Pestizide in der Landwirtschaft Deutschland spritzt noch immer viel
Der Weltnaturgipfel in Montreal hat beschlossen, den Einsatz von Pestiziden zu halbieren. Gleichzeitig wird die Zulassung für Glyphosat in der EU verlängert. Was bedeutet das für die Umwelt? Wird es in Deutschland bald weniger Agrochemie geben?
Es ist der bekannteste und gleichzeitig umstrittenste Pestizidwirkstoff: das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat. Die Europäische Kommission hat die Zulassung von Glyphosat bis zum 15. Dezember 2023 verlängert, damit die Lebensmittelbehörde EFSA mehr Zeit hat, neue Studien und mögliche Risiken zu prüfen.
Etwa 4000 Tonnen Glyphosat werden in Deutschland jährlich versprüht. Das entspricht etwa zehn Prozent der insgesamt in der Bundesrepublik abgesetzten Pestizidwirkstoffe. Vor 25 Jahren sei deutlich weniger Glyphosat in Deutschland eingesetzt worden als heute, sagt Jörn Wogram, Leiter des Fachgebiets Pflanzenschutzmittel im Umweltbundesamt. Die Einsatzmöglichkeiten für das Unkrautvernichtungsmittel wurden in den vergangenen Jahren, noch unter der Merkel-Regierung, eingeschränkt. Dennoch stellt Wogram fest: "Wir sehen derzeit keinen eindeutigen Trend für einen Rückgang."
Glyphosat unterbricht die Nahrungskette
Glyphosat ist ein Breitbandherbizid. Das heißt: Alle Pflanzen, mit denen es in Berührung kommt, tötet es ab. "Das bedeutet, dass Glyphosat auch solche Pflanzen vernichtet, die gar nicht bekämpft werden müssten", so der Wissenschaftler. Das Ackerstiefmütterchen etwa sei eine relativ kleine Pflanze, die nicht in Konkurrenz zu Getreidepflanzen stehe.
"Solche Pflanzen sind ökologisch betrachtet unheimlich wichtig für Insekten." Davon abhängig sei zum Beispiel der kleine Perlmutterfalter. Die Raupen fressen die Blätter des Ackerstiefmütterchens. "Wenn dieser gesamte Pflanzenbewuchs beseitigt wird, dann sind eben auch die Insekten und in der Folge auch Feldvögel, die von den Insekten leben, stark betroffen", erklärt Wogram. "Das ist die Auswirkung, die wir durch die Anwendung von Glyphosat und anderen Breitbandherbiziden seit Jahrzehnten in der Umwelt, in der EU und in Deutschland sehen."
In Deutschland führe das dazu, dass die Bestände beim Rebhuhn "sehr, sehr stark eingebrochen sind und lokal das Rebhuhn ausgestorben ist". Aber auch der Bestand der Feldlerche sei sehr stark zurückgegangen.
Ziel ist es, insgesamt weniger Pestizide einzusetzen
EU und Weltnaturgipfel haben ein Ziel formuliert: Der Pestizideinsatz soll bis 2030 halbiert werden. Zugelassene Pflanzenschutzmittel haben starke Auswirkungen auf die Umwelt, so der Experte vom Umweltbundesamt. "Das gilt eigentlich für fast alle Produkte."
Die überwiegende Zahl der Mittel habe sehr starke Wirkungen auf Tiere oder Pflanzen. Deswegen sei es aus Sicht des Umweltbundesamts nötig, über Maßnahmen gegen diese negativen Auswirkungen zu sprechen und auch darüber, wie sich der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln verringern lässt. Sehr wichtig sei es deshalb, sagte Wogram, den Anteil der pestizidfrei bewirtschafteten Flächen deutlich zu erhöhen.
In Deutschland wird besonders viel gespritzt
"Leider sehen wir bei der Verwendung von Pestiziden in Deutschland keinen eindeutigen Abwärtstrend", sagt Jörn Wogram. Die Menge der in Deutschland verwendeten Pestizide sei weiterhin sehr hoch und das auch im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten der EU, wie beispielsweise Dänemark.
Dort habe man Maßnahmen ergriffen, um den Pestizideinsatz zu reduzieren. So wurde eine Pestizidsteuer eingeführt. Das so eingenommene Geld wird für landwirtschaftliche Beratung eingesetzt. So sei es in Dänemark gelungen, die Verwendung von Pestiziden tatsächlich zu senken.
Auch im Vergleich zu anderen EU-Staaten werden in Deutschland besonders viele Herbizide wie Glyphosat eingesetzt.
Zahl der Schwebfliegen um 90 Prozent gesunken
In der Bundesrepublik wie auch in der gesamten EU verzeichnen Forscher einen dramatischen Rückgang der Insektenfauna. "In Deutschland gibt es gerade mal noch zehn Prozent der in den frühen 1980er-Jahren bei uns herum fliegenden Schwebfliegen", erklärt Jörn Wogram. Die Larven der Schwebfliegen seien aber ganz wichtige Helfer der Landwirtschaft. Sie vertilgen Blattläuse.
"Dieses Beispiel zeigt, dass die Auswirkungen der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln letztlich auch auf die Landwirtschaft zurückfällt", so Wogram. In der konventionellen Landwirtschaft müssten daher mehr Flächen ohne Pestizide geschaffen werden, so der Leiter des Fachgebiets Pflanzenschutzmittel im Umweltbundesamt.
Brachflächen dürfen ab 2023 wieder genutzt werden
Ab 2023 gelten neue Förderregeln der Gemeinsamen Agrarpolitik in der EU. Dabei haben sich die Mitgliedstaaten darauf geeinigt, vier Prozent der Ackerflächen vorübergehend aus der Produktion zu nehmen. Solche Brachen sollen dem Schutz der Biodiversität dienen. Ursprünglich war ein Flächenanteil von zehn Prozent diskutiert worden. Umweltverbände kritisierten, dass der Anteil von vier Prozent zu gering sei.
Mit Ausbruch des Kriegs in der Ukraine und der damit ausgelösten Weizenkrise forderten Bauernverbände und konservative Politiker eine erneute Bewirtschaftung der Brachflächen, um so Getreide anzubauen. Das Bundeslandwirtschaftsministerium unter Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) gab dem Druck nicht nach und verwies auf die Bedeutung dieser Flächen für die biologische Vielfalt.
Es gibt aber ein Zugeständnis: Auf den sogenannten nichtproduktiven Flächen sind im Jahr 2023 zwar weder Bodenbearbeitung, Einsatz von Düngemitteln und Pflanzenschutzmittel erlaubt, sie dürfen aber für die Futtergewinnung genutzt werden.
Bis 2030: Ökoanbau auf 30 Prozent der Fläche
Ernährungssicherheit könne nur mit Klimaschutz und dem Erhalt der Artenvielfalt erreicht werden, so ein Sprecher des Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). "Deshalb setzt die Bundesregierung auf eine Agrarpolitik, die Klimaschutz und Biodiversität als Voraussetzung für eine nachhaltige, krisenfeste und damit zukunftsfähige Landwirtschaft berücksichtigt."
Ziel sei, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln erheblich zu reduzieren. Das BMEL will 2023 dazu ein Programm vorlegen. Die Bundesregierung setzt aber auch auf mehr Ökolandbau: Bis 2030 sollen 30 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche in Deutschland ökologisch bewirtschaftet werden. Derzeit liegt der Anteil an ökologisch bewirtschafteten Flächen erst bei elf Prozent. Neue Förderanreize sollen die Bereitschaft, auf Ökolandbau umzusteigen, unterstützen.