AIDS-Konferenz in Brisbane Wie Australien erfolgreich HIV bekämpft
Bis 2030 soll HIV/AIDS weltweit besiegt sein. Australien ist diesem Ziel schon jetzt so nah wie wohl kaum ein anderes Land. Was läuft dort gut? Und was kann Deutschland davon lernen?
Australien könnte das erste Land der Welt sein, das ein Ende der HIV-Epidemie verkünden kann. Experten feierten die sinkenden Infektionszahlen bei der 12. Konferenz der International AIDS Society (IAS) in Brisbane als "monumentalen Meilenstein". Der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, sagte: "Die Tatsache, dass wir jetzt in irgendeinem Land über die Eliminierung von HIV-Übertragungen sprechen, ist unglaublich. Es zeigt, was möglich ist, und gibt uns Hoffnung."
Ineinandergreifen mehrerer Konzepte
Laut der University of New South Wales wurden in Australien 2022 nur noch 555 neue HIV-Infektionen verzeichnet. Im Vergleich zu 2012 hat sich der Wert damit nahezu halbiert; damals wurden 1086 Neuinfektionen registriert. "Australiens Erfolg zeigt uns, dass wir über die Wissenschaft, die Werkzeuge und das Know-how verfügen, um Infektionen zu stoppen und Leben zu retten", erklärte Tedros. "Die Herausforderung, vor der wir jetzt alle stehen, besteht darin, diesen Erfolg überall auf der Welt zu wiederholen."
Was macht Australien richtig bei der Bekämpfung von HIV/AIDS? Der Schlüssel ist das Ineinandergreifen mehrerer Konzepte, sagt Stefan Esser, Leiter des Instituts für translationale HIV-Forschung an der Universität Essen. "Zum einen wurde dort dafür gesorgt, dass HIV enttabuisiert wurde, sodass mehr Menschen bereit sind, sich testen zu lassen. In der Konsequenz werden HIV-Infektionen viel früher erkannt und können damit erfolgreich behandelt werden."
PrEP als wichtiger Baustein
Der zweite wichtige Punkt sei eine gute Aufklärungs- und Präventionsarbeit. Das bedeutet vor allem den leichten Zugang zu sogenannter Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP). Bei dieser Schutzmethode nehmen HIV-negative Menschen - die etwa damit rechnen, Sex mit einem HIV-Positiven zu haben - ein Medikament ein, um sich vor einer Ansteckung zu schützen. "Diese Maßnahmen zusammengenommen, also Aufklärung, breites Testangebot, Frühbehandeln und PrEP führen dazu, dass die Zahlen in Australien so stark fallen", resümiert Esser, der auch Vorsitzender der Deutschen AIDS-Gesellschaft ist.
Allerdings mahnt der Venerologe auch zur Vorsicht. Denn ein Grund für die niedrigen Zahlen könnte auch die Corona-Pandemie sein. Während dieser Jahre seien viele HIV-Testangebote zugunsten der Coronatests reduziert worden. Außerdem habe es insgesamt weniger (sexuellen) Kontakt zwischen Menschen gegeben. 2022 gab es entsprechend auch einen ganz leichten Anstieg im Vergleich zu 2021. "Wir sollten abwarten, ob die Zahlen weiterhin so stark fallen. Ich bin aber optimistisch, dass der Abwärtstrend langfristig anhält", so Esser.
Lehren für Deutschland
Was also kann Deutschland von Australien lernen bei der Bekämpfung der Epidemie? "Wir wissen um die geeigneten Maßnahmen - wir müssen sie aber besser umsetzen", erklärt Jürgen Rockstroh, Infektiologe mit Schwerpunkt HIV am Universitätsklinikum Bonn - er nimmt auch an der Internationalen Konferenz in Australien teil. So sei PrEP selbstverständlich auch hier verfügbar und werde von den Krankenkassen bezahlt, es dauere aber oft sehr lange, einen entsprechenden Arzttermin zu bekommen. Gerade außerhalb der großen Städte sei die Versorgung mit den Medikamenten oft sehr schwierig.
Ein weiteres Problem: Es werden nicht alle Menschen gleichermaßen mit Präventions- und Aufklärungsmaßnahmen erreicht. "Die Versorgung mit Männern, die Sex mit Männern haben, ist sehr gut", so Rockstroh gegenüber tagesschau.de. "Allerdings haben wir bei Frauen immer noch relativ viele Spätdiagnosen. Und auch in Gefängnissen ist es schwierig, die gefährdeten Gruppen zu erreichen, denn Strafvollzug ist meist Ländersache - das erschwert es, eine einheitliche Strategie zu fahren."
Zudem ist Deutschland - anders als Australien - von zahlreichen anderen Ländern umgeben und Ziel großer Flüchtlingsbewegungen. "Da gibt es zum einen mehr Sprachbarrieren. Und Länder wie die Ukraine, von wo allein im vergangenen Jahr über eine Million Menschen kamen, haben eine verhältnismäßig hohe HIV-Prävalenz", erklärt Rockstroh.
Erfolge in Afrika, Probleme in Russland
Dennoch sind beide Experten optimistisch, dass das große Ziel der UN, HIV bis 2030 zu eliminieren, in greifbare Nähe rückt. Das zeige etwa der Erfolg in mehreren afrikanischen Ländern wie Botswana oder Tansania so der Infektiologe Esser. Dort sinkt seit Jahren die Zahl der Neuinfektionen, während der Anteil der HIV-positiven Menschen, die eine antiretrovirale Therapie erhalten, steigt. "Eliminieren ist zwar ein großes Wort, denn es wird ja über Jahrzehnte noch Menschen geben, die mit einer HIV-Infektion leben. Aber gerade im südlichen Afrika, das lange sehr stark betroffen war, sinken die Zahlen seit einigen Jahren kontinuierlich - und das ist sehr erfreulich."
Weniger erfreulich ist die Situation dagegen in einigen Ländern Osteuropas, sagt Rockstroh. "Gerade in Russland und anderen Ländern, wo die LGBTQ-Gemeinde und Drogenabhängige marginalisiert oder sogar aktiv verfolgt werden, steigen die Zahlen. Das zeigt, dass die Bekämpfung weniger eine Frage des Geldes, sondern mehr des politischen und gesellschaftlichen Willens ist", so der Mediziner. Das gelte für alle Länder - Australien und Deutschland eingeschlossen.