin sogar Medikament Nummer eins: Hat ein Mensch einen Herzstillstand, wird Adrenalin injiziert, um den Patienten ins Leben zurückzuholen. Die natürlichen physiologischen Effekte, die das Adrenalin auslöst - wie zum Beispiel Erhöhung der Herzfrequenz, Erweiterung der Bronchien und Steigerung des Blutdrucks -, retten Menschen in so einem Fall das Leben.

Auch in anderen Situationen wird Adrenalin eingesetzt:

  1. Anaphylaxie (allergische Reaktionen): Adrenalin wird als Notfallbehandlung bei schweren allergischen Reaktionen (zum Beispiel bei Insektenstichen, Nahrungsmittelallergien) eingesetzt. Es hilft, die Symptome wie Atemnot, Schwellungen und niedrigen Blutdruck zu lindern.
  2. Asthma und COPD (chronisch obstruktive Lungenerkrankung): In Notfällen kann Adrenalin verwendet werden, um die Atemwege zu erweitern und die Atmung zu erleichtern.
  3. Schockzustände: Hier kann Adrenalin helfen, den Kreislauf zu stabilisieren, indem es den Blutdruck und die Blutzirkulation verbessert.

Adrenalin wirkt außerdem blutungsstillend, indem es die Blutgefäße verengt, was hilft, Blutungen zu stoppen oder zu kontrollieren.

Typische Anwendungen von Adrenalin

  1. In der Chirurgie: Bei Operationen kann Adrenalin in lokale Betäubungslösung gemischt werden, um das Blutungsrisiko zu verringern. Diese Methode wird häufig bei kleineren Eingriffen oder in der HNO-Chirurgie (zum Beispiel bei Nasenoperationen) angewendet.
  2. Traumatologie: Bei Verletzungen kann Adrenalin zur Unterstützung der Blutstillung eingesetzt werden, etwa bei Schnittwunden.
  3. Endoskopische Verfahren: In der Endoskopie (zum Beispiel bei Magenspiegelungen) wird Adrenalin verwendet, um Blutungen aus kleinen Blutgefäßen zu stoppen, wenn diese während des Eingriffs auftreten.

Adrenalin - das Überlebenshormon

Adrenalin kann also viel mehr leisten als nur Erfolge im Extremsport. Es lässt uns im Notfall klar denken, ungeahnte Kräfte mobilisieren und kann als Medikament sogar Leben retten. "Ich finde das unglaublich faszinierend", sagt Traunmüller, "dass der Körper es schafft, uns einfach ein gutes Gefühl zu geben - um dann positive wie auch schwierige Dinge besser zu schaffen."

Die Doku ARD Wissen "Mein Körper. Mein Adrenalin - Actionhormon und Lebensretter" sehen Sie am 17. März um 22.50 im Ersten oder schon jetzt in der ARD-Mediathek.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtet die Dokumentation "Mein Körper mein Adrenalin" in der ARD m 17. März 2025 um 22:50 Uhr.