Unbeliebte Tiere Wichtig fürs Ökosystem - aber ohne Lobby
Spinnen, Würmer oder Insekten: Viele von ihnen sind vom Aussterben bedroht - ein großes Problem für das Ökosystem. Dennoch hält sich das Mitleid mit manchen Tieren eher in Grenzen.
Pandas, Koalas und Kängurus haben eine Gemeinsamkeit: Wir finden sie häufig "niedlich". Deshalb haben sie auch viele Unterstützer, die sich für ihr Überleben einsetzen. Für weniger beliebte Tiere, wie Spinnen oder Insekten setzen wir uns hingegen nicht so stark ein. Untersuchungen zeigen, dass Tiere, die wir als "unsympathisch", "hässlich" oder "eklig" empfinden und zusätzlich als "gefährlich" einschätzen, seltener eine Lobby haben. Mit einer gravierenden Folge: Diese Lebewesen sind auch häufiger vom Aussterben bedroht. Aber warum ist das so?
Tiere profitieren vom "Kindchenschema"
Häufig spielen Ängste und Ekel eine Rolle. So kamen Forschende zu dem Schluss, dass Spinnen in den Nachrichten häufig negativ dargestellt werden. Von 50.000 Spinnenarten können aber nur die wenigsten Menschen gefährlich werden. In Deutschland sind bereits rund 32 Prozent der Spinnenarten gefährdet oder ausgestorben.
Auch neurowissenschaftliche Aspekte beeinflussen, welche Arten wir besser schützen. Wissenschaftlern zufolge entwickeln wir mehr Empathie für Tiere, die dem "Kindchenschema" entsprechen und mit einer hohen Stirn und einem kleinen Kinn einem Säugling ähneln.
Die schönen großen Knopfaugen sind wohl ein Grund für die Beliebtheit der Koalas.
Bunte Fische beliebter als einfarbige
Und was an Land gilt, gilt so ähnlich auch zu Wasser: Einer Studie zufolge lösen Fische, deren Farbe und Muster sich stark vom Hintergrund abhebt, im menschlichen Gehirn Freude aus. Und mehr noch: Wissenschaftler fanden zudem heraus, dass gelbe Fische in Korallenriffen wie dem Great Barrier Reef häufiger erforscht werden als andere Fische. Kleinere, unscheinbarere Fische, die versteckt am Meeresboden oder auch über dem Riff leben, werden hingegen weniger häufig erforscht - und sogar seltener gezählt.
Dabei erfüllen sie wichtige Funktionen: Sie sind die Beute anderer Fische oder fressen Plankton. Das wiederum kann sich auf das komplette Ökosystem auswirken. Die Wissenschaftler fanden außerdem heraus, dass unscheinbarere Fadenfische für das Riff wichtig sind: Sie fressen Makroalgen an der Koralle, die dem Riff schaden können.
Bessere Überlebenschancen für Nemo & Co
Dazu kommt ein anderes Problem: Unattraktive Fische leben öfter in kühleren Gewässern und sind häufig größer. Sie ernähren sich von anderen Fischen oder Plankton. Da das Meer aufgrund des Klimawandels wärmer wird, verschiebt oder verkleinert sich der Lebensraum dieser Fische. Bunte Fische dagegen sind tendenziell mittelgroß bis klein und leben häufiger in wärmeren Gewässern. Sie kommen mit den Veränderungen der Klimakrise daher tendenziell besser zurecht.
Nicht gerade ansehnlich: der Seeteufel.
Mehr Forschungsgelder für hübsche Tiere
Probleme haben jedoch nicht nur die Tiere - auch bei der der Finanzierung von Forschungsprojekten wird laut Wissenschaftlern häufig nach Kriterien wie "Beliebtheit", "Attraktivität" und "Auffälligkeit" der Arten entschieden. Auch Beobachtungen und Zählungen werden dadurch beeinflusst. Ein Beispiel: Vogelfreunde melden öfter Sichtungen ihrer Lieblinge als Reptilienfans. Insgesamt könnten solche Gründe sogar dazu führen, dass die Statistik zur Artenvielfalt verzerrt wird.
Und auch die Art und Stoßrichtung der Projekte ist mitunter sehr unterschiedlich: Während in Australien die "beliebten" Beuteltiere häufiger auf ihre Anatomie untersucht, lag der Schwerpunkt bei "unbeliebten" Tieren hingegen mehr auf Populationskontrolle.
Instabile Ökosysteme und wirtschaftliche Folgen
Das große Problem: Unscheinbare Tiere - wie Insekten - haben oft eine tragende Rolle im Ökosystem. So können Nahrungsketten fragiler werden, wenn es auf der untersten Ebene zu Veränderungen kommt. "Je mehr Elemente aus einem Nahrungsnetz herausfallen, desto instabiler werden Ökosysteme. Durch jahrzehntelange menschliche Einflüsse sind Ökosysteme immer gestörter", sagt Christian Hof von der TU München.
Aber auch Menschen können Auswirkungen beim Thema Nahrung spüren. Das zeigt das Beispiel der Schlupfwespen, sagt Teja Tscharntke, Agrarökologe an der Universität Göttingen. Seine Untersuchung verdeutlicht, dass Schlupfwespen Schädlingsbefall auf Getreidefeldern regulieren und so Ernten sichern können: Sie legen ihre Eier nämlich in Blattläuse; die daraus schlüpfenden Larven ernähren sich von ihnen und töten sie so ab. Viele Arten von Schlupfwespen seien jedoch bedroht.
Und Insektensterben kann ganz reale wirtschaftliche Schäden nach sich ziehen, etwa wenn sie als Bestäuber für Nutzpflanzen ausfallen. So wie bestimmte Bartmücken, die neben anderen Insekten als Hauptbestäuber der winzigen Kakaoblüte gelten und die schattigen Wälder des Amazonasgebietes bevorzugen. Wassermangel und weniger Auswahl an Aromen durch die Monokulturen setzten ihnen aber zu. Das könnte eine aufwändige Handbestäubung durch den Menschen künftig notwendig machen - und die ist teuer.
Mehr Forschung, mehr Wissen in Bevölkerung
Unbeliebte Arten haben faszinierende, teilweise einzigartige Eigenschaften und Funktionen in der Natur. Gehen sie verloren oder bleiben unerforscht, kann das Konsequenzen für die Artenvielfalt haben. Deshalb sollte sich Experten zufolge der Fokus auch auf "uncharismatische" und wenig erforschte Lebewesen richten.
Denn schon kleinste Umweltveränderungen könnten große Folgen haben und Ökosysteme destabilisieren, stellten Forschende der Universität Oldenburg fest. Eine weitere Forderung ist, das Wissen über die Biodiversität besser zu vermitteln und die Bevölkerung aufzuklären. Denn auch jeder Einzelne ist gefragt, seine Aufmerksamkeit auf die Tiere zu richten, die zu oft im Schatten der anderen stehen, krabbeln, fliegen oder schwimmen.